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Wohnen
"Aufwendig, langwierig, teuer!": Wohnungsnot in Ballungsräumen

Architektin Barbara Ettinger-Brinckmann erklärt, warum bürokratische Auflagen und langwierige Verfahren Investitionen ausbremsen
Barbara Ettinger-Brinckmann

Barbara Ettinger-Brinckmann ist Präsidentin der Bundesarchitektenkammer e.V. (BAK).

© Holger Hill / DGNB

Der Berliner Senat hat heute den Mietendeckel beschlossen. Die rot-rot-grüne Landesregierung will so in der Hauptstadt die Mieten einfrieren. Was wirklich gegen Wohnungsnot hilft, erklärt Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer.

In Deutschlands Ballungsräumen herrscht Wohnungsnot. Doch hohe bürokratische Auflagen und langwierige Verfahren bremsen Investitionen oftmals aus, sagt Barbara Ettinger-Brinckmann, oberste Repräsentantin der rund 135.000 deutschen Architektinnen und Architekten, Stadtplanerinnen und Stadtplaner, im Interview.

Das Wohnen in den Großstädten wird immer teurer. Warum eigentlich?

Barbara Ettinger-Brinckmann: Der größte Kostentreiber ist der Bodenpreis. In den Metropolen ist der Boden seit jeher ein knappes Gut. Zur Jahrtausendwende herrschte noch der Glaube, Deutschland sei „gebaut“ und man rechnete mit einem Rückgang der Bevölkerungszahlen. Und jetzt geht die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung. Deutschland wächst wieder, die Einwohnerzahlen steigen, vor allem durch EU-Binnenwanderung, durch Migration und eine höhere Geburtenrate. Das ist auch hierin Kassel zu beobachten, wo ich lebe und arbeite. Vor 15 Jahren nahm man an, die Stadtwürde schrumpfen. Jetzt hält der Wohnungsbau nicht mehr Schritt mit der Nachfrage. 

Demnach haben Politiker genauso versagt wie die Auguren, die die Bevölkerungsentwicklung voraussagen.

Darüber will ich nicht richten, denn Prognosen haben ja bekanntlich das Problem, dass sie auf die Zukunft gerichtet sind. Es kommt jedoch ein weiterer Punkt dazu: Nach wie vor steigt der durchschnittliche Wohnflächenverbrauch. Wenn wir auf dem Stand von 1960 wären, als der durchschnittliche Wohnflächenverbrauch pro Kopf der Bevölkerung bei etwas mehr als 20 Quadratmetern lag, hätten wir heute keinen Mangel. Tatsächlich beträgt die Wohnfläche pro Kopf heute aber etwa 45 Quadratmeter und sie steigt weiter um einen Quadratmeter pro Jahr. Nehmen wir nochmals Kassel mit seinen 200.000 Einwohnern: Um dieses Wachstum der Nachfrage zu befriedigen, müssten wir allein hier jedes Jahr 200.000 Quadratmeter neu bauen. Das ergibt unter dem Strich keine einzige Wohnung mehr. 

Bei teureren Wohnungen funktioniert das Spiel zwischen Angebot und Nachfrage. Dortgibt es kaum bis keinen Mangel. Ganz anders im niedrigeren Mietsegment: Warum zögern die Investoren hier? 

Besonders die hohen Grundstücks- und Baukosten in den Metropolstädten führen nur bei entsprechend hohen Mieten zu einer ausreichenden Rendite– und das trotz der niedrigen Zinsen. Und ein privater Investor kann nur bauen, wenn sich der Bau rechnet. Deswegen muss hier der Staat tätig werden und mithilfe der Wohnungsbauförderung, einer Renaissance des sozialen Wohnungsbausund einer aktiven Bodenpolitik bezahlbaren Wohnraum schaffen. Der großflächige Verkauf städtischen Wohnungseigentums vor ein paar Jahren hat leider vielen Kommunen ein wichtiges Steuerungsmittel aus der Hand genommen. 

Harter Tobak. Weil der Markt versagt, soll es der Staat richten? Fesselt nicht vielmehr der Staat den Markt? Die Zahl der Bauvorschriften hat sich seit 1990 bis heute auf 20.000 vervierfacht, errechnete vor Kurzem der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen.

Ja, allein wir Architekten müssen mit rund 2.500 Vorschriften und Normen hantieren. Das macht das Bauen aufwendig, langwierig und oft auchteuer. Aber man hat auch regelmäßig einen Gegenwert, was Qualität und Nachhaltigkeit angeht. So bewirken beispielsweise die Energiesparvorgaben, dass die Häuser wesentlich energieeffizienter sind als früher. Aber noch einmal: Die Vielzahl der zu berücksichtigenden Normen ist sicherlich ein Thema – die hohen Bodenpreise ein anderes.

Wohnungsnot

In Deutschland fehlen hunderttausende bezahlbare Wohnungen.

© picture alliance / Winfried Rothermel

Wenn es mit der Preisentwicklung so weitergeht, werden sich der Polizist, die Krankenschwester oder die Erzieherin eine Wohnung in der übervollen City nicht mehr lange leisten können.

Beim Wohnungsgipfel der Bundeskanzlerin haben wir genau dazu zahlreiche Vorschläge unterbreitet, die insbesondere in zwei Richtungen gehen: Innenentwicklung in den Städten und Erschließung der vielen außerstädtischen Gebiete. In den Städten geht es um Themen wie Lückenschließung, Umnutzung oder auch Aufstockung, um nicht weiteren Grund und Boden zu versiegeln. Die Bundesarchitektenkammer hat an einer Studie mitgearbeitet, um das Potenzial durch die Aufstockung von bestehenden Wohngebäuden zu errechnen: 1,1 Millionen zusätzliche Wohnungen mit einer mittleren Wohnfläche von 85 Quadratmetern könnten auf diese Weiseentstehen– ohne nennenswerten zusätzlichen Aufwand für Infrastruktur. In den außerstädtischen Gebieten geht es um Nutzung der dort vorhandenen Potenziale, die ohne Anbindung an die Städte, also den öffentlichen Nahverkehr, und einen vernünftigen Breitbandausbau nicht zu heben sind. Rund 200.000 bestehende Wohnungen suchen hier ihre Bewohner, die auch kommen würden, wenn sie denn bequem und zeitlich flexibel das große Angebot an Arbeit, Freizeit und Kultur in den Städten besser nutzen könnten. Wir sprechen hier von dezentraler Konzentration. Wir sind mit der Bundesregierung daher gerade in Gesprächen, wie auf Basis der vielen verfügbaren Daten schnell ein qualifiziertes Kataster der Flächenpotenziale entwickelt werden kann.  

Warum wird das dann nicht im großen Stil gemacht?

Bei der Innenentwicklung hemmt uns oftmals das Baurecht mit vorgegebener Geschossflächenzahl, Abstandsflächeoder Stellplatzanforderung. Viele Kommunen bestehen auf ihren Vorgaben für ein oder zwei Stellplätze pro Wohnung. Das macht das Aufstocken teuer und damit unrentabel, wenn nicht gar unmöglich. Der Föderalismus trägt zu einer sehr heterogenen Landschaft im Bereich des Baurechts bei – das erleichtert Veränderungen nicht gerade.

Was machen andere Industriestaaten besser als wir?

Nehmen Sie etwa die dicht bebauten Niederlande. Die Wohnungen sind regelmäßig etwas kleiner, dafür aber ist das soziale und kulturelle Angebot leichter erreichbar. Zudem sind in den Niederlanden zumindest Neubauten von der Grunderwerbsteuer befreit. Auch der Eigentumserwerb wird dort und in anderen europäischen Staaten viel mehr gefördert als bei uns. Oder Österreich, das gerade in Wien zeigt, wie mit guter Architektur bei einer gemischten Einkommensstruktur äußerst lebenswerte Stadtteile für vielfältige gesellschaftliche Strukturen entstehen. 

Angenommen, Sie wären für einen Tag Bundesbauministerien: Was würden Sie sofort ändern?

Der Gedanke gefällt mir, denn das würde bedeuten, dass es endlich wieder ein eigenes Bauministerium gäbe. Mittlerweile kommt der Bau ja nicht einmal mehr im Kürzel des zuständigen Innenministeriums vor. Ich würde die Baunutzungsverordnung aus den Zeiten der autogerechten Stadt gründlich revidieren, um sie den heutigen Anforderungen an eine lebenswerte und durchmischte Stadt der kurzen Wege anzupassen. Dann würde ich den Bestand viel stärker in den Fokus nehmen, um die bereits vorhandenen Gebäude insbesondere für das Wohnen wirkungsvoll zu aktivieren – das ist auch ökologisch und ökonomisch sinnvoll. Und drittens würde ich den Dialog mit Ländern und Kommunen erheblich intensivieren, um die qualitative Aufwertung der kleineren und mittleren Städte und der ländlichen Räume mithilfe eines attraktiven, kurz getakteten und preiswerten öffentlichen Nahverkehrs inklusive Breitbandausbau voranzutreiben. All dieses mit dem Ziel, lebenswerte, nachhaltige und damit auch schöne Räume und Häuser zu schaffen. Ein Anliegen, das uns Architektinnen und Architekten, Stadtplanerinnen und Stadtplanern immer wichtig ist.

Zur Person

Barbara Ettinger-Brinckmann (68) ist seit 2013 Präsidentin der Bundesarchitektenkammer e.V. (BAK). Der Zusammenschluss der 16 Länderarchitektenkammern in Deutschland vertritt die Interessen von fast 135.000 Architektinnen und Architekten und Stadtplanerinnen und Stadtplaner. Die gebürtige Rheinländerin machte 1974 ihr Diplom und arbeitet seit 1980 freischaffend in Kassel. Ihr Partnerbüro ANP ist auf den Gebieten Hochbau, Städtebau/Stadtplanung und Verfahrensmanagement tätig.