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Antisemitismus
Offener Hass und Drohungen gegen Juden steigen an

Interview mit dem Rapper Ben Salomo
Ben Salomo

Ben Salomo

© Thomas Köhler photothek.de

Seit Jahren organisiert die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit deutschlandweit Veranstaltungen an Schulen zur Sensibilisierung gegen Antisemitismus. An inzwischen über 500 Veranstaltungen an Schulen kam dabei der Rapper Ben Salomo mit unterschiedlichen Moderatoren der Stiftung zum Einsatz, um mit Schülern über seine eigene Biografie, über Antisemitismus, mit und ohne Zusammenhang mit seiner zweiten Heimat Israel ins Gespräch zu kommen. Ben Salomo erlangte als Gründer des Erfolgsformats „Rap am Mittwoch“ große Bekanntheit, bis er wegen des grassierenden Antisemitismus in der Hip-Hop-Szene 2018 ausstieg und seine Erfahrungen im autobiografischen Buch “Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens” verarbeitete. Als Rapper und Songwriter thematisiert er selbstbewusst seine jüdische und israelische Identität und bleibt damit eine absolute Ausnahme in der deutschen Hip-Hop-Szene, die traurigerweise häufig durch antisemitische, israelfeindliche, homophobe und frauenverachtende Beiträge auffällt. Am Freitag, den 3. November 2023 veröffentlichte er auf Instagram seinen neuen Song “Kämpf Allein”. Als Antwort auf den antisemitischen Schlachtruf von Pro-Palästinensischen Demonstranten in Berlin im Jahr 2014 “Jude, Jude, feiges Schwein, kaum heraus und kämpf allein!” thematisiert Ben Salomo provokativ seine kämpferische Haltung gegen Judenhass, und israelbezogenen Antisemitismus.

Freiheit.org Du hast gerade Deinen neuen Song “Kämpf Allein” veröffentlicht. Du kommunizierst da ziemlich laut Deinen Frust zu Antisemitismus in Deutschland und Israel als Feindbild. Ist es Zufall, dass Du ihn gerade jetzt veröffentlicht hast?
Ben Salomo: Natürlich ist das kein Zufall. Ein gemeinsamer Freund hatte mich noch vor ein paar Monaten vor einer Veröffentlichung gewarnt und meinte, dass ich zwar wichtiges anspräche, aber die Debatte in Deutschland noch nicht offen für so schmerzhafte Thesen sei. Seit dem Horror des 7.10. ist alles anders. Zum ersten Mal hat eine breite Öffentlichkeit gesehen, was ich seit Jahren in den Schulen beobachte: antisemitischer Hass breitet sich aus und erobert den öffentlichen Raum. In Berlin und anderen deutschen Großstädten hat man heute leider wieder Angst, Jude zu sein. Offener Hass und Drohungen gegen Juden steigen an, diese gefährlichen Entwicklungen versuche ich seit Jahren in meinen Songs zu thematisieren, um die Gesellschaft wachzurütteln.

Du bist vermutlich der Erste, der die aktuell gefühlte Machtlosigkeit gegenüber einem sichtbaren neuen Antisemitismus in einem Song verarbeitet hat. Du zeigst, wie offen die Hassparolen in die Öffentlichkeit gedrungen sind und, dass man gegen sie aufstehen kann. Aber meinst Du nicht auch, dass nicht jeder, der “Free Palestine” ruft, ein Antisemit sein muss und Du zu scharf über die Vereinten Nationen urteilst?
Der Inhalt meines Songs stammt ja aus meinem eigenen Erleben. Durch Hip-Hop und mein Engagement an Schulen kenne ich schon lange diesen Antisemitismus am eigenen Leib. Leider gehört zu dem Ausruf “Free Palestine” fast immer der Zusatz “from the river to the sea”, womit explizit kein Israel mehr existieren soll. Vor zwei Wochen hatten linke Demonstranten vor dem Auswärtigen Land dann einmal nach “Free Palestine” “from German guilt” skandiert. Bis dahin dachten wir alle nur Rechtsradikale wie Björn Höcke von der AfD wollten Deutschland von seiner historischen Verantwortung befreien. Und wenn dann in den Vereinten Nationen (VN) von Ländern wie Iran oder Syrien eine Anti-Israel Resolution nach der anderen eingebracht und von der Mehrheit der Länder verabschiedet werden, wirkt die ganze Institution schwach, inkonsistent und verlogen. Ich hoffe, ich habe niemanden verletzt, aber mein Song soll aufrütteln.

Du erlebst ja leider seit Jahren mit Deinem Einsatz gegen Antisemitismus unzählige Anfeindungen und Drohungen. Wie bedrohlich schätzt Du die aktuelle Lage ein?
Also ich kriege normalerweise wöchentlich 2-3 Nachrichten über die sozialen Netzwerke, von Beleidigungen bis Drohungen. Seit dem 7.10. sind das mehr als ein Dutzend am Tag. Und ich ahne, dass das mit diesem Song noch dramatischer ansteigen wird. Ich erhalte zur Zeit sehr sehr viele Beleidigungen und häufig Morddrohungen und Drohungen wie: “Wenn ich Dich irgendwann in Berlin sehe, werde ich Dich kriegen”. Weil ich so viele davon erhalte, stehe ich schon lange eng im Kontakt mit einer Hilfsorganisation, die bei antisemitischer Gewalt und Hetze im Netz hilft. Und wir haben inzwischen auch einen sehr direkten Draht zur Berliner Staatsanwaltschaft und ich bringe alles, was irgendwie für mich justiziabel aussieht, zur Anzeige.

Helfen denn solche Anzeigen?
Ich glaube, es hilft schon wenn man überhaupt eine Organisation an der Seite hat, der man diesen ungefilterten Hass weiterleiten kann, dass man sich nicht mit den Formalitäten einer Anzeige befassen muss. Das hilft auch, dass ich psychisch mit diesen Drohungen, mit diesen ganzen Anfeindungen besser umgehen kann. Wenn Drohungen oder Beleidigung dann zur Anzeige gebracht wurden, ist es halt immer eine Frage, ob man überhaupt die Menschen hinter den Profilen herausfinden kann. Wenn man sie dann findet, dann entsteht nicht selten ein Verfahren. Aber selbst bei erfolgreichen Verfahren sind die Bußgelder noch viel zu niedrig, um abschreckend zu wirken. Ich habe den Fall erlebt, dass einer nach einer Geldstrafe einfach trotzdem weitergehetzt hat. Das ist bedrohlich und das zeigt mir, dass die Strafen erhöht werden müssen. Denn die Leute dürfen nicht denken, dass das Internet ein rechtsfreier Raum ist.

Erlebst Du solche Anfeindungen auch jenseits der virtuellen Welt? Bei Deinem Engagement gegen Antisemitismus tourst Du ja seit Jahren mit der Stiftung durch die Schulen.
Unsere gemeinsame Arbeit gegen Antisemitismus und Extremismus hat halt zwei Seiten. Die eine Seite ist, dass man auf jeden Fall sehr positive Impulse setzen kann bei jungen Erwachsenen und auch bei Lehrerinnen und Lehrern, die oft genauso viel nachzuholen haben bei dem Thema. Gleichzeitig bedeutet diese Arbeit aber auch eine permanente Erinnerung an die Phänomene Antisemitismus und Judenhass, die ich leider schon seit meiner Kindheit erleben musste und mich irgendwo auch retraumatisierten, besonders wenn während meiner Vorträge selbst antisemitischen Vorfälle stattfinden. Weil ich halt auch als öffentliche Person in Erscheinung trete mit meiner jüdischen Identität, als Rapper und Musiker, ziehe ich natürlich noch zusätzlich den Hass dieser Leute auf mich. Und das hat dazu geführt, dass ich inzwischen Schutzperson des deutschen Staatsschutzes bin. Das bedeutet, dass ich mich in deutschen Großstädten nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen darf und bei öffentlichen Veranstaltungen gewisse Sicherheitskonzepte entwickelt werden müssen.

Was meinst du, muss man in Deutschland dafür tun, dass Du Dich bei Deinem Engagement wieder frei bewegen kannst?
Am wichtigsten ist, dass in der gesamten Gesellschaft endlich mal die Augen aufgehen, dass wir eben diese judenfeindlichen Strukturen schon lange in Deutschland haben. Daran will auch mein Song erinnern. Man muss aufhören, Terrorgruppen und islamistische Hassprediger zu relativieren oder sie zu verharmlosen und so zu tun, als seien sie nur Opfer von eigenen Rassismuserfahrungen in Deutschland. Dass Menschen mit Migrationshintergrund weiter in Deutschland Rassismus erfahren, ist ein echtes Problem. Aber die judenhassende Ideologie des Islamismus bei Hamas bis Hisbollah und andere Ideologien des Israelhasses gab es schon davor. Wir müssen die Quellen kappen, woher diese Leute ihren Hass und toxischen Feindbildkonstruktion herkriegen. An die Familien kommen wir nicht so leicht, aber es gibt Propagandaseiten in den sozialen Netzwerken, ähnlich wie von Russia Today für russische Propaganda. Dazu gehört auch Al Jazeera, die sehr aggressiven anti-israelische Narrative streut. Gegen Hasspropaganda im Netz muss härter durchgegriffen werden und gegebenenfalls Verbots- und Betätigungsverbotsverfahren angestrebt werden.

Zuletzt: Was erwartest Du denn von der deutschen Politik?
Diese Frage wurde mir immer wieder gestellt. Und ich antworte da seit langem immer wieder dasselbe. Erst seit dem 07.10. hat die Bundesregierung entsprechend der Forderung der FDP endlich alle Finanzströme in die Palästinensischen Gebiete auf den Prüfstand gebracht. Das wäre schon lange notwendig gewesen, um Terrorfinanzierung zu verhindern. Da braucht es allgemein klarere Rote Linien, dass deutsche Entwicklungsgelder nicht Israel- und Judenhass unterstützen dürfen. Jeder Euro muss da geprüft werden. Und ich erhoffe mir von der deutschen Politik dauerhaft die gleiche Klarheit, die die vielen Solidaritätsbekundungen mit Israel suggerieren.