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Kosovo-Konflik
Neue Grenzziehung auf dem Westbalkan?

Chancen und Gefahren einer Grenzänderungen anhand ethnischer Linien zwischen Serbien und Kosovo
Graffitti

Schriftzug "Kosovo ist heiliges serbisches Land" am Stadion von FK Partizan in Belgrad

© FNF

In der Frage der Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo zeichnet sich eine neue Option ab. Eine Neuziehung der Grenzen wird erstmals von beiden Akteuren öffentlich in Erwägung gezogen. Ob das zu langfristiger Stabilität im Westbalkan führt ist fraglich.

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn nannte es einen historischen Moment: Während des jährlichen Forum Alpbach haben die Präsidenten Serbiens und des Kosovo erstmals auf internationaler Bühne klargestellt, dass sie Grenzänderungen anhand ethnischer Linien zwischen beiden Staaten nicht ausschließen, um einen Friedensvertrag zu schließen. Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi sagten in Tirol, dass keine Option ausgeschlossen werden dürfte. Für Brüssel gelten Grenzänderungen als eine rote Linie. Noch vor zwei Wochen hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel neue Grenzen zwischen Belgrad und Pristina ausgeschlossen.

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Am 24. August stellte John Bolton, Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, klar, dass für die USA diese Linie nicht mehr gilt. Das könnte das ausschlaggebende Signal für Thaçi und Vučić gewesen sein, um in die verbale Offensive zu gehen. Auf einem Panel mit beiden Staatsoberhäuptern war Kommissar Hahn dann auch sichtlich um eine diplomatische Antwort bemüht. Nichts sollte als Lösungsvorschlag ausgeschlossen werden, aber beide Parteien müssten garantieren, dass eine wie auch immer aussehende Lösung, nicht die Nachbarländer destabilisiere. Ob diese Haltung von der Mehrheit der Länder im EU-Rat geteilt wird, muss sich erst noch zeigen.

Neuordnung könnte Dominoeffekt auslösen

So positiv ein neues Momentum in den Verhandlungen zwischen Serbien und Kosovo wäre, so birgt die Idee neuer Grenzen auch politischen Sprengstoff in einer multiethnischen Region wie dem Westbalkan. Serben leben in Kosovo, Kroatien oder Bosnien-Herzegowina, Bosniaken in Serbien, Albaner in Mazedonien, Montenegro und Serbien und Griechen in Albanien. Kurz: Der Westbalkan ist ein ethnischer und religiöser Flickenteppich. Die Kriege, die zum Zerfall Jugoslawiens führten, haben nicht zu ethnisch homogenen neuen Staaten geführt und die Wunden, geschlagen durch Gewalt und Vertreibung, sind noch nicht verheilt.

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Die meistgenannte Idee zur Neugliederung des Kosovo sieht einen Austausch zweier Territorien vor: Der nördliche Teil Kosovos um die Stadt Mitrovica mit mehrheitlich serbischer Bevölkerung könnte getauscht werden gegen das in Südserbien gelegene albanisch-dominierte Preševo-Tal. So logisch das auf der Landkarte aussieht, so groß sind die Sorgen, dass eine solche Einigung zu einem Dominoeffekt führen könnte. Beispielsweise im notorisch instabilen Nachbarland Bosnien-Herzegowina, das aus den beiden Entitäten Föderation Bosnien und Herzegowina (mehrheitlich von Bosniaken und bosnischen Kroaten bevölkert) und der Republika Srpska (mehrheitlich von bosnischen Serben bevölkert) besteht. Der ultranationalistische Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, macht kein Hehl daraus, dass er sein Land gerne als Teil Serbiens sähe und droht regelmäßig mit einer Volksabstimmung, die zum Anschluss an das Nachbarland führen könnte. Solche Gedankenspiele könnte Rückenwind für die Nationalisten in der gesamten Region bedeuten. Es gäbe kein logisches Argument mehr, warum Änderungen der Grenzverläufe nicht wieder auf die politische Agenda gesetzt werden könnten

Hinzu kommt, dass eine Einigung auf einen Landtausch zwischen Prishtina und Belgrad wichtige Probleme nicht löst: Einerseits leben etwas mehr als die Hälfte der ca. 150.000 Serben in Kosovo in Enklaven südlich Mitrovicas und die heiligen Stätten der serbischen Kirche befinden sich in ganz Kosovo verteilt. Unklar ist, wie eine nachhaltige Einigung, die der serbischen Minderheit ihre Rechte garantiert und nicht zum Exodus führt, aussehen soll.

Ob kollektivistisches Denken in der Region zu Stabilität und Prosperität führt ist fraglich. Auf ethnischer Basis geführte Kriege haben die Region Jahrzehnte zurückgeworfen, den Begriff der Balkanisierung geprägt und am multiethnischen Charakter der Gesellschaften wenig geändert. Der nicht einfache, aber erfolgversprechende Weg scheint die Anerkennung dieser Realität und ein Zusammenleben mit garantierten Minderheitenrechten und gegenseitiger Toleranz zu sein.

Ruben Dieckhoff ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für den Westbalkan.

Für Medienanfragen kontaktieren Sie unseren Westbalkan-Experten der Stiftung für die Freiheit:

Ruben Dieckhoff
Ruben Dieckhoff