Streichung §219a
Rechtlich unsicher
Die Entscheidung einer Frau, ein Kind zu bekommen oder nicht, ist höchst persönlich. Diese Selbstbestimmung kommt immer mehr unter Druck. So zeichnet sich in einem Urteilsentwurf des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten für Bundesstaaten die Möglichkeit ab, ein absolutes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zu verhängen. Staaten wie Texas und Oklahoma haben bereits Tatsachen geschaffen und verbieten Abbrüche vom ersten Herzschlag des Kindes an, der in der Regel in der sechsten Schwangerschaftswoche erfolgt – also zu einem Zeitpunkt, in dem vielen Frauen ihre Schwangerschaft noch gar nicht bekannt ist. Die Nachricht trieb Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten auf die Straße.
In Polen sind derartige Proteste schon an der Tagesord- nung. Im vergangenen Jahr wurde dort ein nahezu vollständiges Abtreibungsverbot verhängt, mit verheerenden Folgen: Seit Inkrafttreten hat es bereits mindestens zwei Frauen das Leben gekostet. Sie starben nach dem Tod eines Fötus an einer Blutvergiftung, weil die Ärzte nicht eingriffen. Mittlerweile gibt es Organisationen, die Polinnen dabei unterstüt- zen, einen Schwangerschaftsabbruch in Deutschland vornehmen zu lassen.
Bevormundung der Frauen
In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Voraussetzungen tatsächlich strafbefreit möglich. Das enge Korsett der Strafgesetze, das für Ärzte und Ärztinnen schwierige Bedingungen schafft, hat die Versorgungssituation jedoch verschlechtert. Es gilt deshalb, über einen veränderten gesetzlichen Rahmen nachzudenken, der die Versorgung nachhaltig verbessert. Eine unzureichende Versorgung führt nicht etwa zu weniger Abbrüchen, son- dern gefährdet die körperliche Unversehrtheit von Frauen. Schwangerschaftsabbrüche unter unsicheren Bedingungen sind statistisch eine (vermeidbare) Hauptursache für den Tod von Frauen im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft. Es ist eine Bevormundung der Frau und ein anmaßender Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung, wenn zwar das Recht den Abbruch unter bestimmten Voraussetzungen zulässt, dieser aber faktisch verhindert wird oder es billigend in Kauf genommen wird, dass er nicht oder nicht fachgerecht durchgeführt wird.
Auch die Bundesländer müssen handeln
Im aktuellen rechtlichen Rahmen ist es Ärztinnen und Ärz- ten nicht möglich, öffentlich über Schwangerschaftsabbrü- che aufzuklären, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Dieser Missstand liegt im § 219a Strafgesetzbuch begründet. Grundlegende Voraussetzung für die Selbstbestimmung in allen Lebenslagen, fundamentaler Bestandteil des liberalen Leitbilds, ist der freie Zugang zu Informationen. Es ist daher folgerichtig, dass der liberale Justizminister Marco Buschmann die Abschaffung von § 219a als seine erste Amts- handlung sieht. Mitte Mai hat er einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht.
Diese Reform allein reicht jedoch nicht aus. Auch die Bundesländer müssen handeln und ihrem Auftrag gemäß „Schwangerschaftskonfliktgesetz“ gerecht werden. Sie müssen sicherstellen, dass Schwangere ein medizinisches Angebot zur Beendigung ihrer Schwangerschaft vorfinden. Das Statistische Bundesamt hat jedoch ein sinkendes Angebot an praktizierenden Ärztinnen und Ärzten festgestellt, die Abbrüche durchführen. Im Jahr 2003 gab es noch etwa 2050 Praxen und Kliniken, die den Eingriff durchführten; Ende 2020 waren es nur noch 1109. Das ist ein Rückgang von 46 Prozent bei gleichbleibendem Bedarf. In Niederbayern und der Oberpfalz gibt es gar keine Fachleute mehr, die Abtreibungen vornehmen können.
Die wesentliche Ursache dafür dürfte sein, dass sich Ärztinnen und Ärzte hier auf einem Feld voller rechtlicher Unsicherheiten bewegen und Gefahr laufen, sich strafbar zu machen. Der Mangel liegt aber auch schon daran, dass Schwangerschaftsabbrüche überhaupt kein regulärer Bestandteil des Medizinstudiums oder der fachärztlichen Aus- bildung in der Gynäkologie sind. Um diese Lücke zu schlie- ßen, hat die Ampelkoalition beschlossen, dass Abbrüche künftig Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein sol- len. Auch soll der Eingriff gebührenfrei möglich sein.
Eine nachhaltige Stärkung der reproduktiven Rechte der Frau erreichen wir jedoch nur, wenn wir uns auch mit § 218 und § 218a Strafgesetzbuch auseinandersetzen. Die geplante „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ gibt uns die Chance, dafür einen zeitgemäßen Rahmen zu finden.
Kein „ausgewogener Kompromiss“
Eine Reform von § 218 und § 218a Strafgesetzbuch außerhalb des Strafrechts wird in der Diskussion regelmäßig mit Verweis auf die Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 1975 und 1993 für verfassungsrechtlich unmöglich erklärt. Dabei hat sich die Bedeutung von körperlicher Selbstbestimmung als Grundrecht zuletzt, auch bei staatlichen Schutzpflichten gegenläufiger Natur, deutlich verändert. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts, die im Dreiecksverhältnis von Staat, ungeborenem Leben und schwangerer Frau derart einseitig zulasten der Schwangeren ausschlägt, dass ihr eine Rechtspflicht zum Austragen des Kindes auferlegt wird, ist nicht mehr zeitgemäß.
Oft ist auch zu hören, es sei ein ausgewogener „gesellschaftlicher Kompromiss“ erreicht worden, der nicht durch eine Neuregelung gefährdet werden solle. Dieser „Kompro- miss“ wurde indes weniger durch sozialen Diskurs oder par- lamentarische Debatten erreicht als durch Urteile des Bun- desverfassungsgerichts erzwungen. Sowohl 1974 als auch 1992 hatten die Bundesregierungen unter Beteiligung der FDP deutlich liberalere Lösungen verabschiedet. Beide Male waren die Parlamentarier als Repräsentanten der Bevölke- rung in ihrer Mehrheit progressiver als das Gericht.
Auch jetzt sollten Liberale Vordenker sein und die Debatte mitgestalten. Wir brauchen eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Status quo, einen Paradigmenwechsel zur Stärkung der reproduktiven Selbstbestimmung – und keine ideologisch aufgeladene Debatte. Die Gewährleistung einer guten medizinischen Versorgung sollte es uns wert sein.
Maren Jasper-Winter, promovierte Juristin, ist Mitglied im Vorstand der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Sprecherin für Arbeit, Integration, Frauen und berufliche Bildung der Freien Demokraten im Abgeordnetenhaus von Berlin.