LGBTQIA+
Indiens Höchstgericht entscheidet über die Ehe für Alle
Ein Hochzeitsfest feierten Abhay Dang und Supriyo Chakraborty bereits vor zwei Jahren: Sie tauschten Ringe aus, trugen ihre Ehegelübde vor und tanzten mit mehr als 100 Freunden und Verwandten zu Bollywood-Musik. Rechtlich gelten die zwei Inder aber immer noch als unverheiratete Singles: Als gleichgeschlechtliches Paar haben die Männer in ihrem Heimatland bisher keine Möglichkeit, ihre Partnerschaft staatlich anerkennen zu lassen.
Das wollen die beiden aber nicht hinnehmen. Das Paar aus der südindischen Metropole Hyderabad hat sich an Indiens Oberstes Gericht gewandt – und fordert von den Richtern, die Ungleichbehandlung homosexueller Beziehungen zu beenden. "Obwohl sie seit über zehn Jahren ein Paar sind, ein Haus gekauft und ein gemeinsames Leben aufgebaut haben, ist die Partnerschaft von Supriyo und Abhay rechtlich immer noch fragil", heißt es in ihrem Gerichtsantrag. Ihre Ehe nicht anzuerkennen, verletze die verfassungsmäßigen Grundrechte des Paares.
Zusammen mit anderen Paaren und Aktivisten, die sich ebenfalls an das Höchstgericht gewandt haben, gaben Abhay Dang und Supriyo Chakraborty den Anstoß für ein wegweisendes Verfahren: Im April begannen vor dem Supreme Court in der Hauptstadt Neu-Delhi die Anhörungen zu der Frage, ob in Indien Ehen tatsächlich nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden dürfen – oder ob andere Partnerschaftsformen künftig gleichgestellt werden. "Sollte das Gericht einer Gleichstellung zustimmen, wäre das eine historische Entscheidung", sagt die Juristin Jayna Kothari, Mitgründerin der Organisation Centre for Law & Policy Research. Als bevölkerungsreichstes Land der Welt verfügt Indien Schätzungen zufolge auch über die größte LGBTQ-Gemeinde.
In Asien ist die Ehe für Alle bisher nur in Taiwan gesetzlich verankert. In Indiens Nachbarstaat Nepal hat das dortige Höchstgericht zwar bereits mehrere Entscheidungen zugunsten gleichgeschlechtlicher Ehen getroffen. Zuletzt wies es in einem im Mai getroffenen Urteil die Regierung an, eine in Deutschland geschlossene Ehe zwischen einem Nepalesen und seinem deutschen Partner anzuerkennen. Ein entsprechendes Gleichstellungsgesetz fehlt in dem Land jedoch noch.
In Indien hatte eine Entscheidung des Obersten Gerichts bereits im Jahr 2018 zu einem wichtigen Durchbruch bei LGBTQ-Rechten geführt: Damals hoben die Richter einen während der britischen Kolonialzeit eingeführten Paragrafen im Strafgesetzbuch auf, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Nun zeigen sich die Befürworter der Ehe für Alle optimistisch, dass das Gericht den nächsten Schritt geht: "Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass das Gericht bereit ist, Rechte mit Blick auf Gender-Identität und sexuelle Orientierung zu schützen", sagt Anwältin Kothari. "Wir hoffen nun, dass es diesen Weg fortsetzt."
Kothari ist an dem Verfahren selbst beteiligt. Sie vertritt die indische Transgenderaktivistin Akkai Padmashali, die ebenfalls auf ihr Recht zur freien Eheschließung pocht. "Es ist wichtig, dass auch die Perspektive von Transpersonen vertreten ist", sagt Kothari. "Es geht schließlich nicht nur um die gleichgeschlechtliche Ehe – sondern um das Recht, dass zwei Personen unabhängig der jeweiligen Geschlechteridentitäten heiraten dürfen."
Vertreter der Regierung von Premierminister Narendra Modi nehmen in dem Verfahren vor dem Supreme Court die Gegenposition ein. Sie forderten das Gericht auf, die Anträge abzuweisen. "Das Zusammenleben und die sexuelle Beziehung von gleichgeschlechtlichen Personen ist nicht mit dem indischen Konzept der Familieneinheit von Mann, Frau und Kindern vergleichbar", argumentierte das Justizministerium. Die Antragsteller würden lediglich "urbane elitäre Ansichten" wiedergeben, hieß es weiter. Eine Entscheidung über die Ehe für Alle müsse von gewählten Abgeordneten getroffen werden – und nicht von einem Gericht, argumentierte die Regierung.
Angesichts der aktuellen Machtverhältnisse wäre ein Parlamentsvotum zugunsten der Ehegleichstellung aus Sicht von Juristin Kothari aber derzeit nicht zu erwarten. Die Regierungspartei BJP verfügt im Unterhaus über eine klare Mehrheit. "Sie hat sich bisher noch nie öffentlich für LGBTQ-Rechte eingesetzt", sagt die Anwältin. Es sei zweifelhaft, dass dies in Zukunft geschehe. Der Weg von das Oberste Gericht sei deshalb die einzige Möglichkeit, um Millionen von Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen. Dass es nur um Anliegen einer vermeintlichen Elite gehe, weist sie zurück: "Transpersonen gehören zu einer der am stärksten marginalisierten Gruppen Indiens – oft ohne Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt", sagt Kothari. Die Behauptung, es gehe um elitäre Forderungen, sei deshalb nicht mit der Realität vereinbar.
Ob das Gericht den Argumenten der Regierung folgt oder diese zurückweist, wird sich in den nächsten Monaten klären. Die öffentlichen Anhörungen sind abgeschlossen, bis Ende Juni befindet sich der Supreme Court nun in der Sommerpause. Die Urteilsverkündung ist damit frühestens im Juli möglich. "Wie immer es auch ausgeht, glaube ich, dass dieses Verfahren ein Erfolg ist", sagt Kothari. Es habe die Debatte um LGBTQ-Rechte in das Zentrum des öffentlichen Diskurses gebracht. Die Gerichtsanhörungen wurden live im Fernsehen und im Internet übertragen, Zeitungen setzten sich ausführlich mit den Forderungen der Antragsteller auseinander. "Dieses Verfahren hat die Menschen dazu gebracht, noch einmal neu darüber nachzudenken, was wir heutzutage unter einer Ehe verstehen."
Bereits in den vergangenen Jahren war erkennbar, dass sich der Umgang mit Homosexualität – lange Zeit ein Tabuthema in Indien – entspannt. In einer Umfrage des Pew Research Centers im Jahr 2020 gaben 37 Prozent der Inder an, dass Homosexualität gesellschaftlich akzeptiert werden solle. 2014 waren nur 15 Prozent dieser Meinung. "Ich bin mir sicher, dass sich dieser Trend fortsetzt", sagt Kothari. Einen Anteil daran haben wohl auch Abhay Dang und Supriyo Chakraborty. Sie geben mit ihrem Gerichtsantrag und einer Reihe von Interviews dem Thema ein Gesicht. "Die Öffentlichkeit bekommt im Zuge der Debatte immer öfter Beispiele von echten Menschen zu sehen", sagt Kothari. "Auch das leistet einen wichtigen Beitrag."