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Westafrika
Kooperation, aber nicht um jeden Preis

Fischereihafen Kayar, der größte Fischereihafen Senegals

Fischereihafen Kayar, der größte Fischereihafen Senegals.

© picture alliance / robertharding | Bruno Morandi

Außenministerin Baerbock reist in den Senegal, die Sahel-Allianz trifft sich in Berlin. Deutschland will nach den Truppenabzügen in der Region präsent bleiben. Warum das richtig ist.

Berlin und Westafrika sind diese Tage in regem diplomatischen Austausch. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock reist Montag und Dienstag nach Senegal und Côte d’Ivoire. Die deutsche Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit Svenja Schulze empfängt am Dienstag die 18 Mitglieder der Sahel-Allianz in Berlin.

Deutschland streckt die Hand aus – in einem Moment, in dem es sich militärisch weiter zurückzieht. Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte in der vergangenen Woche überraschend und fast kommentarlos den Abzug des noch vorhandenen deutschen Truppenkontingents aus Niger bekannt gegeben.

Dabei hatte die Bundeswehr dort eigentlich zusammen mit den Italienern die letzte westliche Militärpräsenz aufrechterhalten sollen, als militärischer Berater und Bauherr eines Krankenhauses in Niamey.

Drei Putsch-Länder gehen eigenen Weg

Wer sich mit den Sahel-Staaten befasst, kommt an globaler Sicherheitspolitik nicht vorbei. Und an der Konkurrenz zwischen westlichen und östlichen Akteuren, allen voran Russland.

Gleichzeitig regieren in der Region militärische Junten, die zunächst mehr regionale Souveränität, mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit und eine „Transition“ versprachen. Stattdessen treten sie in die korrupten und undemokratischen Fußstapfen ihrer Vorgänger, die sie vorher bekämpft haben.

So geschehen in den drei Ländern, die sich vom Westen und dem Rest der Region absetzen: Mali, Burkina Faso und Niger, die bereits 2023 mit der Allianz der Sahel-Staaten (AES) der westafrikanischen Wirtschaftsvereinigung Ecowas den Rücken zugekehrt haben.

Sie sind entschlossen, einen eigenen Weg zu gehen. Das wurde am vergangenen Wochenende anlässlich des ersten AES-Gipfeltreffens in der nigrischen Hauptstadt Niamey noch einmal deutlich. Sie wandelten die Allianz in eine Konföderation der Sahel-Staaten um.

Dass genau am gleichen Wochenende die Entscheidung in Berlin fiel, aus Niger abzuziehen, erstaunt nicht weiter. Niger hatte der deutschen Truppe und ihren Beratern die üblichen Schutzinstrumente, beispielsweise Immunität für seine Soldaten, verwehrt, die eine deutsche Stationierung vertretbar gemacht hätten.

Mehr Autonomie vom Westen

Damit macht die Führung in Niamey klar, dass dem zur Schau getragenen Autonomiewillen Taten folgen. Man kann nur ahnen, welches diplomatische Hin und Her im Vorfeld stattgefunden hatte, ehe das Bundesverteidigungsministerium die Reißleine gezogen hat.

Gleichzeitig zum deutsch-nigrischen Tauziehen und der Gründung einer Konföderation der drei Sahel-Länder fand in Nigeria ein Gipfeltreffen der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten Ecowas statt. Ganz oben auf der Tagesordnung: der Umgang der Organisation mit den drei abtrünnigen Sahel-Staaten.

Die Wirtschaftsgemeinschaft ist alternativloser Partner

Die Wirtschaftsgemeinschaft steht seit 50 Jahren für regionale Integration, freien Warenhandel, Visafreiheit und regionale Sicherheit in 15 Ländern Westafrikas. Nunmehr auf 12 Mitgliedsländer geschrumpft, ist sie zwar reformbedürftig, aber alternativlos als politischer Partner und Akteur für Frieden und Wohlstand.

So sieht das auch der neue senegalesische Präsident Bassirou Diomaye Faye, der auf dem Gipfel zusammen mit seinem togolesischen Kollegen zum Vermittler der Ecowas im Umgang mit dem abtrünnigen Dreigespann ernannt wurde.

Als Symbol des Anti-Establishments und mit einem panafrikanischen, souveränistischen Ansatz im Frühjahr an die Macht katapultiert, hat der junge senegalesische Präsident im Gegensatz zur AES seinen politischen und wirtschaftlichen Schwerpunkt auf und nicht gegen die Region gelegt.

Faye mahnt: Die Zeit ist gekommen für eine Neudefinition der Beziehungen zum Westen bei gleichzeitiger Reform der in die Jahre gekommenen Wirtschafts- und Sicherheitsvereinigung Ecowas. Mehr regionale Souveränität gehe nicht ohne, sondern mit einer starken Organisation.

Baerbock erste westliche Außenministerin in Dakar

Westafrika hat immenses Potenzial. Es bietet vieles von dem, was die Menschheit heute braucht: Energie ohne Ende, Seltene Erden, begehrte Mineralien, eine junge und arbeitswillige Bevölkerung. Land, viel Land, das unter normalen Umständen die Unabhängigkeit der Nahrungsmittelversorgung erlauben würde.

Dabei kommt den stabilen Küstenstaaten Senegal und Côte d’Ivoire mit ihren zuletzt vom Internationalen Währungsfonds für 2025 prognostizierten zweistelligen Wachstumsraten eine besondere Rolle zu.

Das hat auch die deutsche Regierung erkannt, die als eine der ersten westlichen Partnerländer ihre Außenministerin zur neuen senegalesischen Regierung schickt. Ein Zeichen der Wertschätzung, des Vertrauens und der Würdigung für die exception sénégalaise, die senegalesischen Ausnahme, wie sie das Land, das seit seiner Unabhängigkeit jede Demokratiekrise frei und fair gemeistert hat, stolz von sich behauptet.

Sollen die Schätze, die Chancen und die Bedarfe Westafrikas nicht anderen Akteuren überlassen werden, die den Westen und seine Werte nicht nur in Europa, sondern auch auf dem afrikanischen Kontinent bedrohen, sind deutsches Engagement und Partnerschaft auf Augenhöhe und mit ausgestreckter Hand wichtiger denn je.

Dieser Artikel erschien erstmals am 14. Juli 2024 beim Tagesspiegel.