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Solidaritätszuschlag
Abschaffung des Soli!

Ein Gebot sozialer Fairness, wirtschaftlicher Vernunft und politischer Glaubwürdigkeit

Nun fordert es auch der Sachverständigenrat: Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Aber die Große Koalition bewegt sich in dieser Frage nicht. Das ist ein Skandal, weil damit ein Versprechen gebrochen wird. Daneben ist es schlechte Wirtschaftspolitik, denn das Wachstum verlangsamt sich – ein guter Zeitpunkt für einen Schub der privaten Nachfrage. Unser Vorstandsvorsitzender Professor Karl-Heinz Paqué, selbst Volkswirt, analysiert die Lage.

Manche mögen die liberale Forderung nicht mehr hören: Der Soli muss weg. So oft hat die FDP in den letzten Jahren öffentlich dafür plädiert, die Sondersteuer zur Finanzierung der Deutschen Einheit, den Solidaritätszuschlag, endlich wie versprochen ersatzlos zu streichen. Gleichwohl: Nur weil eine Forderung sich wiederholt, wird sie nicht falsch. Ganz im Gegenteil, je mehr Zeit verstreicht, umso mehr spricht dafür, endlich den in den frühen neunziger Jahren eingeführten Aufschlag auf die Einkommensteuerschuld abzuschaffen.

Die Liste der Argumente für die Abschaffung besteht inzwischen aus fünf schwerwiegenden Gründen: lahmendes Wachstum, hohes Steueraufkommen, überbelasteter Mittelstand, riesiger Leistungsbilanzüberschuss und gefährdete Glaubwürdigkeit. Im Einzelnen:

Lahmendes Wachstum

Nach Jahren soliden Wachstums der deutschen Volkswirtschaft ist erstmals im Jahr 2018 festzustellen, dass die Expansionskräfte nachlassen und erlahmen.  Dies musste irgendwann kommen – und es geschieht bei noch immer sehr moderater Inflation, die gerade mal die übliche Zielgröße der Europäischen Zentralbank von rund zwei Prozent erreicht hat. Deshalb sprechen mehr denn je konjunkturpolitische Argumente für eine Senkung der Steuerbelastung der fast 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland. Mehr denn je ist es erwünscht, dass eine solche Entlastung nicht nur in die Vorsorge für Alter und Familie fließt, sondern auch in die Konsumnachfrage zur Belebung der Wirtschaft. Dies gilt umso mehr, als ein guter Teil des sogenannten Konsums durchaus investiven Charakter hat: Ausgaben zur Anschaffung langlebiger Verbrauchsgüter – von Kühlschränken über Waschmaschinen bis zu Kraftfahrzeugen –  sorgen nicht nur für eine Erneuerung des Kapitalbestands, sondern auch für dessen ökologische Modernisierung mit neuester Technologie.

Hohes Steueraufkommen

Die Zahlen sind atemberaubend. In den zwölf Jahren von 2005 bis 2017 stieg das Steueraufkommen in Deutschland um 283 Mrd. Euro – von 452 auf 735 Mrd. Euro. Das ist eine Zunahme um rund 63 Prozent, bei den direkten Steuern waren es sogar 84 Prozent. Die Löhne, Gehälter und Einkommen wuchsen dagegen nur um rund ein Viertel – je nachdem, wie man es genau definiert und misst. Laut letzter (und eher vorsichtiger) Steuerschätzung ist bis 2023 mit einem weiteren Anstieg des Steueraufkommens auf 941 Mrd. Euro zu rechnen, also nochmals gut 200 Mrd. Euro mehr. So einen Geldsegen für den Staat hat es noch nie in der deutschen Geschichte gegeben! Nie war deshalb die Balance zwischen Bürger und Staat stärker gestört als heute. Wollen wir zu einem fairen Sozialvertrag zurückfinden, müssen die Bürger kräftig entlastet werden. Denn sie sind es, die durch ihre persönliche Leistungskraft erst die Wertschöpfung möglich machen, aus der sich der Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben seit Jahren mit vollen Händen bedient. Erster Schritt dazu: Abschaffung des Soli.

Überbelasteter Mittelstand

Wissenschaftliche Studien belegen, dass die arbeitende Mittelschicht in Deutschland besonders stark durch Steuern und Abgaben belastet wird. Das sind in etwa all diejenigen Haushalte, die ein Jahreseinkommen zwischen 30.000 und 80.000 Euro beziehen. Sie arbeiten hart, müssen aber wegen der demographischen Entwicklung sogar damit rechnen, dass ihre Beiträge zur Rentenversicherung noch weiter steigen und sich ihre Lebensarbeitszeit verlängert. Sie wollen und müssen private Vorsorge für das Alter treffen – durch Erwerb von Immobilien oder renditeträchtigen Wertpapieren, was bei steigenden Immobilienpreisen in den urbanen Zentren und extrem niedrigen Zinsen für sichere Anlagen (zumeist Staatsanleihen!) sehr schwierig geworden ist. Davon profitiert übrigens der Staat zusätzlich, seine Zinslast nimmt ab, aber sie tut es eben auf Kosten der Zukunft der Mittelschicht. Allein schon deshalb ist die steuerliche Entlastung dringend geboten – zusammen mit weiteren Maßnahmen zur Renditesteigerung von Kapitalanlagen.

Riesiger Leistungsbilanzüberschuss

Deutschland weist seit einigen Jahren einen stabilen Rekordüberschuss in der Leistungsbilanz auf. Er liegt in der Größenordnung von acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Dies ist einerseits ein Zeichen der guten Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, deren Exporte in den Weltmärkten begehrt und gefragt sind. Es ist andererseits ein fragwürdiges Ungleichgewicht, denn es bedeutet auch, dass rund acht Prozent des BIP als Ersparnisse im Ausland angelegt werden – statt sie im Inland zukunftsträchtig zu investieren: in Bildung und Wissenschaft, in Kommunikationsnetze sowie Straßen und Schienen, in Forschung zur Entwicklung neuer Produkte. Eine Steuersenkung durch Abschaffung des Soli kann ein Stück weit helfen, eine Welle privater Investitionen in Gang zu bringen, die dieses Ungleichgewicht korrigiert. Sie würde auch helfen, den Rufen nach Schutzzöllen gegen Importe aus Deutschland, wie sie insbesondere von Donald Trump aus den USA kommen, die Grundlage zu entziehen.

Gefährdete Glaubwürdigkeit

Am grundsätzlichsten ist die Frage nach der politischen Glaubwürdigkeit. Zur Finanzierung des Ersten Weltkriegs wurde seinerzeit im Kaiserreich die Sektsteuer eingeführt – und sie wurde anschließend nie wieder abgeschafft, obwohl der Erste Weltkrieg 1918, also vor 100 Jahren endete. Ähnlich droht es mit dem Soli zu laufen: Die Deutsche Einheit als Projekt des teuren physischen Aufbaus Ost ist längst abgeschlossen, und die Aufgaben eines weiteren "Aufbruch Ost" sind fiskalisch nicht annähernd mit dem zu vergleichen, was die ersten zwei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 an Belastung brachten. Insofern ist es eine Frage der ehrlichen Bilanzierung und der politischen Moral, die Sondersteuer des Solidaritätszuschlags abzuschaffen, spätestens 30 Jahre nach dem Mauerfall. Versprechen sind einzuhalten. Und wenn die Politik dazu nicht in der Lage ist, wird dies zur Verdrossenheit der Menschen beitragen. Nur die Rechtspopulisten in unserem Land werden davon profitieren.

Fazit: Den Soli abzuschaffen ist eine Forderung der sozialen Fairness, der wirtschaftlichen Vernunft und der politischen Glaubwürdigkeit. Es wäre übrigens nur ein erster, aber ein wichtiger Schritt zur Wiederherstellung der Balance zwischen Staat und Bürgern, und er könnte im Alleingang von der Bundesregierung durchgesetzt werden, denn die Länder sind nicht an den Einnahmen beteiligt. Mehr an Steuersenkungen müsste folgen. Aber immerhin: Es wäre ein erster Schritt.