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Zehn Jahre NSA-Krimi
Wie Snowdens Enthüllungen noch heute die Politik beeinflussen

Edward Snowden

Edward Snowden

© picture alliance / EXPA / APA / picturedesk.com | EXPA

Das Leben Edwards Snowdens erschien lange wie eine amerikanische Bilderbuchgeschichte. Nach einem holprigen Start – kein Schulabschluss, trotz freiwilliger Meldung ausgemustert durch die US Army, abgebrochenes Informatikstudium – arbeitete Snowden ab 2005 im Bereich IT-Sicherheit bei der CIA und später als Externer bei der NSA, den großen Auslandsgeheimdiensten der USA. Sein Talent ermöglichte ihm einen schnellen Aufstieg mit Stationen in Genf, Japan und schließlich Hawaii. Dort durfte er ein Haus sein Eigen nennen, bezog ein großzügiges Gehalt und führte eine stabile Beziehung – auf Umwegen hatte sich Edward Snowden den Traum von einem guten Leben mit gerade mal 29 Jahren erfüllt.

Das änderte sich im Mai 2013 abrupt. Was nun passierte, klingt eher nach dem Drehbuch eines Hollywood-Agentenfilms als nach American Dream. Snowden setzte sich zunächst nach Hongkong ab, um von dort den größten Leak in der amerikanischen Geschichte vorzubereiten. Der Washington Post und dem britischen Guardian spielte er geheime Dokumente zu, die belegen, dass die NSA und der britische Nachrichtendienst Government Communications Headquarter (GCHQ) spätestens seit 2007 weltweit systematisch und verdachtsunabhängig Internetkommunikation überwachten und speicherten. Terroranschlägen sollte so vorgebeugt werden.

Strafanzeige und Haftbefehl gegen Snowden

Im Juni 2013 erschien die Enthüllungsstory, kurze Zeit später outete sich Snowden als der Urheber. Das FBI erstattete daraufhin Strafanzeige wegen u.a. Diebstahls von Regierungseigentum und Spionage, auch ein Haftbefehl erging. Nachdem Snowden in verschiedenen Staaten, darunter auch Deutschland, erfolgslos versucht hatte, Schutz als politischer Verfolgter zu erhalten, flog er am 23. Juni nach Moskau. Dort erhielt er zunächst vorläufig, später auch dauerhaft Asyl.

Die Ereignisse wurden breit und kontrovers diskutiert. Während Regierungskreise in den USA überwiegend ein scharfes Vorgehen mit allen strafrechtlichen Mitteln gegenüber dem Whistleblower forderten, der frühere CIA-Direktor Woolsley  bei einer möglichen Verurteilung gar für die Todesstrafe plädierte, unterstützten viele Menschen- und Bürgerrechtsbewegungen Snowden vehement und prangerten die massiven Bürgerrechtsverletzungen der Geheimdienste an. Zusätzlich zogen die Enthüllungen zahlreiche diplomatische Verwerfungen oder zumindest Verstimmungen nach sich. Denn auch Gebäude von EU und UN sowie hochrangige Politiker wurden mit dem Überwachungssystem abgehört. Dies blieb auch in Deutschland nicht folgenlos – der Satz „Abhören unter Freunden – das geht gar nicht“, den Angela Merkel 2015 angesichts der Überwachung ihres Diensthandys aussprach, dürfte vielen in Erinnerung geblieben sein. Zu so klaren Worten konnten sich ihre Parteikollegen 2013 nicht durchringen. Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sah schon einige Monate nach dem Skandal alle Vorwürfe gegen die NSA als ausgeräumt an und auch Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) versuchte eher, die Wogen zu glätten. Skeptisch zeigte sich hingegen die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gegenüber den Unschuldsbeteuerungen der Geheimdienste und forderte eine nachhaltige Aufarbeitung der Geschehnisse. Schon damals plädierte sie außerdem für ein neues transatlantisches Freihandelsabkommen, um künftig den Datenschutz zu verbessern.  

Snowden wolle illegaler Kommunikationsüberwachung der NSA Einhalt gebieten

Die teils drastischen Reaktionen sind angesichts der Ambivalenzen des Falles wenig verwunderlich. Sicherlich löste und löst auch heute noch bei vielen das Vorgehen Snowdens ein Störgefühl aus – die Weitergabe und Veröffentlichung streng geheimer Dokumente ist nun mal eine schwere Straftat (auch in Deutschland regelt ein eigener Abschnitt im Strafgesetzbuch die Strafbarkeit von „Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit“, vgl. §§ 93 ff. StGB) und kann mitunter großen Schaden anrichten. Denn natürlich gibt es Fälle, in denen Staaten ein berechtigtes Interesse daran haben, Daten nicht weiterzugeben, man denke z.B. an Notfallpläne für das Militär oder andere, erwiesenermaßen die Sicherheit eines Landes gefährdende Informationen. Deshalb ist auch der frühere Präsident der USA Donald Trump, der streng geheime Dokumente des US-amerikanischen Justizministeriums auf seinem privaten Gästebad hortete und Vertrauten zeigte, nun angeklagt. Gerade im Vergleich zu Trump zeigt sich aber ein Unterschied: während über dessen genaue Motive noch gerätselt wird, es aber gesichert erscheint, dass er einen persönlichen Vorteil aus den Dokumenten schlagen wollte, berief sich Snowden auf das Allgemeinwohl. Er wollte der – wie später ein Gericht zumindest für den US-amerikanischen Raum urteilte – illegalen Kommunikationsüberwachung der NSA Einhalt gebieten, die Öffentlichkeit darüber aufklären und einen grundsätzlichen Wandel des Vorgehens von Geheimdiensten bewirken. Angesichts der unerbittlichen Reaktionen, die aus Geheimdienstkreisen auf den Leak folgten, erscheint es ziemlich unwahrscheinlich, dass Snowden einen Mentalitäts- und Methodenwandel auf legalem Wege erreicht hätte.

Man mag über seine Strategie streiten – zumindest zog die NSA-Affäre aber notwendige Debatten über Datenschutz und Überwachung nach sich. Auf EU-Ebene und in Deutschland wird inzwischen neu über diese Themen nachgedacht und die Auswirkungen des Skandals sind auch heute, zehn Jahre später, noch sichtbar.

Neues Hinweisgeberschutzgesetz in Deutschland tritt in Kraft

Wie von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger 2013 gefordert, bemüht sich die Europäische Union seitdem um bessere Datenschutzregelungen. Das mit den USA schon seit 2000 bestehende EU-Datenschutzabkommen „Safe Harbor“, durch das Unternehmen personenbezogene Daten aus der EU in Übereinstimmung mit der europäischen Datenschutzrichtlinie in die USA übermitteln können sollten, kam auf den Prüfstand. 2015 wurde es vom Europäischen Gerichtshof durch das Engagement des Datenschutzaktivisten Max Schrems für ungültig erklärt. Die Nachfolgeregelung „EU-US Privacy Shield“ ereilte 2020 das gleiche Schicksal (eingegangen in die Rechtsgeschichte sind beide Urteile als „Schrems I“ und „Schrems II“). Gerade plant die EU mit dem „Trans-Atlantic Data Privacy Framework“ einen dritten Aufschlag – es wird aber befürchtet, dass auch das neue Abkommen eine Überwachung von EU-Bürgern durch US-Behörden erlaubt. Sollte sich dies bewahrheiten, ist auch ein „Schrems III“-Urteil kein unrealistisches Szenario.

In Deutschland tritt nun am 2. Juli 2023 das neue Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) in Kraft. Es setzt eine EU-Richtlinie um, die ebenfalls auf die Ereignisse vor zehn Jahren zurückgeführt werden kann. Snowden, aber auch andere Fälle zeigen, dass Whistleblower manchmal die nötige ultima ratio sind, um effektiv Missstände aufzudecken und Veränderungen herbeizuführen. Schließlich haben sie fast immer die Möglichkeit, durch ihre Anstellung bessere Einblicke in unter Umständen missbräuchliche Unternehmens- und Behördenstrukturen und interne Abläufe zu gewinnen als dies von außen möglich wäre. Zuletzt ist dies wieder beim Leak der ehemaligen Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen deutlich geworden. Sie ging 2021 mit Enthüllungen über die als unlauter empfundenen Praktiken ihres früheren Arbeitgebers an die Öffentlichkeit. Seitdem ist in den USA Bewegung in die Causa Facebook gekommen: beispielsweise wurden mehrere Gesetzesvorhaben zur Regulierung von Techunternehmen auf den Weg gebracht, um für mehr Sicherheit und Transparenz auf Onlineplattformen zu sorgen. In Fällen wie diesen sollen fortan in Deutschland durch das neue HinSchG Whistleblower besser geschützt und Rechtsunsicherheit beseitigt werden, so heißt es in der Gesetzesbegründung. Unternehmen, aber auch Behörden, werden zukünftig verpflichtet, Meldestellen einzurichten, an die sich Beschäftigte bei Hinweisen über Verstöße innerhalb der Beschäftigungsstelle wenden können. Sie genießen dabei einen besonderen Schutz. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit hat bereits vor zwei Jahren auf freiwilliger Basis einen Code of Conduct und eine externe Hinweisgeberstelle eingeführt.

USA fordern noch heute Auslieferung

Edward Snowden hätte zwar in einem fiktiven deutschen Fall auch das neue Gesetz wahrscheinlich wenig genützt – § 5 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG sieht explizit vor, dass Mitteilungen, die die nationale Sicherheit oder wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates betreffen, wovon bei Geheimdienstunterlagen erstmal ausgegangen werden dürfte, gerade nicht in seinen Anwendungsbereich fallen. Trotzdem ist es ein guter Schritt in Richtung Hinweisgeberschutz.

So lassen sich die Ambivalenzen der NSA-Affäre wohl nie ganz auflösen. Snowden stand vor dem schon sehr alten Problem, entweder einer moralisch und rechtlich höchst fragwürdigen Praxis von Geheimdiensten tatenlos zuzusehen, wie es sein Arbeitsvertrag und das Strafrecht verlangten – oder gegen Gesetze zu verstoßen, um eine Kehrtwende zu erzwingen. Ob der Westen im Fall Snowden angesichts der schwerwiegenden Einschränkung von Bürgerrechten, die die Geheimdienste vornahmen, richtig gehandelt hat, wird immer noch diskutiert. Bis heute fordern die USA seine Auslieferung und sein Reisepass wurde annulliert - in seine Heimat kann er damit nach wie vor nicht zurückkehren. Auch kein Land der EU konnte sich dazu durchringen, ihn aufzunehmen. Im September 2022 hat Edward Snowden dafür nun die russische Staatsbürgerschaft angenommen – dass sich damit ausgerechnet Russland indirekt als Kämpfer für Bürgerrechte und gegen staatliche Überwachung brüsten könnte, ist ein gefährliches Narrativ in den falschen Händen und wäre an Zynismus angesichts des aggressiven russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nicht zu überbieten. Hier zeigt sich dann doch der Unterschied zum Fernsehkrimi: realistische Heldengeschichten, so beweist es Snowdens Biografie eindrücklich, sind wohl nie schwarz-weiß, sondern immer von einer gewissen Spannung geprägt.