Archiv des Liberalismus
Das Archiv der liberalen Bewegung in Deutschland und Europa
Als das damalige Archiv der Friedrich-Naumann-Stiftung am 31. Januar 1984 und damit heute vor vierzig Jahren als Neu- und Anbau der seit 1967 bestehenden Theodor-Heuss-Akademie feierlich eröffnet wurde, gaben sich zahlreiche Prominente die Klinke in die Hand. Der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel hielt die Begrüßungsansprache, ihm folgte eine Rede des damaligen Akademieleiters Wolfgang Heinz. Den Festvortrag hielt am 100. Geburtstag von Theodor Heuss, den man zum Anlass der Einweihung gewählt hatte, der Heuss-Experte und Liberalismusforscher Jürgen C. Heß. Unter den rund 350 Ehrengästen befanden sich die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Liselotte Funcke, mehrere Bundestagsabgeordnete, Geschäftsführung und Kuratoriumsmitglieder der Stiftung (u.a. Hildegard Hamm-Brücher), renommierte Historiker und Vertreter der Archive der anderen Politischen Stiftungen. Anwesend waren auch zwei Mitglieder der Familie Heuss, nämlich Ursula und Ludwig Theodor Heuss.
Ein Neubau für die Zukunft: Raumprobleme im Thomas-Dehler-Haus
Das neue Archiv war nötig geworden, weil die Räume in der Bonner Bundesgeschäftsstelle der FDP, dem damaligen Thomas-Dehler-Haus zu klein geworden waren. Spötter sprachen damals von einer „Mischung aus einer Heringsbüchse und einem Aquarium“. Selbst wenn der bildliche Vergleich für Bonner Verhältnisse etwas seltsam maritim wirkt, so traf er wohl zu, was die räumliche Beengtheit angeht. Die Bauarbeiten waren termingerecht und im geplanten finanziellen Rahmen bereits 1983 abgeschlossen worden. Geholfen hatte dabei ein großzügiger Zuschuss der Volkswagenstiftung, der rund fünfzig Prozent der damaligen Bausumme abdeckte und auch Mittel für die Erschließung des Archivguts bereitstellte. Mit dem Neubau unter der dadurch neu entstehenden Terrasse der Theodor-Heuss-Akademie glaubte man nun, mit Magazinräumen für rund zwei bis zweieinhalb Kilometer Archivgut für die nächsten zwanzig Jahre ausgesorgt zu haben. Noch ahnte niemand, dass der Mauerfall und die dadurch mögliche Fusion der liberalen Parteien in Ost und West diese Berechnungen bald schon über den Haufen werfen würden.
Ein Blick in die Geschichte: Vom Ein-Mann-Betrieb zum Archiv des Liberalismus
Dabei war der Neubau in Gummersbach ein echter Modernisierungsschritt. Das Archiv hatte einstmals als Ablage im Bonner Büro des früheren FDP-Vorsitzenden Franz Blücher begonnen; betreut wurde es von dessen Mitarbeiterin Erika Fischer. 1961 waren die Unterlagen so umfangreich angewachsen, dass man den Historiker Friedrich Henning mit der Archivierung beauftragte. Lange Zeit blieb das „Politische Archiv“ als Ein-Mann-Betrieb ein winziger Teil der FDP-Bundesgeschäftsstelle. Das änderte sich 1968, als die Partei ihr Archiv der Friedrich-Naumann-Stiftung verkaufte. Damit stellt es bis heute das älteste der Archive der Politischen Stiftungen dar, denn das Archiv der sozialen Demokratie wurde 1969 und das Archiv für Christlich-Demokratische Politik erst 1976 eingerichtet. 2018 feierte die Naumann-Stiftung in Anknüpfung an die Übernahme des Aktenbestandes im Jahr 1968 das 50-jährige Jubiläum des Archivs.
Die Erweiterung in Gummersbach: Forschung und Politische Bildungsarbeit
Die bis 1968 gesammelten Unterlagen der liberalen Partei verblieben aber trotz des neuen Eigentümers für die kommenden eineinhalb Jahrzehnte im Keller des Dehler-Hauses im Bonner Talweg und später in der Baunscheidtstraße. Aber in den siebziger und achtziger Jahren begann man unter der seit 1982 (und bis 2010) tätigen Archivleiterin, der Historikerin Monika Faßbender, die Sammlungstätigkeit systematisch auf FDP-Landesverbände, liberale Vorfeldorganisationen (Jungdemokraten, Junge Liberale, Liberale Frauen etc.) und weitere Politikernachlässe auszuweiten. Auch der Bestand der Naumann-Stiftung selbst wurde hier gesammelt und wuchs kontinuierlich. Dieser erweiterten Perspektive auf „alle liberalen Strömungen in unserem Land“ (Scheel) entsprach die Umbenennung des bisherigen „Politischen Archivs der Friedrich-Naumann-Stiftung“ in „Archiv des Deutschen Liberalismus“. Nach weiteren Zuwächsen durch die Bestände von „Liberal International“ wurde das Archiv 2001 in „Archiv des Liberalismus“ umbenannt, wie es bis heute heißt.
Aber nicht nur die erweiterte Sammlungsstrategie zu Beginn der 1980er Jahre, sondern auch neue Aktivitäten in Forschung und Politischer Bildungsarbeit traten in den 1980er Jahren am neuen Standort Gummersbach hinzu. Dafür stand neben der Archivleiterin der seit 1987 (und bis 2021) für die Naumann-Stiftung tätige Bonner Historiker Jürgen Frölich. Er publizierte drei viel gelesene Broschüren mit Texten und Quellen zur Geschichte des deutschen Liberalismus, hielt historische Vorträge, organisierte den Arbeitskreis Liberalismus-Forschung und war Spiritus Rector des seit 1989 erscheinenden „Jahrbuchs zur Liberalismus-Forschung“. Damals war das Jahrbuch erst das zweite wissenschaftliche Periodikum einer Politischen Stiftung; heute ist es mit inzwischen 35 Jahrgängen das Flaggschiff der historischen Liberalismus-Forschung in Deutschland. Aus dem ehemaligen Arbeitskreis, bei dem sich Stipendiaten und Doktoranden trafen, entwickelte sich seit Mitte der neunziger Jahre das jährlich stattfindende Liberalismus-Kolloquium des Archivs.
Aus den bescheidenen Anfängen des Jahres 1983 hat sich inzwischen eine wichtige und wertgeschätzte Einrichtung entwickelt. Nicht nur die Bestände sind mit inzwischen rund fünf Kilometern analogem Archivgut gewachsen, auch ein neues Gebäude ist mit dem 2009 eröffneten Anbau hinzugekommen. Schließlich haben sich aber auch die Arbeitsweisen des Archivs und seiner Mitarbeiter nachdrücklich geändert. In den letzten vierzig Jahren haben digitale Dokumente, eine Archivdatenbank und weitere Software-Anwendungen, elektronische Publikationen und die Archivierung des Internets die traditionelle Aufbewahrung analoger Unterlagen und deren manuelle Erschließung längst abgelöst. Das Archiv ist aber auch die Schatzkammer der liberalen Bewegung, denn hier werden die Platinschallplatte von Walter Scheel für das von ihm gesungene Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“ und der legendäre gelbe Pullunder von Hans-Dietrich Genscher aufbewahrt.
40 Jahre Engagement: Das Gedächtnis der liberalen Bewegung
Nicht nur für Liberalismus-Forscher, auch für die Stiftung und die nahestehende Partei bildet das Archiv eine erstrangige, weil zuverlässige und vertrauenswürdige Informationsquelle. Man schätzt den Rat der dort tätigen Archivmitarbeiter und Archivmitarbeiterinnen, wenn es um liberale Dokumente und liberale Geschichte geht. Die Verbindung von Archivarbeit, Politischer Bildung und wissenschaftlicher Forschung ist das Markenzeichen des Archivs des Liberalismus. Und in den heutigen Zeiten ist quellengestützte historische Aufklärung wichtiger denn je. So wird vielen Verschwörungstheorien und Fake News vorgebaut, indem die Archivmitarbeiter authentische Quellen bereithalten und die Historiker wissenschaftliche Forschung betreiben. Das was die Zeitgenossen 1984 nur ahnen konnten, ist heute Wirklichkeit: Das Gedächtnis der liberalen Bewegung befindet sich seit vierzig Jahren in Gummersbach.