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Baupolitik
Wohnungsnot trotz Wohnungsleerstand?

Leere Wohnung
© picture alliance/dpa | Uwe Anspach

Zu Beginn des Jahres sorgte eine Studie des Pestel-Instituts und des Bauforschungsinstituts ARGE für Aufsehen. Laut den Berechnungen könnte im Laufe des Jahres ein Rekord-Wohnungsmangel von über 700.000 fehlenden Wohnungen in Deutschland entstehen. Die Bundesregierung hat diesen Mangel erkannt und im Koalitionsvertrag ein Neubauziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr ausgegeben. Insbesondere die explodierenden Baukosten sowie die steigenden Zinsen haben die Erreichung dieses Ziels zunichtegemacht. Mit einer Abschwächung des Wohnungsmangels ist zumindest in nächster Zeit nicht zu rechnen – ganz im Gegenteil. Kein Wunder also, dass das Thema beim diesjährigen Tag der Immobilienwirtschaft eine zentrale Rolle spielt.

Die Ergebnisse einer anderen Studie scheinen auf den ersten Blick so gar nicht in dieses Bild zu passen. Eine Studie von CBRE und Empirica errechnete Ende letzten Jahres, dass in Deutschland rund 607.000 leerstehende Wohnungen existieren. Hierbei handelt es sich sogar um den sogenannten „marktaktiven“ Leerstand – also um Wohnungen, die unmittelbar oder zumindest mittelfristig vermietbar wären. Der absolute Leerstand liegt in Deutschland sogar bei deutlich über einer Million Wohnungen.

700.000 Wohnungen fehlen – 600.000 stehen leer

Es fehlen also rund 700.000 Wohnungen, gleichzeitig stehen etwa 600.000 Wohnungen leer. Die beiden Zahlen scheinen partout nicht zusammenzupassen. Ist der Wohnungsmangel in Deutschland etwa gar nicht so schlimm wie gemeinhin angenommen? Oder ist gar eine der beiden Zahlen falsch?

Um es kurz zu machen: Beide Zahlen sind korrekt. Und dennoch ist der Wohnungsmangel in Deutschland genauso gravierend, wie er von allen Seiten beschrieben wird. Wie kann das sein? Zum einen ist ein gewisser Leerstand natürlicher Bestandteil eines funktionierenden Wohnungsmarktes. Ganz ohne Leerstand hätten wohnungssuchende Haushalte keine Chance, eine passende Wohnung finden. Zum anderen befindet sich ein Großteil der leerstehenden Wohnungen in Deutschland eben nicht dort, wo sie dringend benötigt und nachgefragt werden. Nämlich in den schnell wachsenden Zentren, in denen die Menschen gut bezahlte Arbeitsplätze und hochwertige Infrastruktur vorfinden.

Dies wird deutlich, wenn man die Daten von CBRE und Empirica genauer betrachtet (siehe Abbildung). Deutschlandweit liegt die Leerstandsquote bei 2,8 Prozent. Die Unterschiede zwischen wachsenden und schrumpfenden Regionen sind dabei jedoch enorm. In sogenannten Schrumpfungsregionen (Regionen, die über die letzten fünf Jahre Bevölkerung verloren haben), liegt die Leerstandsquote bei durchschnittlich 7,4 Prozent. In Wachstumsregionen ist die Situation grundlegend anders. Dort liegt die Leerstandsquote zuletzt bei gerade einmal 1,4 Prozent. In Boomenden Städten wie München (0,2 Prozent), Frankfurt am Main (0,3 Prozent) gibt es so gut wie überhaupt keinen Leerstand.

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© Quelle: CBRE-Emprica-Leerstandsindex 2022

Welche Lehren kann man aus dem Leerstand ziehen?

Die Zahlen zum Leerstand in Deutschland machen vor allem deutlich, dass zusätzlicher Wohnungsbau insbesondere in den Städten dringend benötigt wird. Der Fakt, dass es in Großstädten wie München oder Frankfurt am Main fast keinen Leerstand gibt, zeigt die enorm angespannte Lage auf den dortigen Wohnungsmärkten. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Ergebnissen des IW-Wohnungsbedarfsmodells. Aus Sicht der Forscher braucht es in den Metropolen eine Wohnungsbauoffensive, um zukünftige Bedarfe zu decken. Allein in Berlin müssten im Zeitraum zwischen 2020 und 2035 demnach fast 300.000 neue Wohnungen gebaut werden.

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© Quelle: IW-Wohnungsbedarfsmodell

Zum anderen belegen die Zahlen die Schwäche vieler ländlicher Räume in Deutschland. Gerade ländlich geprägte Regionen haben in den vergangenen Jahren Bevölkerung verloren und weisen hohe Leerstandsquoten auf. Nur wenn ländliche Regionen durch die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt an Attraktivität gewinnen, besteht tatsächlich die Möglichkeit, einen Teil des existierenden Leerstands zu aktivieren. Dies ist allerdings kein Selbstläufer: Hierfür braucht es insbesondere schnelles Internet auch abseits der Speckgürtel sowie eine gute Verkehrsanbindung an die Städte.

Fazit

Es ist tatsächlich kein Widerspruch, dass Wohnungsnot und Wohnungsleerstand gleichzeitig existieren. Gegen die Wohnungsnot muss man dringend ankämpfen – am besten mit einer Bauoffensive in den Städten, wo Wohnungen am meisten gebraucht werden. Der bestehende Wohnungsleerstand ist hingegen gewissermaßen normal und darf unter keinen Umständen „weggeplant“ werden. Man kann jedoch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ländliche Räume wieder attraktivere Orte werden und für mehr Menschen als Wohnort in Frage kommen. Denn klar ist: In einer sozialen Marktwirtschaft wie Deutschland entscheiden allein die Menschen, wo sie wohnen wollen.

Ideen für mehr Wohnungsbau und attraktivere ländliche Regionen finden Sie hier: