Neues Parlament in Hongkong
Ein Saal voller Unbekannter
Nach dem sogenannten „Nationalen Sicherheitsgesetz“ sind nun auch die Regeln für die Parlamentswahl in Hongkong repressiv: Wer von der chinesischen Regierung nicht als „Patriot“ eingestuft wird, muss sich keine Hoffnungen auf ein Mandat machen. Der ehemalige Abgeordnete Dennis Kwok schildert die neue, bedrückende politische Atmosphäre.
Ich habe einen Großteil der letzten acht Jahre im Hongkonger Parlament verbracht. Mein Platz befand sich auf der linken Seite der Ratskammer, auf der Sitzbank, die traditionell von den oppositionellen Demokraten besetzt war. Jetzt werden sie von Leuten besetzt, von denen ich und die meisten Hongkonger noch nie etwas gehört haben oder über die sie nur wenig wissen. Einige von ihnen sprechen Mandarin (im Gegensatz zu Kantonesisch), und das Staatswappen der Volksrepublik China ist nun im Ratssaal als ständige Erinnerung an das "neue" Hongkong angebracht.
Im Dezember waren die ersten Wahlen seit dem Aus für die Demokratiebewegung in der chinesischen Sonderverwaltungszone abgehalten worden. Aus Protest waren viele Bürgerinnen und Bürger den Wahlurnen ferngeblieben – die Beteiligung lag Medienberichten zufolge bei gerade 30 Prozent. Am 3. Januar 2022 sind die 90 neu "gewählten" Mitglieder des Hongkonger Parlaments vereidigt worden, die nun im Namen der Hongkonger die Gesetze machen sollen.
Deren Wahl vorausgegangen waren die Einführung des sogenannten „Nationalen Sicherheitsgesetzes“, das Peking Hongkong am 30. Juni 2020 auferlegt hatte, sowie das neue, weitreichende Wahlrecht. Dadurch wurden die Regeln für die Wahl des Legislativrats, wie das Hongkonger Parlament heißt, völlig neu gestaltet. Nach dem neuen System darf bei den Wahlen niemand mehr kandidieren, der nicht von Peking als "Patriot" abgesegnet ist. Die Nationale Sicherheitskommission nimmt eine Vorprüfung aller Kandidaten vor, um diejenigen herauszufiltern, die als "unpatriotisch" gelten oder eine "nationale Sicherheitsbedrohung" für China darstellen. Aus Verachtung für das neue System nahmen an der Wahl keine Demokraten teil - nicht, dass die meisten von ihnen überhaupt aufgestellt werden könnten. Seit 2020 wurden mehr als 40 zivilgesellschaftliche Gruppen entweder von den Behörden verfolgt oder mussten ihre Tätigkeit in Hongkong aufgrund von Drohungen der Behörden einstellen.
Nicht nur die Abgeordneten sind nun andere. Unmittelbar vor dem Ratssaal sehen wir immer noch viele Journalisten und Medienvertreter, nur sind die unabhängigen Medien wie „Apple Daily“, „Stand News“ und „Citizens News“ jetzt verschwunden. Diese unabhängigen Medien wurden alle zur Schließung gezwungen, nachdem die nationale Sicherheitspolizei 2021 eine Razzia in den Büros von „Apple Daily“ und „Stand News“ durchführte und deren leitende Angestellte und Redakteure mit der Begründung der nationalen Sicherheit und dem Vorwurf des Aufruhrs verhaftete. Ein weiterer unabhängiger digitaler Nachrichtensender, „Citizens News“, musste kurz nach den Razzien seine Tätigkeit einstellen. Die Reporter dieser Sender waren diejenigen, die Politikern und Beamten die schärfsten Fragen stellten, und das taten sie täglich. Dies gehört nun der Vergangenheit an.
Die Tradition der Rechtsstaatlichkeit ist vorbei
Aufwiegelung war ein altes Gesetz aus der Kolonialzeit, das seit den 1970er Jahren kaum noch angewandt wurde. Vergangenes Jahr haben die Behörden diesen alten Straftatbestand wiedereingeführt, ohne jegliche Garantien oder Rücksicht auf Menschenrechte, die die Rede- und Medienfreiheit schützen sollen. Die Veröffentlichung von behördenkritischen Artikeln kann dazu führen, dass die Medien strafrechtlich belangt werden. Höchstwahrscheinlich wird Redakteuren oder Journalisten aus Gründen der nationalen Sicherheit keine Kaution gewährt. Diese Regelung wurde vom Court of Final Appeal, dem höchsten Gericht in Hongkong, als im Einklang stehend mit den neuen Gesetzen in Hongkong bestätigt. Die Tradition der Rechtsstaatlichkeit, die es in Hongkong einst gab, ist nun vorbei. Die internationale Gemeinschaft und die ausländischen Regierungen sollten sich nicht länger der Illusion hingeben, dass die Gerichte in Hongkong die grundlegenden Menschenrechte wie früher schützen werden.
Die Behörden sind fest entschlossen, alle Traditionen und Systeme, die vom alten Hongkong übriggeblieben sind, abzuschaffen. Dies ist eine völlig neue Art des Regierens, die Hongkong in vielerlei Hinsicht wieder zu einer Kolonie macht. Nur diesmal ist der neue Kolonialherr ein aggressiver autoritärer Staat, der Hongkong mit Füßen tritt und seinen Stempel aufdrücken will. Die politische Atmosphäre im neuen Hongkong führt dazu, dass sich die neuen Mitglieder des Legislativrats gegenseitig darin übertreffen müssen, absolute Loyalität gegenüber Peking zu zeigen.
Die erste Aufgabe in der neuen Legislaturperiode besteht darin, das Gesetzgebungsverfahren zur Verabschiedung weiterer Gesetze zur „nationalen Sicherheit“ abzuschließen. Zu diesen neuen Gesetzen gehören das Verbot von "Fake News", Auslandsspionage, ein noch härterer Straftatbestand der Aufwiegelung und die Ächtung und Kriminalisierung ausländischer Gruppen. Ausländische Medien und Unternehmen in Hongkong werden zweifellos von der nächsten Welle von Razzien im Jahr 2022 betroffen sein. Die Behörden haben sich kürzlich in einem Schreiben an internationale Medien über deren "parteiische" Leitartikel beschwert. Die neuen Gesetze zur „nationalen Sicherheit“ werden zweifellos die drakonischsten Formen annehmen. Es ist nicht zu erwarten, dass die neuen Mitglieder des Parlaments irgendetwas davon ernsthaft in Frage stellen oder Menschenrechtsbedenken äußern werden.
* Dennis Kwok ist ehemaliges Mitglied des Legislativrats von Hongkong (2012 bis 2020) und derzeit Senior Fellow an der Harvard Kennedy School.
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