Japan
Japan: Yoshihide Suga – ein Premier nur für den Übergang?
Weiter wie bisher: Der neue japanische Premier Yoshihide Suga verspricht Kontinuität und schiebt nur zögerlich neue Projekte an - in der Bevölkerung büßt er dafür massiv an Zustimmung ein. Wer ist der Mann, der nun die Regierungsgeschäfte der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt leitet?
Japaner sind berüchtigt für ihre enorme Arbeitsethik. In der U-Bahn auf dem Heimweg von der Arbeit einzuschlafen gilt nicht etwa als Zeichen eines schlechten Lebenswandels, sondern als Ausdruck von Leistungswillen. Der neue Premier des Landes, Yoshihide Suga, passt da gut ins Bild: Medienberichten zufolge steht der 72-Jährige jeden Morgen bereits um 5 Uhr auf, um hundert Sit-ups und einen 40-Minuten-Spaziergang zu machen, beides absolviert er demnach im Anzug – falls er unerwartet an den Schreibtisch muss. In der Mittagspause isst er fast immer Buchweizennudeln, weil sich diese in nur fünf Minuten verspeisen lassen.
Der enorme Arbeitseifer hat sich für Suga nun ausgezahlt. Im September, also vor fast genau 100 Tagen, übernahm er den Vorsitz der konservativen Regierungspartei LDP von seinem langjährigen Vorgesetzten Shinzo Abe und damit auch das Amt des Premierministers. Abe hatte nur wenige Wochen vorher bekannt gegeben, krankheitsbedingt abtreten zu müssen. Die vergangenen acht Jahre hatte Suga eng an dessen Seite als Chefkabinettssekretär gearbeitet und war damit bereits einflussreiches Kabinettsmitglied. Nun musste sich der Abe-Vertraute auch für ihn überraschend einer neuen Herausforderung stellen – in einem Alter, in dem andere Japaner bereits den Ruhestand genießen.
Suga landet schon kurz nach Beginn im Umfragetief
Doch bisher hat Suga jedoch noch keine eigene Vision für die Zukunft seines Landes erkennen lassen – sondern erklärte zu seiner Mission, die Politik seines Vorgängers Abe weiterzuführen. Dieser hat sich als am längsten amtierender Premierminister Japans bereits seinen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert. Suga verpflichtete sich als dessen Nachfolger der Abenomics, einer Wirtschaftspolitik, die vor allem auf ultralockere Geldpolitik setzt und in ihrer Wirkung umstritten ist.
Anfang Dezember immerhin verkündete Suga ein umweltpolitisches Programm im Umfang von umgerechnet 19,2 Milliarden US-Dollar, das für 2050 ein klimaneutral wirtschaftendes “grünes Japan” vorsieht. 10 Milliarden sollen in die Digitalisierung investiert werden, was auch Grundlagenforschungen zur weiteren Entwicklung drahtloser Kommunikationstechnologien einschließt. Damit möchte Japan eine neue Stufe der Digitalisierung erklimmen und unter den Wettbewerbern wieder einen der Spitzenplätze einnehmen.
Davon abgesehen sieht sich Suga angesichts der Corona-Pandemie vor allem der Sicherung der Gesundheit der Bevölkerung verpflichtet und möchte andererseits weiteren Schaden für die Wirtschaft vermeiden. Vor diesem Hintergrund hat er ein weiteres Konjunkturprogramm angekündigt.
Die Bevölkerung hat Suga damit noch nicht für sich gewonnen: Seine Zustimmungsrate ist laut einer Umfrage von Anfang Dezember von vormals 63 Prozent auf nun nur noch 50 Prozent gefallen. Die offene Ablehnung seiner Politik stieg demnach von 14 auf 33 Prozent.
Sechs Paar Schuhe im Wahlkampf durchgelaufen
Suga war das politische Spitzenamt nicht in die Wiege gelegt. Anders als sein Vorgänger stammt er nicht aus einer Politiker-Dynastie, sondern wuchs als Sohn eines Erdbeerbauern und einer Lehrerin in der Präfektur Akita auf. Als ältester Sohn erwarteten die Eltern von ihm, den Familienbetrieb zu übernehmen - diesem Lebensweg entfloh Suga aber. Er studierte stattdessen an der Hosei University in Tokio, das Geld für sein Studium erarbeitete er sich in einer Kartonfabrik und auf dem Fischmarkt.
Bald begann er sich für die Politik zu interessieren und strebte 1987 einen Sitz im Stadtrat von Yokohama an. Mehr als 30.000 Häuser soll er abgelaufen sein, um für sich zu werben, und sechs Paar Schuhe durchgelaufen haben. Von da an dauerte es für ihn noch 20 weitere Jahre, bis er ins Parlament gewählt wurde. Fortan galt er als ein Macher, jemand, der nicht aufgibt. Aber auch als Schattenmann. Bis heute gibt es Zweifel daran, dass er über genug Charisma verfügt, um sich als politische Führungsfigur zu etablieren.
Im September endet die Legislaturperiode
Knapp ein Jahr hat Suga nun, um seinen Kritikern das Gegenteil zu beweisen. Im September kommenden Jahres endet die laufende Legislaturperiode. Möchte Suga nicht nur als Übergangspremier in die Geschichtsbücher eingehen, muss er sich anstrengen, um bis dahin nicht von jüngeren Anwärtern seiner Partei überholt zu werden.
Es liegen noch große Herausforderungen vor ihm. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben nicht nur die japanische Wirtschaft erneut geschwächt. Sie haben auch eines der wichtigsten Projekte Abes, die Olympischen Spiele 2020 in Tokio, verschoben. Sie soll nun am 23. Juli 2021 stattfinden - die Verschiebung kostet den japanischen Steuerzahler nun 2,8 Milliarden Dollar mehr. Wenn sich das am Ende nicht auszahlt, wird der Misserfolg an Suga haften bleiben.
Außenpolitisch könnte es für ihn besser laufen. Zwar herrscht nach der Abwahl von US-Präsident Donald Trump, der seine Golf-Leidenschaft mit Abe teilte, zunächst Verunsicherung. Trumps Nachfolger Joe Biden schickte allerdings positive Signale, als er bekräftigte, die ebenfalls von China beanspruchten Senkaku Inseln (Chinesisch: Diaoyu) fielen unter Artikel 5 des Sicherheitsabkommens zwischen Japan und den USA. Dem Disput über die Inseln zum Trotz geriet auch ein Besuch des chinesischen Außenministers Wang Yi in Tokio weitestgehend wohlwollend. Suga steht allerdings noch vor der Entscheidung, ein mit dem chinesischen Premierminister Xi Jinping verschobenes Treffen endgültig abzusagen oder nach Ende der Corona-Pandemie doch noch stattfinden zu lassen.
Und noch ein Problem drängt auf die außenpolitische Agenda: Im letzten Teil der Amtszeit des langjährigen Ministerpräsidenten Abe hatten sich die Beziehungen zwischen Japan und Südkorea dramatisch verschlechtert. Viele hatten gehofft, dass beide Länder den Premierminister-Wechsel als Chance nutzen könnten, ihr Verhältnis wieder zu verbessern. Nach 100 Tagen gibt es keine Anzeichen, dass in näherer Zukunft die Weichen wieder auf Ausgleich und Verständigung gestellt werden könnten - was an beiden Seiten liegt.
Noch ist nicht klar, wie Sugas politische Zukunft aussehen wird. Die Herausforderungen sind groß. Aber unterschätzen sollte man ihn nicht.