Serbien
Schritt voraus oder Potemkinsches Reformdorf?
Ist Serbiens neue, vor einem Jahr verabschiedete Medienstrategie 2020-25 nur ein Papiertiger oder ein wichtiger Schritt zur Absicherung der bedrohten Pressefreiheit? Das jahrelange Ringen um das Dokument, aber auch die Erfahrung mit der ersten, vor zehn Jahren verabschiedeten Medienstrategie haben vor allem bestätigt, dass Papier auf dem Balkan sehr geduldig ist. Und dass zur tatsächlichen Umsetzung formulierter Ziele nicht nur ein effektiver Aktionsplan und Gesetze nötig sind, sondern vor allem auch der politische Wille, die Medien dem Zugriff und der Kontrolle der Staatsmacht zu entziehen.
Zumindest an hehren Worten ließ es Regierungschefin Ana Brnabić nach der mühsamen und um Jahre verspäteten Geburt von Serbiens neuer Medienstrategie im Januar 2020 nicht fehlen. Sie danke den Mitgliedern der Arbeitsgruppe, so die Premierministerin nach der Verabschiedung des 86-Seiten-Dokuments, das Serbiens bedrohte Pressefreiheit absichern und die Entwicklung der Medienmärkte im Balkanstaat bis 2025 regeln soll: „Dies ist ein erster Schritt. Wir bleiben dieser Arbeit gewidmet.“
Doch Serbiens Medienrealität sieht anders aus. Gut zwei Monate nach dem grünen Regierungslicht für die gemeinsam mit den Berufsverbänden ausgearbeitete Medienstrategie geriet Serbien am 1. April 2020 als erstes Land in Europa in die Schlagzeilen, in dem eine Journalistin wegen ihrer missliebigen Corona-Berichterstattung verhaftet wurde. Brnabić bezeichnete die Verhaftung der Journalistin Ana Lalić, die für das Portal „nova.rs“ über Missstände im Klinikzentrum von Novi Sad berichtet hatte, zwar als „dumme Entscheidung“, aber erregte sich aufgebracht über „Leute, die lügen“. Obwohl hernach keinerlei Anklage gegen die Journalistin erhoben wurde, blieb eine Regierungsentschuldigung für den völlig haltlosen Lügenvorwurf aus.
Nicht zuletzt auf Druck der EU hat Belgrad im Dezember einen erneut mit den Berufsverbänden erarbeiteten Aktionsplan zur Umsetzung der Medienstrategie verabschiedet. „Wir werden keine Bedrohungen von Journalisten tolerieren, das ist für uns die rote Linie“, kündigte Brnabić damals an.
Doch das Akzeptieren der Kontrollfunktion unabhängiger Medien als vierte Macht im Staat fällt der Politik beim EU-Anwärter schwer. Stattdessen üben sich Würdenträger weiter unvermindert in Medienschelte. Als „politischen Gegner“ geißelte beispielweise Brnabić Mitte Februar erneut den TV-Sender N1 und gab zu, die für die Organisation der Corona-Impfung zuständige Institution E-uprava angewiesen zu haben, dem Sender keine Auskünfte zu erteilen – laut dem früheren Datenschutzbeauftragen Rodoljub Šabić ein klarer Verstoß gegen das Gesetz über den Zugang zu Informationen. Noch drastischer ging im Dezember ihre Parteikollegin und SNS-Abgeordnete Biljana Pantić Pilja mit den mißliebigen Kabel-TV-Sendern N1 und NovaS ins Gericht: Die „antiserbischen Medien“ könne man nur mit den Worten „heimische Verräter, ausländische Söldner“ umschreiben, wütete die Abgeordnete im Parlament.
Serbiens Medienstrategie 2020- 2025 | Download
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