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Sri Lanka
Sri Lanka, ewig Land des potenziellen Wirtschaftswunders?

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© picture alliance / NurPhoto | Akila Jayawardana

Benzinknappheit, politische Unruhen, Inflationsraten von mehr als 70 % und negative Wachstumsraten im zweistelligen Prozentbereich: Sri Lanka erlebt seit zwei Jahren eine tiefgreifende Krise, die Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft mitreißt. Besonders im Sommer 2022 kam es zu dramatischen Versorgungsengpässen mit großen Protesten. Demonstranten jagten den damaligen Präsidenten aus dem Land. Aktuell hat sich die Lage zwar stabilisiert, aber es könnte auch nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm sein. Denn die tieferliegenden Probleme sind noch nicht gelöst.

Neben einer Stärkung der demokratischen Institutionen steht Sri Lanka vor allem vor der Aufgabe, die negativen Folgen einer jahrzehntelang stark protektionistischen Wirtschaftspolitik zu bewältigen und den Wandel hin zu einer offenen, freien Marktwirtschaft zu gestalten. Führende Politiker haben die Idee einer Orientierung am Modell der deutschen Sozialen Marktwirtschaft seit 2015 immer wieder in die öffentliche Diskussion eingebracht, unter anderem der Parlamentarier Harsha de Silva und der heutige Präsident Ranil Wickremesinghe. Mit dem Fokus auf fairen Wettbewerb, freie Märkte, ein funktionierendes Preissystem und stabile Währung sowie der Betonung des sozialen Ausgleichs bietet die Soziale Marktwirtschaft ein Vorbild für die Weiterentwicklung der Wirtschaftsordnung Sri Lankas. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit unterstützt die Bemühungen von Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft auf diesem Weg und unterstützt die öffentliche Debatte in Sri Lanka durch einen Austausch zu den deutschen Erfahrungen mit dem Modell der Sozialen Marktwirtschaft.

Chronik einer angekündigten Wirtschaftskrise

Nachdem Sri Lanka während der 1970er-Jahre ein protektionistisches Wirtschaftsmodell verfolgte, das auf Selbstversorgung und Substitution von Importen setzte, wurden die erheblichen Nachteile einer geschlossenen Wirtschaft immer deutlicher. 1979 folgte daraufhin eine erste Reformwelle, die die Wirtschaft zu Teilen wieder öffnete. Die Reformen blieben allerdings unvollständig, und auch in den folgenden Jahrzehnten prägten Eingriffe wie Preiskontrollen und Importbeschränkungen die Wirtschaftsordnung Sri Lankas mit. Viele sri-lankische Wirtschaftsexperten machen die unvollständige Umsetzung der Öffnung sowie den anschließenden langjährigen Bürgerkrieg dafür verantwortlich, dass sich die Wirtschaft Sri Lankas nach 1979 nicht stärker entwickelte. Dabei bietet Sri Lanka beste Voraussetzungen für Tourismus, Landwirtschaft und Logistik – die strategische Lage anhand der Handelsrouten zwischen Europa und Ostasien ist äußerst günstig. Auch die Kriminalitätsraten sind niedrig und die Lebensqualität gerade in der Hauptstadt Colombo hoch.

Aber auch nach dem Ende des Bürgerkriegs 2009 gelang es nicht, den Motor der wirtschaftlichen Entwicklung anzuwerfen. Ganz im Gegenteil verschlechterte sich die Situation im nachfolgenden Jahrzehnt auch aufgrund von Budgetdefiziten und einer hohen Schuldenaufnahme im Ausland, gerade auch bei China. Unter der Führung der einflussreichen Politikerfamilie Rajapaksa verschärfte sich das Problem, nachdem Mitglieder der Familie 2019 mit deutlicher Mehrheit zum Präsidenten und Ministerpräsidenten gewählt wurden.

Nach Amtsantritt vergrößerten sie das bereits seit Jahren bestehende Budgetdefizit. Sie senkten Steuern und erhöhten Subventionen ebenso wie die Zahl öffentlicher Stellen und deren Zuwendungen. Die Corona-Pandemie führte dann zu weiteren hohen Staatsausgaben mit gleichzeitigen Einnahmeverlusten. Insbesondere der Wegfall des Tourismus als eine der wichtigsten Devisenquellen verschärfte die finanzielle Situation des Staates. Daraufhin stuften internationale Ratingagenturen Sri Lanka herab, das Land wurde somit faktisch vom internationalen Kapitalmarkt ausgeschlossen. Statt nun einen ausgeglichenen Haushalt anzustreben, vereinbarte die Regierung Kreditverträge mit Staaten wie China und Indien, begann Geld zu drucken und hielt den Wechselkurs künstlich niedrig. Um den Abfluss von Devisen zu stoppen, verbot die Regierung im April 2021 alle Importe von chemischem Dünger und propagierte natürliche Düngemittel. Da Ökologische Landwirtschaft sich nicht  einfach verkünden lässt, sondern behutsam gemeinsam mit den Bauern und Bäuerinnen umgesetzt werden muss, scheiterte das Vorhaben jedoch und führte zu weitverbreiteten Ernteausfällen. Sri Lanka musste seine Lebensmittelvorräte mit Importen aus dem Ausland ergänzen, was die Devisenknappheit weiter verschlimmerte.

Ausblick: Dauerkrise oder neuer Tigerstaat

Angesichts der langjährigen schlechten wirtschaftlichen Entwicklung sowie der akuten Krise in 2022 wurde immer deutlicher, dass der bisher verfolgte Weg einer teils staatlich kontrollierten Wirtschaftsordnung mit geschützten Sonderinteressen auf Kosten von Konsumenten und Wettbewerbern gescheitert ist. Dies gilt auch für die Destabilisierung der Währung durch das Anwerfen der Notenpresse. Vor diesem Hintergrund findet die aktuell neue erwachte Diskussion um die Zukunft der Wirtschaftsordnung und die Orientierung an der Sozialen Markwirtschaft statt. Insbesondere die Bedeutung von freien Preisen, einer stabilen Währung sowie von freiem und fairem Wettbewerb für das deutsche „Wirtschaftswunder“ trifft auf großes Interesse. So wird in Sri Lanka aktuell über die Schaffung einer unabhängigen Notenbank, die Privatisierung von Staatsunternehmen sowie die Abschaffung von protektionistischen Regeln für ausländische Direktinvestitionen diskutiert.

Das Land könnte sich mit solchen Reformen endlich von Jahrzehnten ruinöser Wirtschaftspolitik abwenden und ihr enormes wirtschaftliches Potenzial heben. Aufgrund der Lage und dem für die Region hohen Bildungsstandard sehen Expertinnen und Experten neben den bereits genannten Bereichen (Tourismus, Landwirtschaft und Logistik) auch exzellente Möglichkeiten im Gesundheits-, Bildungs- und IT-Sektor.

Die oben genannten wirtschaftspolitischen Reformen stärken die innenpolitische Stabilität und liefern einen verlässlichen Investitionsrahmen. Mit Blick auf die derzeitige Diversifikation von Lieferketten ist dies eine Chance für Sri Lanka im internationalen Standortwettbewerb. Die Regierung ist sich dieser Möglichkeiten bewusst. Aber auch, dass dies nur ein Teil der Erfolgsformel ist.

Das Land wird auch weitere Reformen im Bereich Good Governance vorantreiben müssen. Korruptionsbekämpfung, Dezentralisierungsreformen, Entbürokratisierung und weitere Herausforderungen sind zu meistern. Sie sind für ein langfristiges Wachstum unerlässlich und stärken das Land als potenzieller demokratischer Partner im Systemwettbewerb.

Sri Lanka befindet sich an einem Wendepunkt. Es muss nicht ewig das Land des potenziellen Wirtschaftswunders bleiben. Die Implementierung der Sozialen Marktwirtschaft und ihrer Reformen könnten das wahre Potential des Landes freisetzen und den Aufstieg zum neuen Tigerstaat ermöglichen.