Globale Arbeitsteilung
Köpfe der Welt, vereinigt Euch!
Das Ganze fand an einem symbolträchtigen Datum statt: dem 60. Jahrestag der Gründung der Republik Kenia. Das ist natürlich ein Tag zum Feiern, und die kenianischen Gastgeber nutzten ihn mit einer wunderbaren Musik- und Tanzveranstaltung am frühen Morgen. Der Rest des Morgens war jedoch - wie schon der ganze Vortag - einer intensiven Diskussion über die Idee vorbehalten, die einer neuen Arbeitsteilung zwischen zwei benachbarten Kontinenten zugrunde liegt. Es ging um Afrika und Europa, die nur durch das Mittelmeer voneinander getrennt sind.
Worin besteht diese Idee? In der Theorie ist sie sehr einfach. Europa ist ein alternder Kontinent. Obwohl der alte Kontinent in vielen Bereichen technologisch in Führung liegt, wird er in den kommenden Jahrzehnten nicht über genug kluge Köpfe verfügen, um seine Innovationsfähigkeit zu erhalten und weiterzuentwickeln. In Afrika ist die Situation fast genau umgekehrt: Es gibt viele junge, hoch motivierte, potenziell qualifizierte Menschen mit einer starken Affinität zu modernen, digitalisierten Technologien, aber nicht genügend Arbeitsplätze, um diese Potenziale voll auszuschöpfen. Zur Erinnerung: In Deutschland liegt das Durchschnittsalter der Bevölkerung bei etwa 45 Jahren, in Kenia bei unter 20 Jahren.
Die große Chance, dieses Ungleichgewicht zu überbrücken, liegt im Aufstieg und in der Leistungsfähigkeit der modernen digitalen Netzwerke. Heute können schwere, digitale Datenpakete mit komplexen Informationen in Sekundenschnelle zwischen den Kontinenten verschickt werden. Und das ermöglicht es begabten Menschen im Globalen Süden, große Teile der Wertschöpfung in Industrie und Dienstleistung zu übernehmen, sich dafür gut bezahlen zu lassen und die erforderlichen Fähigkeiten möglicherweise als Ausgangspunkt für eine unternehmerische Tätigkeit vor Ort in Afrika zu nutzen. Dieses Modell der Entwicklung und Partnerschaft ist natürlich nicht neu. Es hat sich zum Beispiel als Wachstumsmotor im indischen Bengalore erwiesen, das sich zu einem großen digitalen Dienstleistungszentrum der Spitzenklasse entwickelte und so dazu beitrug, sich selbst und benachbarte Gebiete in Indien aus der Armut zu ziehen. Ähnliche Muster könnten sich möglicherweise in der sogenannten globalen Gig-Economy der freiberuflichen Dienstleister entwickeln, die von der Weltbank untersucht wurde.
Warum also nicht in Kenia? Und warum nicht generell in Afrika, vor allem in den städtischen Zentren, deren Wachstum dann auf entlegenere Gebiete übergreifen kann, wie es typischerweise geschieht, wenn sich moderne städtische Dynamik entfaltet? Klar ist: Es gibt viele Engpässe auf dem Weg zu einem solchen nachhaltigen Wachstumspfad. Wichtige Fragen sind noch unbeantwortet: Wer lehrt die Fertigkeiten, die für technische digitale Spitzenarbeit erforderlich sind? Wer stellt das nötige dichte und effiziente Kommunikationsnetz zur Verfügung? Wer garantiert die Rechte der afrikanischen Beschäftigten, um die Ausbeutung lokaler Arbeitskräfte durch mächtige Technologieunternehmen aus Europa zu verhindern? Wer ebnet den Weg zu einer Verstärkung der Wachstumsimpulse durch Direktinvestitionen, damit eines Tages nicht nur afrikanische Arbeit in die globale Wertschöpfungskette integriert wird, sondern auch mehr Investitionen der Hochtechnologie aus Europa und konkrete physische Produktion den Weg nach Afrika finden? Und wer sensibilisiert den europäischen - und vor allem den deutschen – gewerblichen Mittelstand für die neuen Möglichkeiten - ganz zu schweigen von der Überwindung der Sprachbarrieren?
Offensichtlich müssen Fragen über Fragen von Politik und Wirtschaft beantwortet werden. Jeder muss seine Hausaufgaben machen, in Europa und in Afrika, in Deutschland und Kenia. Eine von der FNF in Auftrag gegebene - und von IPSOS durchgeführte - Umfrage unter britischen und deutschen Geschäftsleuten hat immerhin schon gezeigt, dass diese den neuen Möglichkeiten gegenüber recht aufgeschlossen sind und sich im Allgemeinen zuversichtlich zeigen, die Hürden zu überwinden. Und man beachte: In beiden Ländern fiel das allgemeine Urteil trotz ihrer unterschiedlichen Business-Traditionen und Afrika-Erfahrungen gleichermaßen optimistisch aus.
Fazit: Die FNF-Konferenz in Nairobi hat den Boden für weitere Untersuchungen und Diskussionen bereitet. Sie hat die Tür zu einer neuen Sichtweise der Globalisierung aufgestoßen - und zwar einer optimistischen. In einem einstündigen Gespräch mit Eric Latif, einem kenianischen intellektuellen Starjournalisten, und seinem Team erörterte FNF-Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Paqué im nationalen Rundfunk wichtige Fragen zu den Hoffnungen und Sorgen in Afrika sowie den Vorstellungen in Europa. Es zeigte sich, dass der Weg zu einem großen Ziel, wie immer in der Wirtschaft, verschlungen und komplex ist. Aber es gibt eine Stimmung des Aufbruchs. Versuchen wir es einfach! Schließlich kann das Zusammenführen von Fähigkeiten durch die moderne Technologie ein viel besserer Weg der Entwicklung und Partnerschaft sein als die Migration von Menschenmassen aus dem Globalen Süden in den Globalen Norden. Es sind eben vor allem die Ideen, die zwischen Kontinenten wandern sollten, nicht die Menschen.