SERBIEN
LGBTIQ: Beginnt die serbische Gesellschaft zu verstehen?
Bei der bisher größten Demonstration spazierten nach Angaben der Organisatoren bis zu 15.000 Menschen durch Belgrad, und das ohne Zwischenfälle. Das Organisationskomitee hatte in diesem Jahr das Motto „Wir sind nicht einmal nah dran“ („Nismo ni blizu“) ausgegeben. Vor dem Hintergrund, dass die serbische LGBTIQ+-Community nach wie vor Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt ist und Forderungen nach einer Verbesserung der Lage „nicht einmal annähernd“ umgesetzt seien.
Von Seiten der serbischen Regierung war Tanja Miščević, Ministerin für Europäische Integration, anwesend, von ausländischen Gästen u.a. der Botschafter der Vereinigten Staaten in Serbien Christopher Hill.
Die Frage bleibt: Was unterschied die diesjährige „Pride Parade“ von der im vergangenen Jahr stattgefundenen „EuroPride“?
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Im vergangenen Jahr versammelten sich ca. 10.000 Menschen aus ganz Europa auf einer kurzen, komplett von der Polizei abgesperrten Strecke von gerade einmal 350 Metern. Wie der damalige Innenminister Aleksandar Vulin, ein Verteidiger ultrakonservativer Werte, erklärte, sei es dabei nicht „um irgendeine Art von Spaziergang“ gegangen, sondern darum, die Teilnehmenden der EuroPride zum Abschlusskonzert im Tašmajdan-Park „zu eskortieren.“
In diesem Jahr gab es eine bunte Parade vom Manjež-Park zum Serbischen Parlament und zurück. Es war ein friedlicher Marsch durch die zentralen Straßen der Hauptstadt, etwas länger als zwei Kilometer. An Fremdsprachen waren Russisch und Ukrainisch am häufigsten zu hören – dank der neuen Belgrader Bürgerinnen und Bürger, die aus Russland und der Ukraine geflohen sind und zahlreich den „Pride Walk“ unterstützten.
Ungeklärt bleibt die Frage, wie aus einer siebentägigen Hysterie im vergangenen September – mit präsidentiellen Absagen, serbisch-orthodoxen Anfeindungen, Ankündigungen europäischer und serbischer Politiker/innen sowie einer kompletten Verunsicherung der Community, ob der „Pride-Walk“ letztlich erlaubt würde – innerhalb eines Jahres ein nahezu völlig normaler Demonstrationszug mit tausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern ohne einen einzigen Zwischenfall werden konnte?
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Ist die serbische Gesellschaft inzwischen näher an die LGBTIQ+-Community herangerückt, oder ist sie – wie die Organisatoren denken – nach wie vor weit davon entfernt, die Belange und Nöte homo- und transsexueller Menschen zu verstehen? Die Durchführung einer „Pride Parade“ im Herzen Belgrads ohne Hysterie, Drohungen und Zwischenfälle, lässt hoffen. Oder ist alles wieder nur eine Illusion, wenn auch etwas anders gefärbt als im vergangenen Jahr?