Taiwan
Taiwan: Der gefährlichste Ort der Welt?
Taiwan auf der Titelseite! Das hat für europäische Medien Seltenheitswert. Und dann war es auch noch das renommierte britische Polit-Magazin „Economist“, die seine Ausgabe im vom 29. April dieses Jahres so aufmachte. Das Cover zeigte die Umrisse Taiwans wie auf einem Radarschirm, eingeklemmt zwischen den USA und der Volksrepublik China. Die Überschrift dazu lautete: „The most dagerous place on Earth“ , übersetzt also: „Der gefährlichste Ort der Welt“. Die zweite Überschrift darunter sollte zumindest eine Ahnung davon geben, warum: „Amerika und China müssen mehr dafür tun, um einen Krieg über die Zukunft Taiwans zu vermeiden“, war weiter zu lesen.
Die kommunistische Partei in Peking sieht Taiwan als Teil der Volksrepublik und will eine Vereinigung. Das demokratische Taiwan widersetzt sich. Der „Economist“ zitierte einen US-Admiral, der fürchtet, dass die Volksrepublik Taiwan bis 2027 angreifen könnte. In dem Fall hofft Taiwan auf Rückendeckung der USA. Sollte Washington bereit sein, wegen Taiwan einen militärischen Konflikt mit der Volksrepublik einzugehen, stünden sich zwei Atommächte gegenüber.
Taiwanerinnen und Taiwaner erzählen dem „FNF China Bulletin“, wie sie sich fühlen.
Alvin Chang, 24:
„Wir sind täglich mit dem chinesischen Terror konfrontiert in Form von militärischer Machtdemonstration oder Desinformation in sozialen Medien. Die junge Generation, die im demokratischen Taiwan geboren wurde, scheint es in ihrer DNA zu haben, keine faulen Kompromisse bezüglich Chinas aggressiven Absichten zu akzeptieren.
In diesen Tagen wird Taiwan zum gefährlichsten Ort der Welt, denn die chinesischen Ambitionen, in Taiwan einzufallen, haben sich nie geändert. Die pro-demokratische Allianz, angeführt von den Vereinigten Staaten, kämpft derzeit gegen die Ausbreitung von China. Taiwan, als einer der Partner, baut ebenfalls Anti-China-Mauern auf, um die Demokratie und die Diversität in der taiwanesischen Gesellschaft zu schützen.
Wir haben die Gefahr klar erkannt, die von Chinas Absicht ausgeht, in Taiwan einzumarschieren. Deshalb haben wir begonnen, unsere eigene Identität zu entwickeln, um zu gegebener Zeit offizielle Beziehungen zu China aufzubauen. Auch wenn China nicht von der Möglichkeit abrücken wird, Gewalt gegen Taiwan anzuwenden, betrachten wir es doch als eine Wendung zum Besseren. Wir werden die Fahne hochhalten und den Wert von Freiheit und Demokratie demonstrieren und uns auf die Seite der unterdrückten Menschen in Hongkong und Tibet und auf die Seite der Uiguren stellen.“
Ma Shu-chen**, NGO-Mitarbeiterin, 34:
„Es ist richtig, dass dieser Artikel darauf hinweist, dass sich der Status Quo zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße geändert hat, und dass die bisherige strategische Ambiguität der USA nicht in der Lage zu sein scheint, dies zu verhindern. Als Taiwanerin, die die immer häufigeren Verletzungen von Taiwans Luftverteidigungsidentifikationszone durch die chinesischen Kampfjets erlebt, denke ich, dass es für die Leserinnen und Leser wichtig ist zu erkennen, dass es die Regierung der Volksrepublik ist, die den Status Quo aggressiv verändert. Es haben schon viele Artikel die Taiwan-Problematik unter dem Aspekt des Wettbewerbs zwischen den USA und China analysiert, und sie alle kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie dieser Artikel.
Aber ich würde mir wünschen, dass mehr Analysen die Perspektive der Taiwanerinnen und Taiwaner und die Bedeutung Taiwans für die Demokratie in Asien und der Welt berücksichtigen: Taiwan ist ein konkreter Gegenbeweis zu den Doktrinen autoritärer Regierungen in Asien, die behaupten, dass Demokratie, Freiheit und Menschenrechte westliche Konzepte seien, die in Asien aufgrund kultureller Unterschiede nicht angewendet werden können. Wenn wir dies im Hinterkopf behalten, ist es nicht schwer, eine Antwort zu finden: Taiwan mag ein gefährlicher Ort auf der Welt sein, aber wir werden definitiv nicht in einer sichereren und besseren Welt leben, wenn wir Taiwan aufgeben um die Gefahr einer Eskalation in der Taiwanstraße zu minimieren.“
Huang Tsung-han**, Doktorand der Sozialwissenschaften, 29:
„Als der Economist seine Titelgeschichte ‚Taiwan – der gefährlichste Ort der Welt‘ veröffentlichte, fand ich das sehr ironisch. Taiwan hatte zu diesem Zeitpunkt seit etwa einem Jahr fast keine COVID-19-Fälle mehr zu verzeichnen, während andere Länder auf der ganzen Welt unter der Covid-19-Pandemie litten, mit vielen positiven Fällen und hohen Todeszahlen.
Auf der anderen Seite war ich auch froh zu wissen, dass die westlichen Mainstream-Medien und Beobachter erkannt haben, wie kritisch Taiwan in geopolitischer Hinsicht ist und wie wahrscheinlich eine chinesische Invasion bevorsteht. Soweit ich weiß, gab es schon immer eine Kluft in der Wahrnehmung der Taiwanerinnen und Taiwaner zwischen der Wahrscheinlichkeit eines militärischen Konflikts in der Taiwanstraße und der unmittelbaren Bedrohung durch einen Krieg. Man kann diese Kluft auch erkennen, wenn man sich ansieht, wie die Menschen in Südkorea die mögliche militärische Konfrontation zwischen Süd- und Nordkorea wahrnehmen Daher denke ich, dass der Artikel den Taiwanerinnen und Taiwanern eine Gelegenheit bietet, sich auf einen bevorstehenden Konflikt zwischen China und Taiwan vorzubereiten.“
Tang Shaocheng, Professor Emeritus der National Chengchi University Taiwan:
„Hier in Taiwan hat dieser Artikel eine breite Diskussion ausgelöst, aber keine Panik. Das Leben geht weiter. Aber es lohnt sich, den Kern des Problems aus unterschiedlichen Perspektiven näher zu betrachten. Die USA sind Taiwans größte Sicherheitsgarantie, und auch die neue Administration von Präsident Joe Biden hat wiederholt bestätigt, Taiwans Sicherheit schützen zu wollen. Auch Japan und Korea haben sich kürzlich besorgt gezeigt hinsichtlich des Friedens in der Taiwan-Straße. Auch Frankreich und Großbritannien, und sogar Deutschland haben Kriegsschiffe in die Region geschickt, oder planen dies später im Jahr zu tun. Zwangsläufig muss Peking nun die Kosten und Konsequenzen eines militärischen Angriffs auf Taiwan neu kalkulieren.
Es zeigen sich parallelen zum Kalten Krieg, wo es häufig zu großen Spannungen kam, aber der Frieden durch ein „Gleichgewicht des Schreckens“ dennoch aufrecht erhalten wurde. Durch die Forcierung des Globalisierungsprozess seit den 1990er Jahren hat sich dieses Gleichgewicht von rein politischen und militärischen Kategorien auf andere Aspekte wie Wirtschaft und Handel ausgeweitet. In der Taiwanstraße könnte es ein neues Gleichgewicht geben: Taiwans Chips-Industrie ist eng mit den USA verbunden. Auch China stützt sich stark auf Taiwans Produktionskapazität für die Chips, die für die Elektronikindustrie von entscheidender Bedeutung sind, einschließlich einiger seiner profitabelsten Exportlinien. Daher ist Taiwan Gegenstand des Wettbewerbs zwischen den großen Industrienationen der Welt, sodass sie alle gerne vermeiden wollen, dass Taiwans Sicherheit bedroht wird.
Die Krise zwischen Taiwan und China hat zudem auch einen Bürgerkriegsaspekt. Zumindest gehören die beiden Völker auf beiden Seiten der Taiwan-Straße kulturell einer Nation an. Viele Taiwanerinnen und Taiwaner, insbesondere die Anhängerinnen und Anhänger der größten Oppositionspartei Kuomintang (KMT), lehnen den Ausbruch eines Konfliktes zwischen Taiwan und China ab. Die aktuelle DPP-Regierung ist außerdem zurückhaltend im Hinblick auf ihre Politik zur Unabhängigkeit Taiwans, welche Peking als Kriegsgrund ansehen würde. Daher hat Peking wohl in der absehbaren Zukunft keinen Grund, Taiwan militärisch anzugreifen.“
*Anna Marti leitet das Taipei-Büro der Friedrich Naumann Stiftung für Freiheit in Taiwan.
**Namen von der Redaktion geändert.