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Wahlen Hongkong
Welche Wahl haben die Menschen in Hongkong noch?

Wahlurne in HK
Ein neues weitreichendes Gesetz hat das Wahlrecht der Hongkonger drastisch eingeschränkt. © picture alliance / abaca | James May/ABACA

Am 19. Dezember wird das Hongkonger Parlament, genannt LegCo, neu gewählt. Diese Wahl hätte eigentlich schon 2020 stattfinden sollen, wurde aber mit Verweis auf Bedenken hinsichtlich der Corona Pandemie verschoben. In der Zwischenzeit hat ein neues weitreichendes Gesetz das Wahlrecht der Hongkonger drastisch eingeschränkt. freiheit.org sprach mit Charles Mok, einem ehemaligen Abgeordneten des LegCo, über die bevorstehenden Wahlen, was sie für Hongkong bedeuten und wie es mit der Stadt weitergeht.

freiheit.org: Herr Mok, Sie waren mehrere Jahre lang Abgeordneter im Legislative Council. Wie wird sich das neu gewählte LegCo von dem unterscheiden, dem Sie damals angehörten?

Charles Mok: Als ich zwischen 2012 und 2020 dem LegCo angehörte, hatten wir 70 Abgeordnete, von denen die Hälfte nach dem Verhältniswahlrecht aus geografischen Wahlkreisen direkt gewählt wurde. Die andere Hälfte wurde aus verschiedenen Fach-Wahlkreisen gewählt. Von diesen 35 Abgeordneten aus den Fach-Wahlkreisen gehören 30 zu den so genannten „traditionellen“ Wahlkreisen. Sie vertreten Berufsgruppen wie Buchhalterinnen und Buchhalter, Ärztinnen und Ärzte, Lehrpersonen, Anwältinnen und Anwälte und IT-Fachkräfte. Sie repräsentieren außerdem Wirtschaftskammern und verschiedene Branchen wie Tourismus und Verkehr. Die restlichen fünf Sitze wurden von all den Bürgerinnen und Bürgern Hongkongs nominiert und gewählt, die nicht in einem der Fach-Wahlkreise wählen durften.

Durch das neue Wahlgesetz wurde das LegCo auf 90 Sitze erweitert. Von diesen werden nun aber nur noch 20 Sitze direkt gewählt, also aus den geografischen Wahlkreisen. Das sind 15 Sitze oder 42,9 % weniger als früher. Die 30 traditionellen Fach-Wahlkreise bleiben bestehen, aber bei einigen von ihnen (zum Beispiel für IT, oder medizinisches Personal) wurde die Anzahl der Menschen drastisch reduziert, die in diesen Fach-Wahlkreisen wahlberechtigt sind. Zusätzlich wurde ein neuer „Wahlkreis des Wahlausschusses“ geschaffen. Aus diesem Wahlkreis werden ganze 40 Sitze besetzt. Gewählt werden die Abgeordneten für diese Sitze von den 1.500 Mitgliedern des Wahlausschusses, der von Peking kontrolliert wird.

Doch die Kontrolle hört hier nicht auf. Alle Kandidatinnen und Kandidaten müssen von den Mitgliedern des Wahlausschusses eine bestimmte Anzahl von Nominierungen erhalten. Das bedeutet, dass der Wahlausschuss im Wesentlichen ein Vetorecht hinsichtlich der Kandidaturen hat. Darüber hinaus wurde ein Ausschuss zur Überprüfung der Wählbarkeit der Kandidatinnen und Kandidaten eingesetzt. Dieser überprüft alle Kandidaturen anhand von Kriterien wie der nationalen Sicherheit und genehmigt sie – oder lehnt sie ab. Die Entscheidungen des Wahlausschusses sind endgültig und können nicht angefochten werden.

freiheit.org: Inwieweit haben die Bürger von Hongkong bei dieser Wahl noch eine Wahl?

Charles Mok: Bei allen bisherigen LegCo Wahlen in Hongkong, also seit es Direktwahlen gibt, hat das prodemokratische Lager die Mehrheit der direkt gewählten geografischen Wahlkreise gewonnen. Und zwar sowohl vor als auch nach der Machtübergabe! Bei der anstehenden Wahl steht keiner der prodemokratischen Kandidatinnen und Kandidaten, die versucht haben, bei der abgesagten Wahl 2020 anzutreten, mehr zur Wahl. Viele von ihnen wurden festgenommen, inhaftiert und warten auf ihren Prozess.

Für den Durchschnittsbürger in Hongkong ist die Zahl der Sitze, für die er seine Stimme abgeben kann, und die Zahl der Kandidatinnen und Kandidaten, die zur Auswahl stehen, stark reduziert.

freiheit.org: Diese Wahl steht unter dem Slogan „Nur Patrioten“. Was bedeutet das, und wer ist nach dieser Definition ein Patriot?

Charles Mok: Eines der größten Probleme bei einem solchen System ist, dass der Ausschuss zur Überprüfung der Wählbarkeit der Kandidaten weitgehend undurchsichtig ist und es an einem ordnungsgemäßen Berufungsverfahren fehlt. In diesem Sinne kann man nur annehmen, dass nur diejenigen, die das Pekinger Regime für politisch akzeptabel hält, als „patriotisch“ genug angesehen werden.

freiheit.org: Wie würden Sie die Legitimität des LegCo einschätzen, welches am Sonntag gewählt wird?

Charles Mok: Für Legitimität ist nicht nur wichtig, die Mehrheit der Stimmen der Wahlberechtigten zu bekommen. Es muss auch ein System existieren, in dem das passive Wahlrecht garantiert ist und nicht willkürlich oder übermäßig eingeschränkt wird.

Es ist natürlich auch wichtig, dass jede Stimme gleich viel wert ist. In Hongkong ist das nicht so. Die Mitglieder im neu geschaffenen „Wahlkreis des Wahlausschusses“ (1.500 Wählerinnen und Wähler für 40 Sitze!) haben ein viel größeres Stimmgewicht als diejenigen, die nur eine Stimme für einen der 20 geographischen Wahlkreis-Sitze haben, dem kleinsten Block im neuen LegCo.

Wenn wir davon ausgehen, dass eine der Hauptaufgaben der Legislative darin besteht, die Verwaltung zu kontrollieren, dann ist es absurd, dass die Verwaltung die Kandidaturen und damit die Ergebnisse der Legislative kontrolliert.

freiheit.org: Wie passt das neue Wahlgesetz Ihrer Meinung nach mit den im Basic Law von Hongkong garantierten Freiheiten zusammen?

Charles Mok: In Artikel 68 des Hongkonger Grundgesetzes Basic Law heißt es: „Die Methode zur Bildung des LegCo wird unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse in der Sonderverwaltungszone Hongkong und nach dem Grundsatz des schrittweisen und geordneten Fortschritts festgelegt. Das Endziel ist die Wahl aller Mitglieder des Legislativrats durch allgemeine Wahlen.“

Die Regierung argumentiert, dass die derzeitige Regelung genau das ist, was Hongkong „angesichts der tatsächlichen Situation“ braucht. Es handelt sich jedoch ganz eindeutig nicht um einen „allmählichen und geordneten Fortschritt“ hin zu mehr Demokratie und allgemeinem Wahlrecht, sondern eher um einen umgekehrten Weg.