#FEMALEFORWARDINTERNATIONAL
Das Geschick, den Status Quo anzufechten
Professorin Zeynep Alemdar, eine türkische Akademikerin, über die Gründe, warum politische Repräsentierung eine Menge ausmacht und warum Frauen an die Front der globalen Entscheidungsfindung gestellt werden müssen.
Zeynep Alemdar wuchs im kosmopolitischen Istanbul auf und war schon immer davon fasziniert, wie gross die Welt ist, wie unbegrenzt die Zukunftsmöglichkeiten sind und gleichzeitig wie klein Menschen sein können.
Sie konnte schon in jungem Alter Zusammenhänge klar erkennen und lernte zügig, das es keine deutlichen Linien zwischen dem Heimischem und dem Internationalen gibt. Dass unser Leben von globalen Geschehnissen beeinflusst wird, als auch von lokalen Ereignissen.
Diese Einsicht führt Alemdar, eine Problemlöserin von Haus aus, zu ihrer Berufung in die internationalen Beziehungen. Mittlerweile ist sie Professorin und Dekanin an der Okan Universität in Istanbul und sagt: “Die Welt ist riesig und spannend, und wir sitzen meistens fest in unserer eigenen Lokalität. Ich hatte schon immer eine Vogelperspektive für Ereignisse, sah alles aus einer grösseren Perspektive.”
Kein Wunder, dass sich ihr Forschungsinteresse um Themen wie der Demokratisierung und Zivilgesellschaft, kritischen Sicherheitsstudien und internationalen Organisationen dreht.
In ihrer Karriere als Akademikerin aber auch als Person mit Einfluss in der Zivilgesellschaft fokussiert sie sich darauf, die weibliche Perspektive sowohl in lokalen, als auch in globalen Entscheidungsfindungsprozessen voranzutreiben. Wie sie selber sagt, das Bestreben für Gleichheit war schon immer wie ein Brennmotor sowohl auf ihrer persönlichen, als auch beruflichen Reise.
Zusammen mit Dr Christina Bache und Rand Birnen, zwei Damen aus unterschiedlichen Bereichen aber mit einem Hintergrund in internationalen Beziehungen, gründete Alemdar Women in Foreign Policy in Turkey. Das Ziel dieser Initiative ist es, die kritische Bedeutung der Frauen in der internationalen Konfliktlösung zur Geltung zu bringen und Frauen einen sicheren Raum zu geben, damit sie über diese Themen sprechen.
“Wir drei kommen aus unterschiedlichen Sektoren - der akademischen Welt, einem Think-Tank und der Geschäftswelt. Wir sahen Männer, wie sie sich über die Themen unterhielten, über die wir eine Menge wissen, und wir wurden niemals zur Diskussion eingeladen. Warum wurde unsere Fachkenntnis nicht so geschätzt wie die von alten weissen Männern?”, fragt Prof Alemdar rhetorisch.
Die Rolle der Frauen zur Friedenssicherung
Sie bemerkte ebenso, dass keine ihrer weiblichen Studenten in ihren Vorlesungen für internationale Beziehungen selbstbewusst genug waren davon zu träumen, eines Tages Staatspräsidentin zu werden oder sich eine Topführungsposition in der öffentlichen Politik zum Ziel zu machen.
Prof Alemdar erklärt das Ziel der Women in Foreign Policy Initiative folgendermassen: “Mir möchten Frauen mit Interesse an der Aussenpolitik ermutigen und ihnen einen Raum schaffen, wo sie sich sicher über die Lösung internationaler Probleme austauschen, von ihren Vorbildern lernen können und wo verschiedene Generationen zusammenkommen”.
Ein Beispiel hierfür wäre ihre Bemühung, die Türkei dazu zu bringen, einen nationalen Aktionsplan umzusetzen, dem der Beschluss 1325 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zugrunde liegt, indem es um die Stärkung der Teilhabe der Frauen in der Konfliktlösung, Friedenssicherung und -konsolidierung geht.
“Wir schaffen Bewusstsein und schreiben darüber, wie die türkische Aussenpolitik dazu gesteuert werden kann, den Frieden und Sicherheit auf ihre Tagesordnung aufzunehmen. Wie die Prioritäten der türkischen Aussenpolitik sensibilisiert werden können für die feministische Agenda. Es ist ein derart einfach zu erreichendes Ziel, dass man es tun kann, ohne dass jemand es bemerkt”, sagt Alemdar.
Einer Studie des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zufolge ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Friedensabkommen länger als 15 Jahre dauert um 35% erhöht, wenn Frauen in Friedensverhandlungen miteingebunden werden. Es gibt Beispiele aus dem wirklichen Leben aus Orten wie z.B. Liberien, den Philippinen und Burundi, wo von Frauen geführte zivilgesellschaftliche Organisationen es verhindert haben, dass Friedensverhandlungen ausgesetzt wurden und es geschafft haben, dass Männer untereinander zu einer Vereinbarung gekommen sind.
Professorin Alemdar erklärt: “Am Friedenstisch sprechen Männer üblicherweise über Grenzen und wann das Rüstungsrennen stoppt, während Frauen über Folger, Belästigung, sexuelle Gewalt und Kindersoldaten sprechen.”
Sie zitiert eine amerikanische Studie, welche zeigt, dass Frauen im US Senat gemäß ihrer Parteigrenzen abstimmten, wenn es um militärische Interventionen ging. Nach dem Beschluss jedoch stellten sie folgende Fragen: “Was passiert mit den Soldaten, wenn sie aus dem Krieg zurückkommen? Was passiert mit den Frauen und Kindern, die die Soldaten zurückgelassen haben?” In Alemdar’s Worten: “Sie thematisierten Sachen, die zuvor nicht berücksichtigt wurden.”
Warum Frauen so erfolgreich bei aussenpolitischen Missionen sind, erklärt Professorin Alemdar folgendermassen: “Alle Studien, die ich durchgeführt oder gelesen habe, deuten darauf hin, dass Frauen längerfristig denken. Während Männer versuchen, Probleme sofort zu lösen, denken Frauen immer über die langfristigen Konsequenzen nach.”
Sie fügt ebenso hinzu, dass Frauen detailorientierter sind, wenn es darum geht, Probleme zu lösen. Sie schauen sich die Angelegenheiten bis ins kleinste Detail an. “Wenn Frauen einmal am Friedenstisch Platz nehmen, suchen sie nach den strukturellen Gründen eines Krieges und versuchen, Lösungen zu finden”, sagt sie.
Feministische Aussenpolitik
Der Begriff feministische Aussenpolitik wurde zuerst von der ehemaligen schwedischen Aussenministerin Margot Wallström in die Welt gerufen. 2014 mache Wallström Schweden zum ersten Land der Welt, welches offiziell eine “feministische Aussenpolitik” einführte.
Was bedeutet das genau?
“Bei der feministischen Aussenpolitik geht es darum, Frauen in alle aussenpolitischen Entscheidungen einzubinden. Das Wissen der Frauen zu nutzen, die Erfahrung der Frauen und die Intelligenz der Frauen in einem Bereich, der traditioneller Weise Frauen vernachlässigt hat”, erklärt Alemdar.
Sie deutet darauf hin, dass alle Begriffe aus den internationalen Beziehungen mit männlichen Werten behaftet sind - Hierarchie, Grenzen, und Macht.
“All diese Konzepte, die wir benutzen, um internationale Beziehungen zu beschreiben, sind sehr männlich ausgerichtet. Feministische Theoretiker begonnen diese schon in den 70er, 80er Jahren zu hinterfragen. Was ist Macht? Sind Grenzen unveränderbare Linien im Sand? Ist es Zeit, anders über Grenzen zu sprechen? Was bedeutet Souveränität? Wie definieren wir Souveränität”, erklärt sie.
Es war allerdings erst zu Beginn der 2000er, dass diese Ideen in politische Handlungen umgewandelt wurden und Einfluss nahmen, wie Resourcen verteilt werden. Länder wie Schweden und Kanada haben z.B. begonnen, Frauenorganisationen und Frauen in ihren Programmen für Entwicklungshilfe zu priorisieren, während Länder wie Frankreich und Meksiko damit begonnen haben, mehr Frauen in ihr diplomatische Korps aufzunehmen.
“Es ist solch ein riesig, fruchtbar und ergiebiges Feld, dass man jede Art of Politik feministisch gestalten kann. Man kann beim Haushalt auf Gender-Gleichstellung achten, man kann die Hilfepolitik auf Gender-Gleichstellung ausrichten, man kann die Flüchtlingspolitik auf Gender-Gleichstellung einstellen. Man kann den diplomatischen Korps ändern. Es gibt viel Raum, falls Länder eine feministische Aussenpolitik unterhalten möchten”, fügt Alemdar hinzu.
In puncto weibliche Führungspersonen, die sich dieser Werte in der Politik annehmen, nennt Alemdar die Premierministerin Neuseeland’s Jacinda Arden.
“Sie war ein gutes Vorbild für viele Feministinnen auf der ganzen Welt, nicht nur während der COVID Krise aber auch als der Angriff auf eine Moschee in Neuseeland passierte. Zu einer Zeit, wo Trump umherging und rumbrüllte, hat sie radikalen Terrorismus mit viel Anteilnahme behandelt. In einer Welt, wo Polarisierung alles bestimmt, zeigte sie uns, dass es auch anders geht, indem sie stark, aber ruhig, mitfühlend und gütig blieb”, erklärt Alemdar und fügt zu: “Sie zeigte uns, dass man nicht brüllen muss, um stark zu sein. Um stark zu wirken, muss man Menschen nicht fertigmachen. Stärke und Güte schliessen sich nicht gegenseitig aus.”
Die subtile Glasdecke
Zeynep Alemdar’s Feminismus kommt aus der Familie. Sie wuchs, so wie sie beschreibt, in einer typisch bürgerlichen Familie und einem engen Familienverband auf. Ihre Eltern hatten einen sehr starken Sinn für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Sie glaubten daran, dass eine Person bescheiden sein und immer mit den Unbegünstigten teilen sollte.
“Mein Bruder hatte immer etwas einzuwenden, wenn meine Mutter manchmal die traditionellen weiblichen Rollen innerhalb der Familie aufrechterhalten wollte. Wenn sie sagte.”Hol’ Deinem grossen Bruder doch ‘mal ein Glass Wasser”, würde er sagen: “Nö, ich geh’ mein eigenes Wasser holen. Warum hast Du sie darum gebeten?” Er war massgebend für mich. Er verhalf mir dazu, die Feministin zu werden, die ich heute bin”, reflektiert Alemdar.
Heute legt sie Wert auf Agilität, um Herausforderungen zu bewältigen und sich weiterzuentwickeln. Sie gibt zu, dass sie sogar in der freien und progressiven akademischen Welt jeden Tag an die Glasdecke stösst.
“Jeden Tag muss man mit den grossen weissen Männern zurechtkommen. Es wird nie richtig direkt gesagt, es ist sehr subtil. Falls man den Finger auf jemanden zeigt, wird es sofort abgewiesen. Es wird auf eine Art und Weise abgewiesen, dass man ausschaut wie eine Verrückte”, sagt Alemdar, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Sie entsinnt sich an dieses eine Mal, wo sie ein Kollege während einer Konferenz Dornröschen nannte, weil sie es wagte, die feministische Agenda für schwierige Sicherheitsthemen zu erwähnen. “Es ging nicht so sehr darum, was ich sagte, sondern eher um die Tatsache, dass ich sie von einer Perspektive herausforderte, über die sie noch nie nachgedacht hatten”, sagt Alemdar.
Diese Akademikerin ist sich sicher, dass Regierungen alle notwendigen Massnahmen ergreifen müssen, um Mann und Frau in den Bereichen Pflegearbeit, Wirtschaft und politische Teilhabe gleichzustellen, wenn sich der Status Quo denn ändern soll. Die Ziffern sind immer noch erstaunlich, sogar in entwickelten Ländern. Dem World Economic Forum Global Gender Gap Bericht 2021 zufolge würde es bei aktuellem Tempo 145.5 Jahre bei der politischen Stärkung und 267.6 Jahre bei der wirtschaftlichen Teilhabe und Chance dauern, bis sich der Gender Gap schliesst.
Andere Studien, die die Produktivität von weiblichen und männlichen Akademikern während der COVID Periode vergleichen, zeigen, dass männliche Akademiker mehr veröffentlichten, während sich Akademikerinnen um die Kinder, den Haushalt, die Familie und die Gesundheit kümmerten.
Um die weibliche Teilhabe an der Politik zu fördern brauchen Frauen, so Alemdar, gute Gatekeeper, d.h. männliche Verbündete, die den Frauen die Türen öffnen. Ein weiterer Schlüssel ist die Solidarität unter Frauen - Frauen in Führungspositionen, die sich gegenseitig unterstützen und motivieren. Und der dritte Schlüssel sind Quoten. “Die Zahlen sind so niedrig, dass Frauen, besonders für die politische Teilhabe, Gesetzesänderungen benötigen, um sie an die Front zu bringen”, betont Alemdar.
Langsam tut sich aber was. Sie fast zusammen: “Schauen Sie sich die Proteste weltweit an - Black Lives Matter, indische Frauen im Kampf für ihre Eigentumsrechte, Klimawandel-Aktivisten usw. - Es ist klar, dass Frauen diesen Wandel antreiben. Sie sind es, die die traditionelle Politik anfechten.”