EN

Belgien
Politisches Spektakel „à la belge“

In der Wallonie übernehmen die Liberalen die Regionalregierung
Wallonie, Provinz Luxemburg, Belgien

Wallonie, Provinz Luxemburg, Belgien

© iStock/ brytta

Spätestens seit dem letzten Herbst kennt man auch außerhalb Belgiens die Region Wallonie und weiß, dass sie durchaus für politische Spektakel zu haben ist. Damals hielt der Premierminister, Paul Magnette, Europa und Kanada in Atem, als er vorübergehend das Freihandelsabkommen CETA blockierte. Nur einige Monate später, im Juli 2017, musste er nun seinen Hut nehmen. Mit CETA hat das allerdings nichts zu tun. Vielmehr stolperte seine sozialistische Partei (PS) nach mehr als dreißig Jahren in der Regierung über die PS-Müdigkeit der Wallonen und skandalöse Verflechtungen der Partei mit kommunalen Unternehmen. Als unerwarteter Gewinner geht das liberale Mouvement Réformateur (MR) aus diesem Spektakel hervor, die Partei von Belgiens Regierungschef Charles Michel. Denn das MR übernimmt nun zusammen mit den Zentrumsdemokraten die Führungsrolle in der Region Wallonie.

Wer an einem schönen Sommertag in die Wallonie fährt, der kann sein Auge über weite, saftige Wiesen schweifen lassen, durch tiefgrüne Wälder wandern und geschlängelte Flusstäler mit dem Kanu erkunden. Nicht umsonst ist die Wallonie bei den Belgiern im Sommer ein beliebtes Ausflugsziel. Eine Sommerpause kann sich die wallonische Regionalregierung in diesem Jahr allerdings nicht leisten, denn sie ist erst seit drei Wochen im Amt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Wallonie wurde in einer laufenden Legislaturperiode eine Regierungskoalition aufgelöst – und zum ersten Mal seit den 1980er Jahren steht der Regionalregierung mit Willy Borsus wieder ein liberaler Premierminister vor.

Der Niedergang der Sozialisten

Dabei ist die Erfolgsgeschichte der Liberalen vor allem eine Misserfolgsgeschichte der Sozialisten: „Man kann seit längerem sehen, dass die Beliebtheit der PS in der Wallonie sinkt“, erklärt Amédée de Radzitzky, ein politischer Analyst in Brüssel. „Stimmen, die traditionell an die PS gingen, gehen jetzt an die Linken, an die Arbeiterpartei PTB. Natürlich hat die PS versucht, mit Hilfe eines Politikschwenks nach links diese Stimmen zurückzuerobern; damit hat sie aber vor allem ihren Koalitionspartner, die cdH (Centre Démocrate Humaniste), verärgert.“

Den Wähler konnte die PS mit ihrer Neuausrichtung auch nicht überzeugen. Wie so oft scheint zu gelten: Wer wählt die Kopie, wenn er das Original haben kann? Meinungsumfragen zufolge steht die PS derzeit nur noch bei 16 Prozent und hat damit ihren Wert im Vergleich zum Wahlergebnis von 2014 halbiert. Explodiert sind seitdem die Beliebtheitswerte der Linken.

Genug der Skandale!

Doch es war nicht nur die neue Kraft von links, die den Globalisierungskritiker Magnette zu Fall brachte. Für Empörung über die Grenzen der Wallonie hinaus hatten mehrere Skandale gesorgt, in denen PS-Politiker horrende Summen für Posten in Verwaltungs- und Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen kassiert hatten. „Andere Parteien sind ebenfalls in den Skandal eingebunden“, erklärt der Analyst de Radzitzky, „doch keine Partei war so tief verwickelt wie die PS. Noch dazu sind einige PS-Politiker Architekten dieser komplexen Strukturen gewesen. Schockierend war für viele Menschen aber vor allem, dass die involvierten Politiker der PS sich keineswegs reumütig zeigten und zum Teil mit einem schockierenden Verhalten vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgetreten sind.“

Der kleine Koalitionspartner, die Zentrumsdemokraten der cdH, nutzte die Gelegenheit, um das inzwischen ungeliebte Koalitionsbündnis aufzukündigen. Als Alternative für die ehemalige konservative Partei der Wallonie kam nur ein knappes Mehrheitsbündnis mit dem liberalen Mouvement Réformateur (MR) in Frage, das in aktuellen Meinungsumfragen vor den Sozialisten und den Zentrumsdemokraten liegt.

19 Monate, um sich zu beweisen

Als Konsequenz aus den letzten, turbulenten Monaten in der wallonischen Politik hat sich die neue Koalition ein klares Ziel gesetzt: Man will sich verstärkt um eine gute Regierungsführung kümmern und für mehr Transparenz in öffentlichen Einrichtungen sorgen. Daneben wird auch die Wirtschaftspolitik eine wichtige Rolle in der strukturschwachen Wallonie spielen: Über 14 Prozent der Wallonen sind derzeit arbeitslos, doppelt so viele wie in der Region Flandern. Ob sich die neue Regierung im Zuge der CETA-Ratifizierung auch wieder auf die Weltbühne wagt, bleibt mit Blick auf die nur kurze verbleibende Regierungszeit fraglich. Etwa 19 Monate bleiben Willy Borsus und seinem Kabinett, um die Wallonen zu überzeugen, dass die Alternative zur PS nicht links liegt – sondern in der Mitte.

Caroline Margaux Haury ist European Affairs Managerin der Stiftung für die Freiheit in Brüssel.