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Frankreich
Chaos vor den Neuwahlen

Französische Wahlunterlagen

Französische Wahlunterlagen

© picture alliance / abaca | Hubert Psaila Marie/ABACA

Als Reaktion auf den herben Verlust der Liberalen in der diesjährigen Europawahl kündigte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch am Wahlabend die Auflösung der Nationalversammlung und Neuwahlen an. Zwei Tage später verkündet Éric Ciotti, Vorsitzender der konservativen Les Républicains (LR), seine Partei solle eine Allianz mit dem rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) eingehen – und stellt so Frankreichs Konservative vor eine Zerreißprobe.

Es war ein schlechtes Ergebnis für die französischen Liberalen bei der diesjährigen Europawahl: Besoin d’Europe („Notwendigkeit für Europa“), die gemeinsame Liste der Mitte-Parteien Renaissance, MODEM, Horizons, Parti Radical und UDI, wird mit 14,6% zwar zweitstärkste Kraft, verliert aber 10 Sitze im Europäischen Parlament. Klarer Gewinner der Europawahl in Frankreich ist mit 31,4% der rechtspopulistische Rassemblement National (RN), der zwölf Sitze dazugewinnt und künftig mit 30 Sitzen im Europäischen Parlament vertreten sein wird. Zählt man die Stimmen der rechtsnationale Partei Reconquête noch dazu, kommt man auf etwa 40 der Stimmen für extrem rechte Parteien.

Noch am Wahlabend kündigte der französische Präsident Emmanuel Macron die Auflösung der Nationalversammlung und Neuwahlen an. Im französischen Wahlsystem werden die 577 Mitglieder der Nationalversammlung in bis zu zwei Wahlgängen gewählt. Im ersten Wahlgang, der am 30. Juni stattfinden wird, müssen Kandidaten eine absolute Mehrheit mit über 50% der Stimmen und mindestens 25% der Wahlberechtigten erreichen. Falls keiner diese Kriterien erfüllt, findet am 7. Juli ein zweiter Wahlgang statt, in dem die relative Mehrheit genügt.

Nach der Wahl ernennt Präsident Macron einen neuen Premierminister, der von der Nationalversammlung zwar nicht bestätigt werden muss, jedoch politisch eine Mehrheit hinter sich haben sollte. Die übrigen Minister werden vom Premierminister vorgeschlagen und vom Präsidenten bestätigt.

Zeit für neue Allianzen?

Die Neuwahlen finden schon Ende Juni statt. Die Zeit für Wahlkampf ist also knapp bemessen. Kandidaturen mussten bis zum 16. Juni offiziell eingereicht werden. Wahlbündnisse, also Zusammenschlüsse verschiedener Parteien, sind in Frankreich üblich, und mussten vergangene Woche schnell geschlossen werden. Das sorgte insbesondere in den konservativen und rechten Lagern für Chaos.

Ciotti auf Rechtskurs

Am Dienstag, zwei Tage nach der Auslösung der Nationalversammlung und der Ankündigung von Neuwahlen, verkündete Éric Ciotti, Vorsitzender der konservativen Les Républicains (LR) während eines Interviews mit dem Fernsehsender TF1 seine Zustimmung für eine Zusammenarbeit mit dem RN – ein Schock für viele Parteimitglieder.

Denn bis jetzt galt in Frankreich der von Jacques Chirac geprägte Begriff „cordon sanitaire“, der die Zusammenarbeit mit rechten Parteien – damals noch dem Front National – ausschloss. In Einklang damit rief Präsident Macron in der Vergangenheit zum „arc républicain“, dem „republikanischen Bogen“ auf, um zu verhindern, dass RN-Kandidaten gewinnen: Sollten Kandidierende des RN es in den zweiten Wahlgang schaffen, sollten sich alle Kandidierenden der anderen Parteien bis auf die Bestplatzierte oder den Bestplatzierten zurückziehen und zur Wahl gegen den RN aufrufen.

Nun scheint der „republikanische Bogen“ zu schwinden. Angesichts des Ergebnisses der Europawahl hält Ciotti es für notwendig, sich dem Ergebnis anzuschließen. Außerdem habe der RN eine Zusammenarbeit mit Reconquête bereits ausgeschlossen. Doch die Mehrheit der französischen Konservativen teilt diese Meinung nicht. So kritisiert der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy nicht nur Ciottis Aussage, sondern auch, dass dieser sich parteiintern nicht abgesprochen habe.

Einer für den nächsten Tag vom LR-Vorstande einberufene Sondersitzung, um Ciotti aus dem Amt zu heben, entging der Politiker, indem er Mitarbeiter nach Hause schickte und sich in der Pariser Parteizentrale einschloss. Der Parteivorstand traf sich kurzerhand an einem anderen Ort und beschloss einstimmig, Ciotti aus der Partei auszuschließen. Die Parteizentrale konnte erst wieder betreten werden, als LR-Generalsekretärin Annie Genevard mit dem Ersatzschlüssel erschien.

Nachdem Ciotti den Ausschluss aus der Partei nicht akzeptierte, wurde er am Freitag erneut einstimmig aus der Partei ausgeschlossen. Noch am Freitagabend hat allerdings ein Pariser Gericht diesen Parteiausschluss per Eilentscheid vorläufig aufgehoben. Innerhalb von acht Tagen muss Ciotti nun ein Hauptsacheverfahren anstrengen. Bis dahin bleibt er der Parteivorsitzende – und bis dahin bleibt es spannend im französischen Wahlkampf.