Ost-West-Immobilienunterschiede
Wie Land und Menschen nicht abgehängt werden
Mehr als 30 Jahre sind Ost- und Westdeutschland nun vereint, doch noch immer ist die wirtschaftliche Spaltung ein großes Thema, nicht nur im Nachgang und der Analyse von Wahlen. Im Westen sind Produktivität und Einkommen deutlich höher, und es gibt dort trotz gewisser Konvergenz eine geringere Arbeitslosigkeit als in Ostdeutschland. Auch auf dem Immobilienmarkt scheint die Lage eindeutig zu sein: Im Osten Deutschlands sind Mieten und Immobilienpreise in der Regel niedriger und die Leerstandsquote höher.
So liegen die Wohnimmobilienpreise in den neuen Ländern im Durchschnitt bis zu 1000 Euro je Quadratmeter unter jenen im Westen. Bei der Eigentümerquote unterscheiden sich Ost- und Westdeutschland ebenfalls substanziell. Während im Osten lediglich rund 30 Prozent in einer eigenen Immobilie wohnen, lebt im Westen fast jeder Zweite im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung.
Der Osten ist nicht gleich der Osten
Auf den ersten Blick ist die Diagnose also eindeutig: Auch beim Wohnen gibt es eine auffallende Ost-West-Spaltung. Mit einem differenzierten Blick ist die Lage allerdings nicht ganz so eindeutig. Denn der Osten Deutschlands ist enorm divers.
Dies wird besonders an der lokalen Bevölkerungsentwicklung deutlich. Während ländliche Räume in Ostdeutschland erhebliche Bevölkerungsrückgänge zu verzeichnen haben, gewannen Städte wie Berlin, Leipzig, Dresden, Potsdam oder Jena und teilweise auch deren Umland enorm an Bevölkerung hinzu und tun es noch heute oder stagnieren auf hohem Niveau. Diese Bevölkerungsentwicklung hat Auswirkungen auf den Immobilienmarkt, wo Immobilienpreise und Mietzins durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bestimmt werden.
In Berlin ist laut der Sparda-Studie „Wohnen in Deutschland 2023“ auf Basis von Daten des Instituts der deutschen Wirtschaft und des Marktanalysten F+B für eine Eigentumswohnung im Durchschnitt 5451 Euro je Quadratmeter zu zahlen. Nicht viel günstiger ist Potsdam mit 5277 Euro. In Rostock, Jena, Dresden und Leipzig liegt der Quadratmeterpreis schon zwischen 3000 und 4000 Euro. In allen genannten Städten haben sich die Preise seit dem Jahr 2005 deutlich mehr als verdoppelt. Die Preissteigerung für eine Eigentumswohnung in Berlin liegt im genannten Zeitraum sogar bei rund 250 Prozent.
Die Preisentwicklung in diesen Städten ist allerdings nicht repräsentativ für den Osten im Allgemeinen. Ganz anders sieht die Lage jenseits der Ballungszentren aus: Im Landkreis Kyffhäuserkreis in Thüringen ist für ein Eigenheim gerade einmal 860 Euro je Quadratmeter zu zahlen. Auch in etlichen anderen ostdeutschen Landkreisen liegen die Quadratmeterpreise bei rund 1000 Euro. Die Leerstandsquote illustriert diese Heterogenität: Zum Ende des Jahres 2022 lag laut Statista die Leerstandsquote auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt bei fast 6 Prozent – eine deutlich höhere Leerstandsquote als in Westdeutschland, wo zum selben Zeitpunkt knapp 2 Prozent der Wohnungen ungenutzt blieben.
Der zentrale Unterschied zwischen dem ost- und westdeutschen Immobilienmarkt ist der folgende: Die Divergenz zwischen Stadt und Land ist im Osten gravierender als im Westen. Auch in Westdeutschland gibt es Stadt-Land-Unterschiede, doch diese sind weniger stark ausgeprägt. Dies wird vor allem dann evident, wenn sich der Blick abseits der sieben größten Städte auf die verbleibenden Großstädte richtet. Im Westen beträgt der durchschnittliche Quadratmeterpreis für eine Eigentumswohnung in diesen Städten 3117 Euro. Die ostdeutschen Städte sind von diesem Niveau nicht allzu weit entfernt. Hier beträgt der durchschnittliche Quadratmeterpreis 2977 Euro.
Ganz anders sieht es aber in den Landkreisen aus. In westdeutschen Landkreisen zahlt man durchschnittlich 2974 Euro für einen Quadratmeter, in den ostdeutschen Landkreisen liegt der Quadratmeterpreis bei gerade einmal 1954 Euro – ein substanzieller Unterschied. Die Zahl wäre sogar noch deutlich niedriger, wenn man den Brandenburger Speckgürtel um Berlin nicht mitrechnen würde. Während die Immobilienpreise in ost- und westdeutschen Großstädten jenseits der Ausreißer folglich durchaus vergleichbar sind, bleiben die Unterschiede in den ländlichen Gebieten persistent.
Die Zahlen illustrieren, dass die Regionen in Ostdeutschland mit völlig unterschiedlichen Schwierigkeiten kämpfen. Diese erfordern daher andere Lösungsstrategien. Während es in den vielen ostdeutschen Städten dringend neuer Wohnungen bedarf, um die zusätzliche Nachfrage zu bedienen, wäre ein zusätzlicher Wohnungsbau in den ländlichen Gebieten Ostdeutschlands kontraproduktiv und würde nur zusätzlichen Leerstand erzeugen. Daher fördert beispielsweise der Freistaat Sachsen den Abriss leer stehender Wohnhäuser, da es in vielen sächsischen Kommunen einen hohen Leerstand gibt und diese verfallen würden.
Welche politischen Hebel gibt es, die ländlichen Räume besonders im Osten nicht weiter abzuhängen und attraktive und bezahlbare Regionen zu schaffen, die dem grundgesetzlichen Postulat gleichwertiger (nicht gleicher!) Lebensverhältnisse entsprechen? Neben zusätzlichem sozialen Wohnungsbau in den angespannten Lagen sollten vor allem marktkonforme Lösungen im Fokus stehen. Die meisten Deutschen träumen weiterhin vom Eigenheim. Anders als in vielen Großstädten lässt sich dieser Traum bei den niedrigen Preisen im ländlichen Raum, speziell aber vor allem auch in vielen ostdeutschen Regionen noch realisieren – und das trotz Zinswende.
Damit der Preismechanismus greifen kann, müssen jedoch auch die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es braucht eine bessere digitale Infrastruktur auch abseits der Speckgürtel, einen Abbau unnötiger Bürokratie, eine moderne Verkehrsinfrastruktur, um Stadt und Land optimal zu verbinden, eine serviceorientierte Verwaltung und eine Politik, die den Erwerb von Wohneigentum unterstützt sowie dem ländlichen Raum notwendige Freiheiten zugesteht.
Bevölkerungsrückgang führt zu sinkender Finanzierung
Gerade ländliche Regionen jenseits der Großstädte und deren Umland haben teilweise noch signifikante Defizite beim Breitbandausbau – trotz hoher Fördermittel. Ein stärkerer Breitbandausbau bildet die infrastrukturelle Basis für digitale Leistungen, speziell für Unternehmensansiedlungen oder für Privathaushalte – wie Homeoffice oder Bürgerdienste. Hier könnten eine einfachere Förderkulisse, schnellere Genehmigungsverfahren oder auch effiziente Kooperationen zwischen Kommunen und der Wirtschaft helfen, die Verwaltung personell und kostenseitig zu entlasten und zugleich digitale Infrastrukturen voranzubringen.
Auch braucht es nachhaltige und nutzerfreundliche Mobilitätskonzepte zusätzlich zum motorisierten Individualverkehr (MIV) im ländlichen Raum, um für Menschen und Unternehmen attraktiv zu sein. Im ländlichen Raum besonders in Ostdeutschland senkt der Bevölkerungsrückgang die Fahrgastzahlen und damit die Finanzierung. Es bedarf folglich eines hohen Zuschusses an die Erbringer vor Ort oder an die Verkehrsunternehmen, die oftmals nur noch ein Grundangebot an ÖPNV-Verbindungen vorhalten können.
Eine kluge Kopplung von bezahlbarem Wohnraum und günstiger Verkehrsanbindung könnte hier helfen. So sieht der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in der effizienten Vernetzung der Mobilitätsangebote einen zielführenden Ansatz. Die wesentlichen Bestandteile der ländlichen Mobilität lägen demnach in einem übergeordneten Hauptnetz von Bahnen und Bussen im Taktverkehr als Rückgrat. Dieses kann von lokalen Linienverkehren in die entsprechenden Räume oder Gemeinden ergänzt werden, die von den Haltepunkten des Hauptnetzes aus eine Region erschließen.
Baurechtliche Vereinfachungen können helfen
Damit können flexible Formen wie Rufbusse zum Einsatz kommen, die mit alternativen Mobilitätsangeboten wie dem Teilen und Mieten von Autos, Fahrrädern oder Fahrten (Car-, Bike- oder Ridesharing) kombiniert werden. Damit lässt sich das Angebot im ländlichen Raum optimieren, und diese Regionen können attraktiver für Wohnen und Wirtschaft gestaltet werden – neben der Nutzung des eigenen Autos, das im ländlichen Raum auch weiterhin eine substanzielle Rolle spielen wird.
Hohe bürokratische oder regulatorische Vorgaben sorgen dafür, dass die Baukosten im ländlichen Raum ansteigen. Hier können baurechtliche Vereinfachungen helfen, mehr Freiräume zu gewähren und damit das Bauen zu erleichtern und zu beschleunigen. Anhand einer neuen Gebäudeklasse E könnten sich die Vorgaben auf wesentliche Sicherheitsziele wie für den Brandschutz und ökologische Basisnormen fokussieren. Für Materialien und Ausführung würden maximale Freiräume entstehen. Bauherren und Planer hätten auf diese Weise endlich wieder Spielraum für Innovationen und einen Anreiz, die vorgeschriebenen Ziele möglichst kosteneffizient zu erreichen.
Der Wohnungsmarkt ist angespannt – allerdings sind die Gegebenheiten in Ost und West sowie in Stadt und Land unterschiedlich. Daher braucht es differenzierte Lösungen, die den Herausforderungen vor Ort gerecht werden. Die Zeit drängt.
Dieser Artikel erschien erstmals am 11. Juli 2024 bei der FAZ.