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Bürokratieentlastungsgesetz
Weniger Bürokratie, mehr Fortschritt: Deutschlands dringende Reform

Überflüssige Bürokratie belastet die Unternehmen ebenso wie die Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltung.

Überflüssige Bürokratie belastet die Unternehmen ebenso wie die Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltung.

© picture alliance/dpa | Monika Skolimowska

Alle ächzen unter der Last der Bürokratie. Sie gefährdet nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland, sie frisst Zeit und erstickt Innovation und Fortschritt. Unternehmen bewerten die Fülle und Verständlichkeit bürokratischer Auflagen und die Effizienz der Behörden als mangelhaft (DIHK (2023)). Die Bürgerinnen und Bürger leiden nicht nur selbst unmittelbar unter der Bürokratie, sondern empfinden auch den Staat zunehmend als überfordert. Nur noch ein Viertel glaubt, der Staat sei in der Lage, seine Aufgaben und Probleme zu bewältigen, so die jüngste Befragung des DBB Beamtenbund und Tarifunion (2024). Wenn aber der Eindruck entsteht, dass in den bestehenden Strukturen Veränderung nicht möglich ist, dass der Staat nicht mehr handlungsfähig ist, dann schwindet das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaat. In Zeiten, in denen die politische Mitte bröckelt und extreme Positionen erstarken, ist das brandgefährlich.

Das Ausmaß

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) berichtet seit 2006 jährlich über den Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Verwaltung. Dies sind der gesamte messbare Zeitaufwand und die Kosten, die durch die Befolgung einer bundesrechtlichen Vorschrift entstehen. Im letzten Berichtszeitraum stieg der Erfüllungsaufwand deutlich um 9,3 Milliarden Euro auf insgesamt 26,8 Milliarden Euro (NKR, 2023). Begrifflich fallen unter den Erfüllungsaufwand auch die Bürokratiekosten, die der NKR allerdings nur für die Wirtschaft aufzeigt. Durch die Verpflichtungen, Informationen für Behörden oder Dritte zu beschaffen, verfügbar zu halten oder zu ermitteln, entstanden allein der Wirtschaft Bürokratiekosten in Höhe von 65 Milliarden Euro.

Die abgebildete zeitliche und finanzielle Belastung ist enorm. Noch höher sind jedoch die „psychologischen Kosten“. Eine große Mehrheit der Unternehmer und Unternehmerinnen (87 %) bewertet sie als mindestens gleich belastend, über die Hälfte (53 %) sogar als stärker belastend. Dies ergab eine von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft beauftragte Studie zur Bürokratiebelastung in Deutschland (INSM 2023). 

Die Quelle

Bürokratie muss abgebaut werden. Darüber besteht auch parteiübergreifend Einigkeit. Nicht aber darüber, wie und in welchem Ausmaß. Bürokratie, die auch als eine historische Errungenschaft über staatliche Willkür verstanden werden kann, verspricht Vorhersehbarkeit, Überprüfbarkeit und Beweisbarkeit. Die einzelnen Regeln mögen nachvollziehbare Zwecke verfolgen, in ihrer Summe aber sind sie übermäßig belastend.

Die jetzige Bürokratielast ist über die Jahrzehnte schleichend durch Rechtssetzung des Bundes, der Länder und der Kommunen, insbesondere aber auch der Europäischen Union angewachsen (sog. „Instruction Creep“). So ist mehr als die Hälfte des Erfüllungsaufwandes auf die Umsetzung von EU-Richtlinien zurückzuführen. Zum 1. Januar 2024 haben sich allein 1.792 Bundesgesetze mit 52.155 Einzelnormen und 2.854 Rechtsverordnungen des Bundes mit 44.272 Einzelnormen aufgetürmt. Tausende Normen, die geprüft und diskutiert werden können. Solange aber über das „Wie“ des Bürokratieabbaus gestritten wird, steht auch das „Ob“ infrage.

Der Lösungsansatz

Im August 2023 einigte sich aber die Bundesregierung in Meseberg auf ein Entbürokratisierungspaket, dass unter koordinierender Federführung des Bundesjustizministers Marco Buschmann umgesetzt werden soll. Dabei werden zahlreiche Vorschläge aufgegriffen, die Unternehmen und Verbände eingebracht haben.

Kernelement des Entbürokratisierungspaketes ist das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV). Es soll Vorschriften abschaffen und abändern, die keinen legitimen Zweck verfolgen oder bei denen der bürokratische Aufwand außer Verhältnis zum verfolgten Zweck steht. Erreicht werden kann ein Entlastungsvolumen von über einer Milliarde Euro pro Jahr für Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und die Verwaltung und eine Reduzierung des Zeitaufwandes für Bürgerinnen und Bürger um fast vier Millionen Stunden. Vorgesehen sind rund dreißig Maßnahmen. Allein die vorgeschlagene Verkürzung der Aufbewahrungsfrist für handels- und steuerrechtliche Buchungsbelege von zehn auf acht Jahre entlastet die Wirtschaft um 625 Millionen Euro.

Zur weiteren Umsetzung des Meseberger-Entbürokratisierungspakets koordiniert die Bundesregierung mit Frankreich eine Europäische Entlastungsinitiative. Gemeinsam fordern sie die Europäische Kommission auf, das Versprechen einzulösen, unnötiger Bürokratie bereits auf europäischer Ebene vorzubeugen.

Der Ausblick

Dies sind wichtige nächste Schritte, sie dürfen aber nicht die letzten sein. Zur Bewältigung des über Jahrzehnte angehäuften Bürokratieberges ist ein prinzipielles Umdenken notwendig. Gesetze müssen weiter vereinfacht, konsolidiert und generalisiert werden und zukünftig muss unnötiger Bürokratie besser vorgebeugt werden. Verwaltungsabläufe müssen so modernisiert werden, dass die Entlastung auch ankommt. Denn eines gilt sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene: Wenn die Diskrepanz zwischen dem Ordnungsversprechen der Bürokratie und der gelebten Realität aufgehoben wird, wenn das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen zurückkehrt, dann ist Bürokratieabbau nicht nur Wirtschaftsförderung, sondern auch Demokratie- und Rechtsstaatsförderung.