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Künstliche Intelligenz
"Wir überzeichnen die Gefahren"

Datenpionierin Christin Schäfer im Interview zu Künstlicher Intelligenz
KI / Roboter

Roboter 'Pepper' begrüßt einen Jungen auf der didacta.

© picture alliance / Geisler-Fotopress

Christin Schäfer ist eine der wichtigsten Datenpionierinnen in Deutschland. Als Mitglied der Datenethikkommission der Bundesregierung und Geschäftsführerin einer Firma für Data Science ist sie überzeugt: Der Trend zur Datengesellschaft lässt sich nicht aufhalten - aber zum Wohle aller gestalten.

Schafft sich die Menschheit mithilfe von künstlicher Intelligenz gerade selbst ab?

Ich teile diese Sorge nicht. Ich denke, dass genau das Gleiche eintritt wie in den bisherigen industriellen Revolutionen auch, es verschiebt sich etwas. Es werden neue Aufgaben entstehen, andere verschwinden. Aber der Mensch wird auf gar keinen Fall abgeschafft. Ich betrachte die Entwicklung vor allem als eine unglaubliche Chance. Wir könnten uns in der Arbeit auf das fokussieren, wofür man Hirnschmalz braucht, und die Routinetätigkeiten an die Maschinen delegieren.

Können Sie verstehen, dass andere vor der Datenfixierung Angst haben?

Ja, natürlich kann ich das verstehen. Dennoch glaube ich, dass wir zu viel über die Gefahren und zu wenig über die Chancen sprechen. Und zudem die Gefahren überzeichnen. Vermutlich hilft es mir, dass ich gelernt habe, mit Daten umzugehen. Das entzaubert und entmystifiziert die Dinge.

Ihr Start-up acs plus verspricht: „data with care“. Wie lösen Sie das Spannungsfeld zwischen dem, was technisch machbar ist, und dem, was regulatorisch erlaubt oder ethisch vertretbar ist?

Ein Großteil dessen, was datengetriebene Technologie Gutes für uns tun kann, ist vollkommen frei von jedweden personenbezogenen Daten. Wenn ich aus dem Fenster schaue, ist es schön mild. Aber wir haben erst Anfang März! Der Klimawandel ist nicht wegzudiskutieren.

Doch wie schaffen wir es, den Energieverbrauch zu minimieren, den Schadstoffausstoß zu senken, ohne dass unser Wohlstand wesentlich leidet?

Genau für solch komplexe Fragen benötigen wir als entwickelte Volkswirtschaft auch datengetriebene Systeme. Bei acs plus arbeiten wir zurzeit eher an solchen und ähnlichen technischen Fragestellungen. Ich würde aber beispielsweise nie etwas modellieren, mit dessen Hilfe angeblich bestimmte Personen, Ethnien oder sexuelle Orientierungen aus Fotos oder Datensätzen selektiert werden könnten.

Kann es sein, dass ein Großteil der diffus vorhandenen Ablehnung gegen die neue Datenkultur darin begründet ist, dass diese einfach schlecht verkauft wird? 

Das unterschreibe ich gern. Der Ingenieur, der gerade dafür gesorgt hat, dass eine Industrieanlage durch eine clevere Steuerung 30 Prozent weniger Schadstoffe ausstößt, der veröffentlicht selten Blogposts. Der ist im Stillen glücklich. Wir bräuchten ein paar positive Ankerbereiche, die auch die Emotionen der Menschen ansprechen. Vielleicht sollten wir den Spieß gedanklich umkehren und uns überlegen: Was hätten wir alles nicht, wenn es die Datentechnologie nicht gäbe? Wie war das vor 15 oder 20 Jahren mit dem Urlaub ohne Smartphone, ohne Wetter-App, Restaurantführer oder Navi?

Wer entscheidet zwischen „guten“ Datendiensten wie diesen oder „schlechten“? Wenn die Politik in solchen Fragen nicht weiterweiß, gründet sie einen Arbeitskreis. Sie sind Mitglied in der Datenethikkommission der Bundesregierung. Was genau machen Sie da?

Das 16-köpfige Gremium untersucht die Dreifaltigkeit aus Algorithmen, KI und Daten – um die entscheidende Frage zu klären: Was kann man damit Positives fördern und wie Negatives vermeiden? Die Grenzziehung soll anhand von ethischen Leitlinien erfolgen. Wenn wir nach China auf das Social Credit System blicken, sehen wir das abschreckende Gegenmodell: Nicht alles, was technisch möglich ist und möglich werden wird, darf auch Wirklichkeit werden. Das Aufgabenpaket, das uns die Politik zu schultern gegeben hat, ist gewaltig. Im Herbst legen wir den Abschlussbericht vor.

In der freien Wirtschaft regieren längst die Daten – in der öffentlichen Verwaltung herrscht dagegen meist immer noch der analoge Geist von gestern. Können Algorithmen beim besseren Regieren und Verwalten helfen?

Ich darf nichts vorwegnehmen. Nur so viel: Auch mit dieser Frage beschäftigen wir uns in der Datenethikkommission derzeit intensiv. Es ist eine der spannendsten Fragen unserer Zeit.

Was halten Sie davon, dass „Coden“ zum Pflichtfach an Schulen wird?

Programmieren ist im Datenkontext gar nicht das Entscheidende. Zentral für den richtigen Umgang mit Daten sind gute Mathematik- und Statistikkenntnisse. Die Wirtschaft entwickelt sich in großen Schritten in Richtung Machine-Learning-Verfahren. Viele dieser Maschinen sagen nicht Ja oder Nein. Sie sagen, null Komma sieben Prozent oder 90 Prozent. Was mache ich dann? Diesen Aspekt der digitalen Kompetenz erreicht man nicht durch Programmierung, den erreicht man durch eine solide Mathematikausbildung und gewissermaßen die eigene Datenhoheit: Datensouveränität setzt einen spielerischen, wissenden Umgang mit Daten voraus. 

Wie gehen Sie mit Ihren eigenen Daten bei Mobile- oder Webaktivitäten um?

Bei den sozialen Medien habe ich einen natürlichen Schutz, weil es mich einfach nie sonderlich interessiert hat. Darüber hinaus überlege ich mir schon, wo ich meine Daten hinterlasse und wo nicht. Meine wirklich nicht empfehlenswerte private Strategie ist einfach: Jeder kriegt ein bisschen.

 

Christin Schäfer, Jahrgang 1974, hat einen roten Faden in ihrem bisherigen Leben: die Liebe zu Daten. Bereits in ihren Kasseler Kindheitstagen tat sie nichts lieber, als die Ziffern im Telefonbuch mit Farben zu bemalen. Nach ihrem Statistikstudium mit Nebenfach Physik und Informatikvertiefung in Dortmund forschte sie am Fraunhofer-Institut und war rund eine Dekade lang in Führungsrollen bei der Deutschen Bank und einem österreichischen Geldhaus tätig. Heute ist sie Geschäftsführerin ihres eigenen Unternehmens in Berlin: acs plus, eine „Boutique für Data Science“.