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Türkei
Justiz-Drama in Istanbul: Nach Freispruch bleibt Osman Kavala in Haft

Unser Türkei-Experte Dr. Ronald Meinardus über die Causa Osman Kavala
Osman Kavala
© picture alliance/Wiktor Dabkowski

Die Freude war von kurzer Dauer. Erst hatte das Gericht Osman Kavala im Prozess um die Gezi-Park Proteste von allen Vorwürfen freigesprochen. Wenig später dann die Kehrtwende: Die Generalstaatsanwaltschaft von Istanbul legte einen neuen Haftantrag gegen den prominenten Kulturmäzen und Philanthropen vor. Die Beschuldigung: Beteiligung am gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016.

Die plötzliche Volte kam ebenso überraschend wie der Freispruch kurz zuvor. Das Hin und Her sei ein Hinweis auf Verwerfungen im Schoße der türkischen Justiz, so die ersten Kommentare von Prozessbeobachtern und der Freunde und Unterstützer Kavalas. Auf der einen Seite stünden Kräfte, die einen anti-westlichen Kurs verfolgten und dies als beste Strategie zur Herrschaftssicherung sehen; auf der anderen Seite befänden sich – folgt man diesem Szenario – jene Kräfte, die zur Normalität und Rechtsstaatlichkeit zurückkehren wollen, um die europäische Perspektive der Türkei nicht aus dem Blick zu verlieren. 

Im Fall Osman Kavala ging es von Angang an um mehr als ein Einzelschicksal. Der Fall Kavala war, ist und bleibt ein Politikum ersten Ranges, das nicht zuletzt die Außenbeziehungen der Türkei nachhaltig betrifft. 

In den den über 800 Tagen seiner Haft ist Kavala zu einem Symbol geworden – in der Türkei und weit über die Grenzen des Landes hinaus. Eine Symbolfigur für den Kampf für Menschenrechte und den Widerstand gegen den Niedergang des Rechtsstaates: Seit November 2017 war der Intellektuelle und Philanthrop hinter Gittern. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm vorgeworfen, die regierungskritischen Proteste des Jahres 2013 angezettelt zu haben mit der Absicht, die Regierung zu stürzen. 

Die Proteste in und um den Park im Stadtzentrum Istanbuls entzündeten sich an den Plänen der Regierung, an der Stelle der Grünanlage ein Einkaufszentrum zu bauen. Die Gezipark-Proteste weiteten sich bald über das ganze Land aus. Erst unter Einsatz massiver und brutaler Gewalt gelang es der Regierung, Herr der Lage zu werden. Fünf Menschen fanden den Tod, Tausende wurden verletzt. Wie kein anderes Ereignis steht Gezi-Park für die Umkehr der Politik Erdogans hin zu einem zusehends autoritären Regierungsstil, bei dem der Schutz der Menschenrechte und die Achtung der Rechtsstaatlichkeit zu Lippenbekenntnissen verkommen sind. 

Dorn im Auge Erdogans

Der türkische Präsident hat aus seiner Abneigung für Osman Kavala keinen Hehl gemacht. Die Tätigkeit seiner Anadolu Kultur (Anatolischen Kulturstiftung), die sich seit ihrer Gründung 2002 für die Überwindung der regionalen Zerwürfnisse und Vorurteile in der türkischen Gesellschaft einsetzt, war dem Regierungschef ein Dorn im Auge – ebenso Kavals Verbindungen zu ausländischen Freunden und Förderern. „Wer steckt hinter ihm? Der bekannte ungarische Jude Soros“, sagte Erdogan im November 2018.  

Für die türkische Regierung wurde die Inhaftierung des Philanthropen, nicht zuletzt auch wegen der Absurdität der gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen, zusehends auch zu einer politisch-diplomatischen Hypothek. Kaum ein Politiker-Treffen mit westlichen Regierungen auf der das Kavala-Thema nicht auf der Tagesordnung stand, heißt es in diplomatischen Kreisen in Ankara. Auch die deutsche Bundesregierung hat sich immer wieder – und auf unterschiedlichen Ebenen - für die Freilassung Kavalas starkgemacht, zuletzt anlässlich des Besuches von Bundeskanzlerin Merkel in Istanbul Ende Januar. 

Im Dezember letzten Jahres hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Freilassung Kavalas gefordert. Baris Altintas, von der Menschenrechtsorganisation Media Law Studies Association (MLSA), die den Prozess im Hochsicherheitsgefängnis Silivri beobachtet hat, sieht einen außenpolitischen Zusammenhang in dem anfänglichen Freispruch. : Die Türkei, so die Stiftungspartnerin im Gespräch mit freiheit.org, sei zuletzt diplomatisch stark in die Isolation geraten. „Dies war ein Versuch, die Beziehungen zu Europa zu verbessern“, so die Aktivistin. Gleichwohl – auf diesen Punkt legt die Stiftungspartnerin Wert – sei der Freispruch für Osman Kavala nicht das Ende des türkischen Dramas: „Dies ist keinesfalls ein Beweis, dass die Türkei zur Demokratie zurückkehrt.“ Das Gespräch mit Frau Altintas hatten wir vor der anfänglichen Urteilsverkündung geführt. Ihr Mißtrauen in Bezug auf die Qualitäten des Rechtssystems und der Demokratie in der Türkei sollte wenig später bestätigt werden. 

Während die Diskussionen über die Hintergründe der Justiz-Volte im Fall des prominenten Häftlings weitergehen werden, sind sich die vielen Freunde und Unterstützer Osman Kavals in einem Punkt  einig: Mit Rechtsstaatlichkeit haben die Verfahren gegen ihn wenig zu tun. Wäre es mit rechten Dingen zugegangen, wäre Kavala gar nicht erst in die Lage gekommen, in der er heute ist. 

 

Dr. Ronald Meinardus ist Projektleiter des Stiftungsbüros in der Türkei mit Sitz in Istanbul.