Putsch im Niger
Kippt die Sahelzone?
Am 26. Juli 2023 wurde der demokratisch legitimierte nigrische Präsident Mohamed Bazoum von Putschisten unter der Führung von General Abdourahmane Tchiani gestürzt, wodurch die Sahelzone in eine mehrschichtige regionale Krise gestürzt wurde.
Der scheinbare Erfolg dieser weiteren Militärjunta droht, die Instabilität in einer Region, die bereits von Unsicherheit, Dschihadismus, Terrorismus und gewalttätigem Extremismus geplagt wird, weiter zu verstärken.
Der Putsch offenbart den bereits seit einigen Jahren teils verdeckt und teils offen ausgetragenen, harten Kampf um die Positionierung verschiedener Akteure in der Sahelzone: Die lang etablierte ECOWAS erweist sich als eine ungeeinte Instanz, die, wie das Kaninchen vor der Schlange, keine Formulierung und gemeinsame Umsetzung klarer und konsequenter Sanktionierungen erreicht hat. Die sich in dieser Sache auffallend zurückhaltende Afrikanische Union hat auch kein Patentrezept im Umgang mit dem nun schon vierten Putsch in der Region. Tatsächlich löst der nigrische Putsch einen erbitterten Kampf um mehr geostrategischen und wirtschaftlichen Einfluss zwischen den westlichen Mächten und Russland sowie, etwas versteckter, u.a. Indien, China und der Türkei aus. Diese Gemengelage könnte zu einer neuen politischen Kartografie der Sahelzone führen.
Wer sind also diese Hauptakteure in dieser Krise und welche Herausforderungen und Folgen ergeben sich daraus auf nationaler und internationaler Ebene?
Die Ursprünge der Krise in Niger
Der Staatsstreich folgt auf andere Militärputsche, die seit 2020 in der Sahelzone stattgefunden haben, zunächst in Mali (August 2020 und Mai 2021), dann in Guinea (September 2021) und kürzlich in Burkina Faso (Januar 2022 und September 2022). Dieser vierte Putsch intensiviert und vergrößert die Verwundbarkeit der Region und setzt bisher verschonte Länder wie Côte d'Ivoire und Senegal der Gefahr einer Destabilisierung aus. Diese Verflechtung der Krisen ist heute das Herzstück der Sahel-Problematik. Angesichts dieses explosiven Gemischs versucht ein Block von Staaten, die den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der demokratischen Kultur und der Achtung der Menschenrechte verpflichtet sind, sich dem Wandel der Dynamik in der Sahelzone entgegenzustemmen.
Heute gibt es in der Sahelzone eine Konfiguration, die sich aus einer neuen Geisteshaltung der Bevölkerung ergibt, die durch einen starken Zugewinn an Populismus, dem Emanzipationswillen aus der westlichen Bevormundung, Panafrikanismus und den Aufstieg einer kritischen Zivilgesellschaft gekennzeichnet ist.
Die Militärs haben aus diesem Molotowcocktail - insbesondere aus der Frustration der Bevölkerung, die mit endemischer Armut und korrupten Eliten konfrontiert ist - Kapital geschlagen, um die Putsche in den verschiedenen betroffenen Ländern zu rechtfertigen. So verführt das von den Putschisten getragene Versprechen des revolutionären Wandels die Ärmsten, und vor allem die Jüngsten, und beunruhigt die bisher stabilen Nachbarstaaten.
Die Unterstützung eines Teils der Bevölkerung für die Junta wird auch durch dieses Gefühl der massiven Ablehnung des sogenannten kolonialen Einflusses genährt, das sich vor allem gegen die französische Präsenz in der Region richtet. So versammeln sich regelmäßig Tausende von Demonstranten, um Slogans gegen Frankreich und die Gemeinschaftsorganisation ECOWAS zu rufen. Der Bruch mit den westlichen Mächten wird heute als ein akzeptables politisches Angebot wahrgenommen.
Die geopolitischen und geostrategischen Herausforderungen der Krise
Niger befindet sich in einer äußerst strategischen Position. Er war zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt und einem strategischen Partner für Anti-Dschihadismus-Operationen geworden, nachdem die Sahel-Staaten Mali und Burkina Faso die Zusammenarbeit mit den französischen Streitkräften aufgegeben hatten, um engere Verbindungen zu Russland aufzubauen. Dieser Putsch ist besonders beunruhigend für die Sahelzone, in der die Streitkräfte mit ihren westlichen Partnern gegen die Dschihadisten der Gruppierungen Islamischer Staat und Al-Qaida kämpfen. Während in der Ukraine ein Krieg tobt, ist zu befürchten, dass die Instabilität in der Sahelzone Russland und der paramilitärischen Gruppe Wagner, die bereits in Mali und Burkina Faso präsent sind, zugutekommen könnte.
Russland, der feixende Dritte?
Der Putsch schafft einen Raum, den Russland und seine Söldner-Gruppen nutzen könnten, um den Westen zu verdrängen, wenn dieser sich zurückzieht. In der Hauptstadt Niamey fanden Demonstrationen zur Unterstützung der Junta statt, bei denen russische Flaggen geschwenkt wurden, wie es bereits bei den Putschen der Fall war, die in Mali und Burkina Faso registriert wurden. Russland ist gewillt, seine Positionen und seinen Einfluss in Westafrika zu verstärken, nachdem es bereits seine Präsenz in Zentralafrika durch die Entsendung von Söldnern in die Zentralafrikanische Republik erhöht hatte.
Der Rückgang des französischen Einflusses in der Sahelzone
Als ehemalige Kolonialmacht der meisten Länder der Sahelzone hat Frankreich enge historische Bindungen zu seinen ehemaligen Kolonien. In den letzten Jahren hat es sich jedoch vom Status eines Schutzpatrons und privilegierten Partner zu dem eines als unerwünschten Eindringling wahrgenommenen Landes gewandelt. Frankreich scheint zum schwächsten Glied in der Sahelzone geworden zu sein. Es wird von der afrikanischen Jugend, den Souveränisten und der afrikanischen „Straße“ zunehmend abgelehnt.
Niger war nach früheren Rückschlägen in Mali und Burkina Faso zu einem der letzten privilegierten Partner Frankreichs in der Sahelzone geworden. Es sei daran erinnert, dass 75% des in Frankreich verbrauchten Stroms aus Kernkraftwerken stammt. Als einer der größten Uranproduzenten der Welt war Niger schon immer ein wichtiger Wirtschaftspartner für Frankreich, dessen Unternehmen die Minen betreiben.
Es ist daher nur kohärent, dass Frankreich den Großteil seiner militärischen Kräfte, die an der Antiterroroperation Barkhane in Mali beteiligt waren, die es 2022 unter dem Druck der malischen Junta, beenden musste, nach Niger umleitete. Auch die französischen Spezialkräfte, die sich in Burkina Faso befanden, mussten nach dem Staatsstreich abziehen, als das Regime im September gestürzt wurde und die Putschisten ihren Abgang forderten.
Dieser doppelte Rückschlag führte dazu, dass die Politik und die Präsenz in der Sahelzone überdacht wurden. So wurde Niger von einer reinen Transitbasis zum neuen Dreh- und Angelpunkt des französischen Kampfes gegen den Dschihadismus, mit 1500 Soldaten vor Ort, zu denen noch 1000 weitere im benachbarten Tschad eingesetzt wurden. Bisher war Niger eine seltene Insel des Friedens inmitten eines sehr unruhigen Ozeans, vor allem wegen der Bedrohung durch dschihadistische Gruppen. Es wurde als ein Land wahrgenommen, von dem aus der Kampf gegen den Terrorismus fortgesetzt werden konnte, um zu versuchen, in diesem Krisengebiet eine Form der Stabilität zu gewährleisten. Das Schicksal der französischen Soldaten in Niger ist nun also ungewiss, da die Junta versucht, Verbindungen zu Russland zu knüpfen.
Deutschland: Vermittler einer europäischen Führungsrolle
Heute, in dieser neuen Konfiguration in der Sahelzone und nach dem Zerfall der Rolle Frankreichs, befindet sich Europa in der Position einer Mannschaft, deren Kapitän vom Spielfeld gedrängt wird. Diese Mannschaft braucht also einen neuen Trainer, um sich neu zu positionieren und das verlorene Feld zurückzuerobern. Als größte Wirtschafts- und Finanzmacht Europas und ohne eine kompromittierende koloniale Vergangenheit in der Region verfügt Deutschland über eine Legitimität, die es ermöglicht, eine Vermittlerrolle zu spielen, um die europäische Präsenz in der Sahelzone zu erhalten und zu sichern. Obwohl es im Rahmen der europäischen Militäreinsätze (MINUSMA, EUMPM, EUCAP) vor Ort präsent ist, beruht sein Ruf auch auf der Tatsache, dass es den sogenannten Vernetzten Ansatz der Zusammenarbeit in Konfliktregionen aktiv verfolgt: Sicherheitspolitik gepaart mit einer effektiven und langfristigen Entwicklungszusammenarbeit, in der zivile Akteure wie die politischen Stiftungen und staatliche Akteure der Entwicklungszusammenarbeit Hand in Hand mit der militärischen Führungsebene gemeinsam an Befriedung und gesellschaftlichem Aufbau zusammenwirken.
Diese Positionierung Deutschlands als „facilitator“ in der Region soll mitnichten das von Frankreich hinterlassene Vakuum füllen. Vielmehr geht es darum, die Position Europas in der Sahelzone zu festigen, um der russischen Invasion und dem Durchbruch von China, Indien und der Türkei besser begegnen zu können.
Auf dem Spiel stehen in erster Linie geopolitische und geostrategische Fragen! Die aktuelle Situation stellt eine wachsende Bedrohung für alle die Länder der Sahelzone dar, die mit Europa die Werte der Demokratie, die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Grundrechte und -freiheiten teilen. In dieser Hinsicht ist die europäische Präsenz von größter Bedeutung, da sie eine Garantie für Sicherheit und Frieden in denjenigen Sahel-Ländern darstellt, die (noch) der Demokratie, der wirtschaftlichen Entwicklung und dem sozialen Fortschritt verpflichtet sind.