Europäische Union
Schengen-Beitritt: Unklare Aussichten für Rumänien und Bulgarien
Am 1. Januar 2023 wird der Schengen-Raum endlich für Rumänien eröffnet werden, kündigte unlängst Ministerpräsident Nicolae Ciucă an. Doch diesem Optimismus verpasste vergangene Woche noch vor der EP-Abstimmung der niederländische Premierminister Mark Rutte einen Dämpfer. „Es braucht noch Zeit“, sagte er im Rahmen seines offiziellen Besuchs der niederländischen Nato-Truppen beim Trainingsgelände im Siebenbürgischen Cincu. Die Niederlande sind grundsätzlich nicht gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens, aber der Beitritt solle erst dann erfolgen, "wenn alle Bedingungen dafür erfüllt sind", so Rutte. Schon seit geraumer Zeit sind die Niederlande konstant der Hauptgegner einer Schengen-Mitgliedschaft Rumäniens, zumal sie den Beitritt mit dem Kooperations- und Überprüfungsmechanismus des Landes (MCV) verknüpft hatten. Und hier weist das Land in Sachen Rechtsstaatlichkeit große Mängel auf.
Das Schicksal Rumäniens und Bulgariens in den Händen niederländischer Innenpolitik
Tatsächlich scheint der Beitritt zur größten visumsfreien Zone der Welt „nur“ noch ein niederländisches (Innen)Politikum zu bleiben, zumal sowohl Olaf Scholz als auch Präsident Emanuel Macron ihre Zustimmung für den Beitritt Rumäniens schon verkündet haben. Dabei haben sich bei der EP-Abstimmung nicht nur seine konservativen liberalen EU-Parlamentarier der VVD enthalten, sondern auch das niederländische Parlament stimmte gestern mit großer Mehrheit einer Resolution zu, die gegen die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens gerichtet ist. Als Grund werden die allgegenwärtige Korruption und die Rechtsstaatlichkeitsprobleme beider Staaten angegeben.
Dagegen stimmten lediglich die Liberalen von D66: „Ich bedauere dies zutiefst. Meine Partei hat gegen diese Resolution gestimmt, wir wollen, dass Rumänien und Bulgarien sofort dem Schengen-Raum beitreten, Sie haben die notwendigen Kriterien erfüllt. Ich befürchte, dass der Ministerpräsident der niederländischen Regierung sehr wenig tut, um das niederländische Parlament zu überzeugen oder die Verantwortung zu übernehmen und zu sagen, dass er im Interesse Europas im Rat zustimmen wird“, so die niederländische EU-Abgeordnete Sophie in 't Veld gegenüber dem rumänischen Nachrichtenportal AGERPRES.
Die niederländische Verzögerungstaktik brachte in Rumänien die politischen Gemüter erneut in Wallung. Nationalisten gruben einen alten, in der Bevölkerung weit verbreiteten Vorwurf wieder aus, wonach die Niederlande den Hafen Rotterdam ökonomisch vor der Konkurrenz des Konstanza-Hafens am Schwarzen Meer schützen wollten. Dies widerspricht jeder geographischen und wirtschaftlichen Logik, zumal hier schon vom Handelsvolumen her Goliat mit David verglichen wird.
Rechtsstaatlichkeitsprobleme sind reell
Tatsächlich hat seit 2011 Rumänien 15 Mal versucht, seinen Antrag auf Beitritt zum Schengen-Raum auf die vorläufige Tagesordnung des Europäischen Rats für Justiz und Inneres zu setzen. Der letzte Antrag wurde im Jahr 2018 gestellt. Brüssel lehnte damals höflich ab und nannte zwei Gründe: Die Grenzpolizei nutze noch keine gemeinsame IT-Basis mit den übrigen EU-Staaten - und eben die Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz. Gerade hier scheint sich in diesem Jahr die Schieflage verstärkt zu haben.
Sinnbildlich dafür steht zum Beispiel der mutmaßliche Plagiatsfall der Doktorarbeit des Ministerpräsidenten selbst. Eine darauf spezialisierte investigative Journalistin deckte das Plagiat auf. Auch nach drei Reklamationen bei der einzigen zuständigen staatlichen Behörde konnte die Arbeit nicht zur Prüfung vorgelegt werden. Die Staatsanwaltschaft hatte sich nämlich proaktiv selbst eingeschaltet und die Doktorarbeit als Beweisstück beschlagnahmt. Ein Richter befand im Eilverfahren die Reklamationen für unrechtmäßig, um sich dann eine Woche später verrenten zu lassen. Indes liegt ein Gesetzesentwurf zur Reform des Bildungswesens vor, das u.a. die Auflösung der oben genannten Behörde vorsieht.
Schengen-Beitritt bleibt dann doch ein Politikum
Während Innenpolitiker im Chorus die Abkopplung der Schengen-Kriterien vom MCV-Bericht verlangen, übte sich der rumänische Präsident Klaus Iohannis in Schadensbegrenzung. Dafür vermied er auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Rutte, sich optimistisch zu äußern oder einen bestimmten Termin für den Schengen-Beitritt Rumäniens zu nennen. Er warnte jedoch davor, dass weitere Verzögerungen den Euroskeptizismus unter den Rumänen fördern würden.
Auch akzeptierte er die politische und nicht die technische Behandlung des Themas: "Es ist eine politische Entscheidung, und ja, es ist gut, dass es so ist (…) Wir dürfen keinen Fehler machen. Die Abstimmung im Bereich Justiz und Inneres hat eine starke politische Komponente. Für einen Konsens müssen alle davon überzeugt sein, dass die Regeln eingehalten werden, und das wollen wir auch. Schließlich stimmen in einer Demokratie die Politiker ab, die ihrerseits gewählt wurden", erklärte dazu Präsident Iohannis.
Wie sich nun die „politische Behandlung“ des Themas auf Rumänien und Bulgarien auswirken wird, wird sich wohl im erst Dezember zeigen. Ob Mark Rutte im Rat gegen die Empfehlung seines Parlaments handeln wird, hängt wohl stark auch mit der innenpolitischen Situation ab. Riskieren kann er in dieser Frage sogar seinen Posten. Letztendlich haben außer D66 alle drei anderen konservativen Regierungskoalitionspartner gegen die Aufnahme gestimmt und seine Koalition ist eher fragil als stabil.