Südafrika
Ein Präsident unter Druck
Fast dreißig Jahre nachdem Nelson Mandela 1994 zum ersten demokratischen Präsidenten Südafrikas gewählt wurde, könnte die Partei, die das Land seit dem Ende der Apartheid geführt hat, erneut vor einem signifikanten Wandel stehen: dem Verlust der Macht.
Der African National Congress (ANC) erfreute sich jahrelang großer Beliebtheit unter der Wählerschaft. Doch nach einer Zeit, die der heutige Präsident Cyril Ramaphosa als "neun vergeudete Jahre" einer korrupten Regierung unter dem ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma bezeichnete, ist die Lage heute wenig rosig. Umfragen zeigen, dass die Partei bei den nächsten Parlamentswahlen im Jahr 2024 zum ersten Mal weniger als 50 Prozent der Stimmen erhalten könnte. Sollte tatsächlich dies eintreten, wäre die Partei entweder gezwungen, erstmals die Macht zu teilen oder diese sie gänzlich an eine Koalition aus Oppositionsparteien zu verlieren. Es wäre ein ungewohntes Szenario für den ANC, der jahrelang Stimmen aufgrund seiner Verdienste im Anti-Apartheid-Kampf sowie durch nicht immer eingelöste Wahlversprechen erhalten hat.
Die rund 4.000 Parteimitglieder, die vom 16. bis 20. Dezember in Johannesburg zum nationalen Parteitag zusammenkommen, wissen, dass der ANC womöglich bald keine Regierungspartei mehr sein wird. Viele Unterstützer des ANC sind überzeugt, dass Ramaphosa der Einzige ist, der die Partei vor einer Wahlkatastrophe bewahren kann. Doch ein vor Kurzem veröffentlichter verheerender Bericht entlarvte, dass Ramaphosa womöglich weit weniger integer ist, als es aufgrund seines Kampfes gegen die Korruption bisher angenommen wurde. Der Bericht wurde von einem unabhängigen Gremium erstellt und kam zu dem Schluss, dass es Gründe für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Rampahosa geben könnte: Der Präsident habe möglicherweise gegen die Verfassung verstoßen. Hintergrund ist der Diebstahl eines hohen Geldbetrages auf seiner Wildtierfarm Phala Phala. Zwischen 580.000 und 4 Millionen US-Dollar hatte Ramaphosa durch einen Verkauf von Zuchttieren an einen ominösen sudanesischen Geschäftsmann erwirtschaftet und – anscheinend - in einem Sofa versteckt, aus dem sie schließlich entwendet wurden.
Obwohl Ramaphosa nach der Veröffentlichung des Berichts einen möglichen Rücktritt angedeutet hatte, unterstützen ihn die Führungskreise des ANC. Es ist wahrscheinlich, dass er als Parteivorsitzender wiedergewählt wird – und mindestens bis zum Ende seiner ersten Amtszeit im Jahr 2024 im Amt bleibt.
Ramaphosas Anziehungskraft
Ramaphosa findet in der südafrikanischen Bevölkerung großen Anklang. Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Ipsos vor und nach den Parlamentswahlen 2019 belegen, dass er unter allen politischen Führern des Landes die größte Unterstützung genießt. Umfragen zufolge ist er auch beliebter als der ANC selbst. Innerhalb der Partei hat Ramaphosa die meisten Nominierungen aller Kandidaten bei der Wahl auf dem kommenden Parteitag erhalten. Schon aufgrund dieser Tatsache ist seine Wiederwahl wahrscheinlich. 2037 von insgesamt 3308 Verbänden des ANC haben Ramaphosa nominiert. Sein stärkster Rivale, der ehemalige Gesundheitsminister Zweli Mkhize, erhielt 916 Nominierungen.
Die Unterstützung für Ramaphosa scheint gleichmäßig über das ganze Land verteilt zu sein, mit Ausnahme von Mkhizes Heimatprovinz KwaZulu-Natal. Dort ist auch der berüchtigte Ex-Präsident Jacob Zuma beheimatet und es ist wohl größtenteils auf ihn zurückzuführen, dass in die Mitglieder des ANC in dieser Provinz Cyril Ramaphosa ablehnen. Viele Einwohner KwaZulu-Natals sind überzeugt, dass die Korruptionsvorwürfe gegen Zuma Teil eines politischen Komplotts sind.
Endemische Korruption
Doch wie viel Macht wird Ramaphosa haben, sollte er auf dem anstehenden Parteitag wiedergewählt werden? Und wird sie ausreichen, um die von ihm versprochenen Reformen durchzusetzen?
Als Ramaphosa auf dem Parteitag 2017 vom stellvertretenden Präsidenten zum Präsidenten befördert wurde, kündigte er an, mit der Korruption innerhalb des ANC und der Regierung aufzuräumen und die geschwächten Institutionen zu stärken. Seitdem hat er wichtige Reformen durchgeführt, sei es eine Stärkung der Staatsanwaltschaft oder die Einrichtung von neuen Strukturen zur Korruptionsbekämpfung. Unter Ramaphosas Führung wird ein Verdacht auf Korruption unter Spitzenbeamten auch nachhaltig verfolgt. So wurde beispielsweise der damalige unter Korruptionsverdacht stehende Generalsekretär des ANC, Ace Magashule, suspendiert.
Allein die Korruption unter Jacob Zuma hat das Land schätzungsweise 57 Milliarden Rand (3.3 Milliarden Dollar) gekostet. Staatliche Unternehmen wie die Hafen- und Eisenbahnbehörde Transnet, der Energieversorger Eskom und der Rüstungskonzern Denel wurden von Zumas Clique systematisch ausgehöhlt. Doch auch nach Zumas Amtszeit bleibt Korruption ein gravierendes Problem für die südafrikanische Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Während der Covid-Pandemie wurden große Geldbeträge, die für die Bekämpfung der Pandemie bestimmt waren, veruntreut oder gestohlen. Ramaphosas Konkurrent Zweli Mkhize war in diese Vorfälle direkt verwickelt, obwohl er sich als Arzt und Gesundheitsminister für seine wissenschaftlich geprägte Reaktion auf die Pandemie Anerkennung verschaffte. Im August vergangenen Jahres trat er schließlich zurück.
Während Ramaphosa Lob für seinen schonungslosen Umgang mit Mkhize erhielt, beteuert dieser bis heute seine Unschuld. Mkhizes Kampagne könnte nun zu einem Sammelpunkt für Mitglieder des ANC werden, die sich gegen Ramaphosas Anti-Korruptionsreformen in der Regierung und der Partei wehren. Viele halten diese für einen politischen Schachzug Ramaphosas, sich seiner politischen Rivalen zu entledigen.
Plan B der Ramaphosa-Gegner
Einige der stärksten Kandidatinnen und Kandidaten für die sechs Spitzenämter der Partei stammen aus dem Lager der Gegner Ramaphosas, wie etwa die ehemalige Ministerin Nomvula Mokonyane, die der Annahme von Schmiergeldern beschuldigt wird. Ob Generalschatzmeister Paul Mashatile, der die meisten Nominierungen für den Posten des Vizepräsidenten erhielt, Ramaphosa unterstützt, ist fraglich. Ramaphosas Wahlkämpfer misstrauen ihm wegen seiner Ambitionen, selbst Präsident zu werden – eher früher als später.
Der Parteitag 2017 verdeutlichte, wie tief der ANC gespalten ist. Der dort entstandene Kompromiss, nach dem führende Vertreter beider Fraktionen in die Führungsstrukturen der Partei aufgenommen wurden, führte zu Vereinbarungen zwischen Ramaphosas Anhängern und dessen Gegnern, mit denen keine Seite wirklich zufrieden war.
Ramaphosas Gegner sind sich bewusst, wie schwierig es ist, Ramaphosa aufgrund seiner Popularität beim kommenden Parteitag zu stürzen und haben daher einen Plan B verfolgt: Möglichst viele Gegner Ramaphosas als Kandidaten für den 80-köpfigen nationalen Exekutivausschuss aufzustellen. Dieser Ausschuss hat die Macht, den Präsidenten zum Rücktritt zu zwingen – und er schreckt nicht davor zurück, diese anzuwenden. 2008 wurde Thabo Mbeki abgesetzt, nachdem Jacob Zuma zum Parteivorsitzenden gewählt wurde; 2018 musste Zuma selbst zurücktreten, nachdem Ramaphosa Parteivorsitzender wurde.
Angesichts der Kontroverse um das Wildtiergeschäft auf der Farm Phala Phala könnte Ramaphosa also noch an seinen eigenen Fehlern scheitern. Doch selbst wenn er auf dem Parteitag wiedergewählt wird, ist nicht sicher, ob der ANC lange genug an der Macht bleibt, um Ramaphosas Versprechen umzusetzen.
Carien du Plessis ist politische Journalistin mit Sitz in Johannesburg, Südafrika