Südkorea
Masken, Handschuhe, Desinfektion: Einzigartige Parlamentswahlen in Südkorea
Präsident Moon Jae-in und seine Regierung haben sich in der Krise als erfolgreiche Macher profiliert und können nun mit einer 3/5-Mehrheit im Rücken regieren. Die Bevölkerung ist wieder näher an die Politik gerückt.
Schon lange war klar, dass die Parlamentswahlen zu einer Nagelprobe für den Präsidenten werden würden. Für ihn entschied sich, ob seine ambitionierte, bislang aber nur teilweise erfolgreiche Politik weiterführen und große politische Projekte abschließen könnte. Zum Jahreswechsel waren die Zustimmungsraten in der Bevölkerung der 30%-Marke bedrohlich nahegekommen. Es hätte sich wohl im ganzen Land niemand gefunden, der einen nennenswerten Betrag auf ein Comeback der regierenden Demokratischen Partei (DPK) gewettet hätte. Doch dann kam Covid-19. Knapp sieben Wochen vor der Wahl erreicht die Krise mit 909 Neuinfektionen an einem Tag ihren Höhepunkt. Am Wahltag waren es nur noch 27 Neuinfektionen. Eine beeindruckende, erfolgreiche Krisenbewältigung der Regierung brachte ihr nun den Wahlsieg. Täglich hatten Präsident und Minister ihre Entschlossenheit gezeigt. Ihre Schnelligkeit bei der sofortigen Umsetzung von Maßnahmen war enorm, sie zeigten Innovationskraft und Handlungskompetenz. Der Präsident und sein Kabinett hatten viele Gelegenheiten, zu glänzen. Sie nutzen sie. Nicht nur bei den Wählern des Landes, sondern weltweit erwarb sich Südkorea Anerkennung und Respekt.
Der Erdrutschsieg der Demokratischen Partei (DPK) und ihrer Schwesterpartei „Together Citizens“ (TCP) bringt dem Bündnis um Präsident Moon nun eine satte 3/5-Mehrheit. Damit werden sich die meisten Gesetze zukünftig im Schnelldurchlauf verabschieden lassen. Beobachter bemerkten, dass das Regierungsbündnis im Parlament außer Verfassungsänderungen, für die eine Zweidrittelmehrheit benötigt wird, nunmehr „praktisch alles machen“ kann: das Regierungslager hält fortan 180 der 300 Parlamentssitze.
Das erst im Februar gegründete Oppositionsbündnis „United Future Party“ (UFP) und ihre Partner errangen insgesamt nur 101 Parlamentssitze. Es landete weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz und muss sich nun auf frustrierende Jahre einstellen.
Hohe Wahlbeteiligung, konsequente Desinfektion, viele Parteien
Die Wahl kann nicht nur wegen der besonderen Rahmenbedingungen als historisch bezeichnet werden. Zu verzeichnen war die höchste Wahlbeteiligung seit 28 Jahren: 29 Millionen Südkoreaner gaben ihre Stimme ab, 66,2 Prozent der Wahlberechtigten. 14.430 Wahllokale hatten bis 18.00 Uhr geöffnet. Die hohe Wahlbeteiligung wurde früh deutlich, nie zuvor hatten so viele Wahlbürger bereits zur Mittagszeit gewählt. Die Durchführung der Wahl stand im Zeichen umfangreicher Maßnahmen zur Vermeidung von Ansteckung mit dem Coronavirus. Zugang zum Wahllokal gab es nur mit Mundschutz, in den Warteschlangen galt das Abstandgebot, am Eingang wurde die Körpertemperatur gemessen. Vor der Stimmabgabe wurden Einmalhandschuhe ausgehändigt.
Als dann nach Schließung der Wahllokale die Stimmzettel gesichtet und ausgezählt wurden, war es unvermeidlich, dass sich eine Vielzahl von Wahlhelfern in einem Raum aufhalten mussten. Alle waren mit Schutzmasken und –kleidung ausgestattet. Sie sahen sich im hochtechnisierten Südkorea mit einer neuartigen Herausforderung konfrontiert: Da dieses Mal die Rekordzahl von 35 Parteien zur Wahl stand, waren die Wahlzettel so riesig, dass die sonst üblichen Automaten sie nicht verarbeiten konnten. Die Auszählung erfolgte händisch.
Gestiegenes Vertrauen in die Politik, gestärkte Demokratie
In den vergangenen Monaten hat sich eine zuvor durchaus verbreitete Politikmüdigkeit spürbar abgeschwächt. Die Politik hat in Zeiten der Krise Handlungsfähigkeit bewiesen. Die Menschen Südkoreas haben am eigenen Leibe erfahren, wie unmittelbar politische Entscheidungen ihr eigenes Leben betreffen. Die Menschen sind in den vergangenen Wochen wieder näher an die Politik gerückt. Sie wissen, dass die Zeit „nach Corona“ wahrscheinlich noch härter werden wird. Denn viele Menschen müssen jetzt um ihre wirtschaftliche Existenz bangen.
Dass die in Südkorea sonst meist sehr ernsthaft daherkommende Politik zumindest am Wahlabend sehr lustig sein kann, zeigt sich übrigens in einigen Fernsehsendern und Sozialen Medien des Landes. Mit höchstem Engagement versuchen sie, bei der Verkündung der Wahlergebnisse die Originellsten zu sein, was den Übergang in die Mühen der Ebene recht unterhaltsam werden lässt.
Dr. Christian Taaks leitet das Korea-Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er lebt in Seoul.