Bulgarien
Wahlen in Bulgarien – (K)ein Ende in Sicht
Das Volk hat gesprochen, die Wahl ist jetzt vorbei – nun ist es Zeit für Rechenspiele. Welche Konstellation bringt mindestens 121 Sitze im Parlament zusammen und kann für eine mehrheitsfähige Koalition sorgen? Wer kann und will mit wem? Welche Konstellationen sind auszuschließen - sofern man in Bulgarien überhaupt eine mit Sicherheit ausschließen kann? Schließlich hat die Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass bulgarische Politiker sich als extrem biegsam zeigen können, wenn es um Machterhalt geht.
Bojko ist zurück – für den Moment zumindest
Bojko Borissov feiert sein Comeback und ist zurück an der Spitze – seine konservative Partei GERB wurde mit 25,3% der Stimmen und 67 Stimmen wieder stärkste Kraft im Parlament, doch so richtig wird sich der ehemalige Langzeit-Ministerpräsident und Bodyguard nicht gefreut haben. Denn aufgrund der Machtarithmetik im neuen Parlament wird er kaum eine Koalition zusammentrommeln können, die überlebensfähig wäre.
Einzig die DPS, die mit 13,8% der Stimmen und 36 Sitzen ihr Ergebnis von November 2021 halten konnte, sendete am Wahlabend positive Signale Richtung Parteizentrale der GERB aus. Die Partei hat ihre Wählerschaft hauptsächlich in der türkischen Minderheit und wird – ähnlich wie GERB auch - von der Mehrheit der urbanen und gebildeten Schicht der Bevölkerung als ein großes Hindernis auf dem Weg zu wichtigen Reformen gesehen. Die DPS ist mit ihrer extrem disziplinierten Wählerschaft die stabilste Partei des Landes und hat mittlerweile ihre größte Bastion außerhalb der Landesgrenzen – nämlich in der Türkei. Dort holte die Partei nordkoreanische 92% der Gesamtstimmen.
Um aber regieren zu können, bräuchte Borissov neben der DPS noch einen dritten Partner. Da wird es aber eng, denn die gemäßigten Parteien haben bereits vor der Wahl oder gleich nach Bekanntwerden der Ergebnisse bestätigt, dass eine Zusammenarbeit mit GERB unter Borissov oder DPS nicht in Frage komme. Denn für viele Akteure käme dies einem politischen Selbstmord gleich.
Wagt Bojko den Tabubruch?
Bliebe für Borissov unter diesen Umständen eigentlich nur noch der große Tabubruch – nämlich die Koalition mit der rechtsextremen und extrem russlandfreundlichen Vazrazhdane, die mit 10,2% ihre Anhängerschaft verdoppeln konnte. Aus der Perspektive der politischen Vernunft müsste solche eine Kombination eigentlich ausgeschlossen werden – auf der einen Seite zwei Parteien, die trotz ihrer nebulösen und undurchsichtigen Rolle in Bulgarien eine pro-westliche Ausrichtung haben; auf der anderen Seite dagegen eine rechtsextreme Partei, die die Mitgliedschaft Bulgariens in der EU und in der NATO ernsthaft in Frage stellt und großes Verständnis für Putins Angriffskrieg in der Ukraine aufweist – so viel, dass die Ukrainer dem Parteivorsitzenden Kostadinov ein Einreiseverbot für die nächsten zehn Jahre verpasst haben.
Auch wenn viele Experten diese Koalitionsvariante ausschließen möchten – so sicher sind sie sich bei Borissov, der alles seiner Macht unterordnet, dann doch nicht. Borissov hatte in seiner letzten Amtszeit bereits mit einer nationalistischen Partei koaliert; im Vergleich zu Vazrazhdane waren die Vereinigten Patrioten jedoch in vielen Fragen gemäßigter, die Mitgliedschaft Bulgariens in der westlichen Allianz war von der Partei nie ernsthaft bezweifelt worden.
Reformer haben auch keine Mehrheit
Doch auch für die Reformer unter der Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten Kiril Petkov wird es mehr als schwierig, eine vernünftige Koalition mit einer stabilen Mehrheit zu zimmern. Petkovs Wir setzen den Wandel fort (PP) hat zwar mit 20,2% und 53 Sitzen besser abgeschnitten als zuletzt befürchtet, doch sie verlor trotzdem knapp ein Viertel ihrer Wähler im Vergleich zur November-Wahl. Die liberale Allianz bestehend aus PP und Demokratisches Bulgarien (7,4%) würde selbst dann nicht eine Mehrheit im Parlament hinbekommen, wenn sie die sozialistische BSP der erratischen Vorsitzenden Ninova mit ins Boot nehmen würde. Ninova war bereits Teil der gestürzten Regierung unter Petkov und hatte sich während des Ukraine-Kriegs mehr als einmal als große Putin-Versteherin geoutet. Trotz des historischen Tiefs ihrer Partei – mittlerweile kommt die Nachfolgerin der ehemaligen Staatspartei KP auf weniger als 10% – denkt Ninova keineswegs an Rücktritt.
Bulgarien durchlebt die Wehen einer Wende
Es wird sich in den folgenden Wochen zeigen, ob sich aus dieser Gemengelage doch eine Regierung bilden lässt. Die politische Krise, in der sich das Land seit dem Sommer 2020 befindet, wird sich eher noch eine Weile hinziehen. Bulgarien befindet sich an einem Wendepunkt und der Kampf zwischen den neuen, reformorientierten Kräften und den alten Status-Quo-Mächten hält an. Es ist nicht ausgemacht, wer den Etappensieg für sich einfahren wird, doch die liberalen Kräfte, die aus dem Protestsommer vor zwei Jahren hervorgegangen sind, haben unter Beweis gestellt, dass sie trotz des starken Gegenwinds nicht vorhaben, den alten Kräften die Bühne kampflos zu überlassen.
Driftet Bulgarien zum Semi-präsidentiellen System ab?
Auch Präsident Radev sollte als weiterer politischer Akteur nicht vergessen werden. Im politischen Alltag wird meist übersehen, dass er in der bereits seit zwei Jahren andauernden Krise einen extremen Machtzuwachs erlebt hat, der dem ehemaligen Generalmajor der bulgarischen Streitkräfte wohl nicht ungelegen kommt. Radev hatte sich seit Beginn seiner Amtszeit als Präsident nie mit der repräsentativen Rolle als Staatsoberhaupt abgefunden und immer wieder jede Gelegenheit genutzt, sein politisches Profil zu stärken. Auch jetzt wird Radev Gefallen an seiner Rolle als exekutiver Präsident haben, da keine Regierungsbildung abzusehen ist.
Als Fußnote sei noch erwähnt, dass der Mann, der die Petkov-Regierung im Juni zu Fall gebracht und so für die erneute Wahl gesorgt hat, es nicht ins Parlament geschafft hat. Die Partei Es gibt so ein Volk des exzentrischen Schlagersängers Slavi Trifonov landete unter der 4-Prozent-Hürde und befindet sich bereits im Vorraum des politischen Friedhofs.
Aret Demirci ist Projektassistent im Regionalbüro Südost- und Osteuropa.