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Wahlen und Volksabstimmungen: Demokraten überzeugen derzeit mehr

Wähler reagieren auf die Verabschiedung einer Maßnahme zur Änderung der Staatsverfassung und zur Einführung eines Rechts auf Abtreibung in Ohio am 7. November 2023.

Wähler reagieren auf die Verabschiedung einer Maßnahme zur Änderung der Staatsverfassung und zur Einführung eines Rechts auf Abtreibung in Ohio am 7. November 2023.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Kareem Elgazzar

Gestern fanden in mehreren US-Bundesstaaten Wahlen für verschiedene Ämter und Mandate sowie Volksabstimmungen zu kontroversen Themen statt. Gerade die Volksabstimmungen auf Ebene der Einzelstaaten geben oft wichtige Einblicke und Hinweise zu grundlegenden politischen Entwicklungen, die wiederum Einfluss auf das Wahlverhalten bezüglich der Kandidatinnen und Kandidaten beider Parteien haben.

Die Bürgerinnen und Bürger von Ohio stimmten mit jeweils rund 56 Prozent für sehr umfassende Abtreibungsrechte und für die Legalisierung von Marihuana.

Das Thema Abtreibung favorisiert die Demokraten in wichtigen Staaten

Besonders im Fokus stand eine Volksabstimmung, mit der das Recht auf selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung von Ohio verankert werden sollte. Ungefähr 56 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmten dem Vorschlag zu – eine klare, wenn auch nicht übergroße Mehrheit. In der Verfassung von Ohio wird im Ergebnis innerhalb von 30 Tagen nach der Abstimmung ein verfassungsmäßiges Recht auf „eigene reproduktive Entscheidungen“ verankert. Dazu gehören "Entscheidungen über Abtreibung, Empfängnisverhütung, Fruchtbarkeitsbehandlung, Behandlung von Fehlgeburten und Fortsetzung der Schwangerschaft“, das Recht ist jedoch nicht darauf beschränkt.

Dem Staat ist es erlaubt, die Abtreibung nach der Lebensfähigkeit des Fötus einzuschränken, es sei denn, sie ist "zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit der schwangeren Patientin notwendig". Für die Lebensfähigkeit wird die 22. Woche der Schwangerschaft angesetzt. In Ohio gilt damit ein Recht, dass Frauen die Entscheidung für eine Abtreibung deutlich länger als in Deutschland ermöglicht.

Das ist aus mehreren Gründen bemerkenswert:

1. Ohio ist ein Staat, in dem die Republikaner den Gouverneur sowie klare Mehrheiten in beiden Häusern des Parlaments stellen und den Donald Trump sowohl 2016 als auch 2020 gewann. Die republikanische Partei hat sich sehr stark gegen den vorgeschlagenen Verfassungszusatz engagiert. Unter anderem wurde mit republikanischer Unterstützung ein Vorschlag zu Abstimmung gestellt, der das Quorum für den Erfolg eines Vorschlags zur Ergänzung der Verfassung auf 60 Prozent anheben werden. Dieser Vorschlag wurde jedoch abgelehnt.

2. Nach dem Dobbs-Urteil des Obersten Gerichtes der USA vom Juni 2022 liegt die Gesetzgebungskompetenz zu Schwangerschaftsabbrüchen wieder bei den einzelnen Bundesstaaten. In Ohio bestand die Möglichkeit, dass ein sehr restriktives Gesetz von 2019 in Kraft tritt, dass vom republikanischen Gouverneur unterstützt und nur temporär von Gerichten gestoppt wurde. Mit dieser Perspektive gelang es den Befürworterinnen und Befürwortern des Vorschlages, inklusive der Demokraten, die Debatte stark zu ihrem Gunsten zu emotionalisieren. Die Strategie der Republikaner ging dagegen in diesem wichtigen Bundesstaat nicht auf.

3. Der Vorschlag zur Ergänzung der Verfassung zog deutlich mehr Spenden an: ca. 41 Millionen US$ für „Ja“ standen ca. 29 Millionen für „Nein“ gegenüber.

4. Ohio hat einen, wenn auch seit 2020 (als Donald Trump Ohio gewann, aber Joe Biden die Präsidentschaft) etwas ramponierten Ruf, als „Bellwether State“, als Staat, dessen Wahlergebnis bei Präsidentschaftswahlen über Jahrzehnte dem nationalen Ergebnis entsprach. In einem derartigen Staat stellte sich die Mehrheit zu einem Thema, dass die Republikaner selbst in den Mittelpunkt vieler Kampagnen gerückt haben, gegen sie.

Bei beiden Volksabstimmungen, also auch bei der über die Marihuana-Legalisierung, war ein starkes Stadt-Land-Gefälle zu erkennen. Die Menschen in den großen Städten Ohios stimmten mehrheitlich für die Vorschläge, in den ländlich geprägten Wahlkreisen stimmten sie mehrheitlich mit Nein.

Auch in anderen Bundesstaaten spielte das Abtreibungsthema eine Rolle bei verschiedenen Wahlen und favorisierte die Demokraten. Bei den Wahlen zu Senat und Delegiertenhaus in Virginia spielte es in vielen knappen Rennen eine Rolle. Die republikanischen Positionen erschienen dabei oft der Mehrheit zu radikal. Die Demokraten beherrschen jetzt beide Häuser, nachdem die Republikaner, die weiterhin den Gouverneur stellen, das Haus verloren haben. Virginia ist ein wichtiger „Battleground State“, den Joe Biden 2020 gewann.

Populäre Kandidaten gewinnen – auch gegen von Trump unterstützte Wettbewerber

Auch Gouverneurswahlen können wichtige Signale geben. Das gilt für Kentucky, wo der demokratische Amtsinhaber Andy Beshear den von Trump unterstützten republikanischen Kandidaten Daniel Cameron mit mehr als 52 Prozent der Stimmen schlug. Letzterer wäre der erste  „African American“ als Gouverneur von Kentucky und als republikanischer Gouverneur überhaupt geworden. Interessant ist auch hier, dass die Demokraten während des Wahlkampfes deutlich höhere Mittel zur Verfügung hatten. Das gilt auch dann, wenn man die Ausgaben durch die sogenannten „Politischen Aktionskomitees“ einbezieht, die Kandidaten unterstützen, ohne von ihnen kontrolliert zu werden.

Gleichzeitig ist festzuhalten, dass die republikanische Basis gerade in südlichen Bundesstaaten sehr loyal ist. Tatu Reeves schlug seinen demokratischen Herausforderer Brandon Presley mit mehr als 51 Prozent der Stimmen. Auch wenn er von einigen Skandalen berührt wurde und zu den unpopulärsten Gouverneuren der USA gehört, wählten die Bürgerinnen und Bürger von Mississippi den Amtsinhaber wieder. Interessant ist hier, dass beide Spenden in ähnlichem Umfang (ca. 10 Millionen US$) einwarben, jedoch zuletzt der demokratische Kandidat deutlich aufgeholt hat. An ihn flossen vor allem Spenden von außerhalb des Staates, während Reeves aus dem Staat selbst die Mehrheit seiner Zuwendungen erhielt.

Sowohl in Kentucky als auch in Mississippi zeigte sich zudem, wie wichtig der Bonus der Amtsinhaber ist, der nur sehr schwer zu überwinden ist.

Was heißt das für 2024?

Ergebnisse von Wahlen ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen dürfen, ebenso wie die derzeitigen Umfragen, nicht überbewertet werden. Es ist jedoch offensichtlich geworden, dass das Thema Abtreibung für die Republikaner in für den Wahlausgang wichtigen Staaten kein Gewinnerthema ist – ganz im Gegenteil. Sie können mit sehr restriktiven Positionen zwar Wählerinnen und Wähler in sehr konservativ eingestellten Staaten anziehen und binden – diese würden sie jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit ohnehin wählen. In anderen Staaten gibt es Mehrheiten, die diesen restriktiven Kurs stark ablehnen.

Trumps Einfluss auf die Republikanische Partei ist weiterhin stark, aber auch seine Unterstützung half nicht gegen einen populären Gouverneur – und das in einem Staat, der eigentlich stark republikanisch geprägt ist und den er 2020 mit 62 Prozent gewonnen hat. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass jüngste Umfragen zeigen, dass er in den wahlentscheidenden Swing States sehr stark ist und in den meisten einen Vorsprung auf den Amtsinhaber Joe Biden hat.

Es wird interessant zu beobachten, ob das Abtreibungsthema auch bei den Wahlen in 2024 zur Mobilisierung taugt – und für welche Wahlen. Es hat sich auch gezeigt, dass die Wählerinnen und Wähler in den USA trotz aller Polarisierung in der Lage sind, differenzierte Entscheidungen zu treffen und nach Themen und Personen abzuwägen.