Antisemitismus
Zwischen Angst und Heimat: Warum wir als Familie von Berlin zurück nach Israel ziehen
Inmitten der turbulenten Zeiten, in denen Raketen den Himmel durchdringen und Angst die Luft füllt, entscheidet sich eine Familie, Berlin den Rücken zu kehren und nach Israel zurückzukehren. Doch ihre Entscheidung stößt auf Unverständnis und Sorge bei vielen, die den Umzug in ein scheinbar unsicheres Gebiet hinterfragen. Für die deutsch-jüdische Journalistin Sarah Cohen-Fantl und ihre Familie ist der Schritt eine Rückkehr zu ihren Wurzeln, eine Flucht vor wachsendem Antisemitismus und eine Suche nach dem Gefühl von Zuhause. In einem sehr persönlichen Bericht teilt sie ihre Gedanken, Ängste und Hoffnungen.
„Nach Israel? Ich hoffe, das habt ihr euch gut überlegt, als Familie, jetzt in ein Kriegsgebiet zu ziehen”, lese ich auf meinem Handy Display. So reagieren einige Menschen, vor allem nicht-jüdische, wenn sie von unserem Umzug zurück nach Israel hören. Zwei Jahre haben mein Mann und ich mit unseren Kleinkindern in Berlin gelebt. Ich verstehe die überraschten und skeptischen Reaktionen. Es muss verrückt klingen, dass wir jetzt, während täglich von mehreren Seiten Raketen auf Israel geschossen werden, unser vermeintlich sicheres Zuhause in Deutschland verlassen. Mal abgesehen davon, dass meine Kinder in diesem „Kriegsgebiet” geboren wurden, genau wie ihr Vater, ihre Großeltern, Tanten… die alle nicht die Option hatten, sich auszusuchen, ob sie in Israel leben wollen oder nicht. Dennoch frage auch ich mich in schwachen Momenten, wenn die Nachrichtenlage wieder besonders schlimm ist, ob das die richtige Entscheidung war, weil ich natürlich auch Angst habe – vor allem um meine Kinder.
Die wachsende Bedrohung in Berlin
Aber zur ganzen Wahrheit gehört, dass ich auch in Berlin Angst habe - auch die Nachrichtenlage in Deutschland und Europa verschlimmert sich täglich. Als Israelin oder Jüdin erkennbar durch die Berliner Straßen zu laufen, habe ich mich seit dem 7.Oktober nicht mehr getraut.
Das ist aber eine persönliche Entscheidung und viele unserer Freunde und Bekannten zeigen weiterhin mutig Flagge – inklusive Anfeindungen. Im Grunde ist dieser Judenhass natürlich nichts Neues. Schon bei unserem Umzug vor zwei Jahren, war ich skeptisch, wie sicher es gerade für meinen Mann, der kein Deutsch spricht, in Berlin sein würde. Doch der Hamas-Überfall am 7.Oktober und seine Folgen, die von Hetzpropaganda und Lügen bis hin zu antizionistischen Parolen und einem extremen Anstieg in antisemitischen Übergriffen reichen, haben es uns unmöglich gemacht, hier weiterhin eine Zukunft zu sehen und aufbauen zu wollen.
Die Konsequenzen des 7. Oktobers
Alle Pläne, die wir am 6. Oktober hatten, der Freitag, an dem wir unser neues Haus ausgemessen und an dem wir mit unserem Architekten unser potenzielles Restaurant angeschaut haben, um kurz vor Shabbat noch in dem völlig überfüllten Kosher-Laden letzte Besorgungen erledigten und mit Freunden über die aufregenden bevorstehenden Projekte sprachen. Der nächste Morgen machte all das – zumindest für uns – zunichte. Einer der Freunde aus dem Kosher-Laden, wurde sofort von der Armee einberufen, sprang ins Flugzeug und ließ seine schwangere Frau zurück. Ein anderer kämpft täglich gegen den wachsenden Antisemitismus und sieht in Deutschland auch keine langfristige Zukunft mehr.
Die meisten nicht-jüdischen Freunde melden sich nicht und ergreifen auch sonst keine solidarischen Maßnahmen. Denn: am Ende betrifft es sie ja nicht direkt.
Der 7. Oktober und alles, was daraus folgte, hat uns nachhaltig verändert. Immer mehr Freunde und Bekannte planen ihre Rückkehr nach Israel. Es gibt aber auch Freunde, die sagen, dass sie in Deutschland bleiben, selbst wenn sie der letzte Jude wären – sie würden sich ihre Heimat nicht nehmen lassen.
Die Suche nach einem neuen Zuhause und die Bedeutung von Heimat
Und genau da liegt der Unterschied: Ich sehe bzw. fühle Deutschland nicht als meine Heimat. Habe ich im Übrigen nie. Ich bin halbe Tschechin, das Trauma meiner Familie väterlicherseits, die die Shoa nur knapp überlebt hat, stand ein ganzes Leben lang als Keil zwischen „meinem” Land und mir. Das soll keine Abwertung gegenüber Deutschland sein, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, in dem auch viele Dinge sehr gut und besser als in anderen Ländern laufen. Doch hierbei geht es nicht um die objektiven Fakten, sondern um ein Gefühl. Dieses Heimatgefühl hatte ich schon bei meinem ersten Landeanflug in Israel. Mein Großvater drehte hier mit meinem Vater in den 80er-Jahren einen Film über die Kinder, wie er selbst eins war, die das KZ Theresienstadt überlebt hatten und in Israel ihre alte, neue Heimat fanden.
Die Rückkehr nach Israel
Unter ganz anderen Umständen, aber genauso allein wie viele von ihnen, kam auch ich allein nach Israel. Verliebte mich in das Land und die Menschen – und das Gefühl Zuhause zu sein, mit all seinen herausfordernden Realitäten: Raketenalarme, Terrorattacken, horrende Mieten, nicht-enden-wollende Staus und ruppiger Service.
Aber zu der besseren Lebensqualität und dem alltäglichen jüdischen Selbstverständnis kommt hinzu, dass dies der einzige Ort der Welt ist, in dem wir Teil der Mehrheitsgesellschaft sind und der 7. Oktober hat uns nochmal mehr gezeigt, was für ein wertvolles Gut das ist.
Wenn auch innenpolitisch schon ein sehr gespaltenes Jahr hinter uns liegt und wir noch große Hürden vor uns haben, weiß ich, dass die meisten von uns die Liebe zu unserem Land und auch zum Judentum eint – obgleich wir es alle unterschiedlich leben und erleben. Genau dieses Selbstverständnis möchten wir unseren Kindern ermöglichen, wir wollen nicht inkognito sein müssen und die vergangenen Monate haben gezeigt, dass zwar tausende Palästina-Flaggen, Schals und hasserfüllte Sprechchöre, die Israels Existenzrecht leugnen, zur freien Meinungsfreiheit gehören, die dann wiederum bei Israel-Flaggen, Davidstern, Kippa, Hebräisch sprechen und Solidarität mit den Geiseln unter „Provokation” fällt. Dieses unfaire Ungleichgewicht, ist schwer zu ertragen.
Die Lehren aus der Vergangenheit
Der 7. Oktober war nicht der Anfang, sondern lediglich der Moment, in dem mein Mann und ich verstanden haben, dass es hier in naher Zukunft nicht besser werden würde und daraufhin die Konsequenzen gezogen haben, zurück nach Israel zu gehen. Hinzu kommt, dass ich auch immer meine jüdische Urgroßmutter im Ohr habe, die noch rechtzeitig Prag vor dem Einmarsch der Nazis verlassen wollte. Mein Urgroßvater nahm ihre Befürchtungen nicht ernst, hatte Angst vor einem Neuanfang im Unbekannten – und glaubte vielleicht auch ein bisschen zu sehr an das Gute im Menschen. Heute wissen wir: Die Konsequenzen waren unvorstellbar.
Das hat mich für mein Leben geprägt und so traurig es klingt und obgleich es auch gute Menschen gibt: Ich habe mir geschworen, dass ich nicht zu spät gehen werde. Ich werde nicht abwarten und auf das Gute hoffen und ich kann nicht darauf vertrauen, dass die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland sich schützend vor die jüdische Gemeinschaft stellt. Das haben mich meine Familiengeschichte aber auch die vergangenen 5 Monate gelehrt.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die deutsche Politik, die Fehler der Vergangenheit anerkennt und aufhört lediglich Phrasen an Gedenktagen zu wiederholen. Wenn es für jüdisches Leben in Deutschland noch einen Lichtblick geben soll, dann geht das nur durch bessere Bildung, verbindende Projekte und konsequentes Handeln bei antisemitischen Straftaten.
Weitere Informationen
Unser Büro in Jerusalem setzt sich für den israelisch-palästinensischen Dialog ein. Kristof Kleemann leitet das Büro in Jerusalem und steht für Medienanfragen zur Verfügung.
Am 25. April findet die 18. Berliner Rede zur Freiheit statt. Die Friedrich-Naumann-Stiftung setzt ein Zeichen für gesellschaftlichen Zusammenhalt und gegen Antisemitismus. Hier geht’s zum Livestream.