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Zeitumstellungs-Debatte
Das Sommerzeit-Theater offenbart das Rechtsversagen der Politik

Kuratoriumsmitglied Thomas Straubhaar über die mögliche Abschaffung der Zeitumstellung

In der EU-Umfrage zur Abschaffung der Sommerzeit stimmten mehr als 80 Prozent der 4,6 Millionen in Europa lebenden Teilnehmer gegen die Zeitumstellung. Die Mehrheit möchte also nicht, dass im Frühling und im Herbst an der Uhr gedreht wird. Dies zeigt umso mehr, wie absurd es ist, dass es diese seit Jahrzehnten sinnlose Regelung überhaupt noch gibt. Dahinter steckt der „Wir wissen es besser als das Volk“-Irrglaube der Politik, meint unser Kuratoriumsmitglied Thomas Straubhaar. 

Dieser Artikel wurde zuerst am 12. Februar 2018 auf welt.de veröffentlicht und ist online auch hier zu finden

Unnötig, überflüssig, unsinnig. Die Sommerzeit gehört abgeschafft. Das weiß auch die Politik schon lange. Umso bezeichnender und damit erschreckender, dass erst jetzt das Europaparlament zu handeln bereit ist. Wobei der Mut zur Korrektur bescheiden und vorerst auf halber Strecke stecken bleibt.

Denn die EU-Abgeordneten haben Anfang Februar noch nicht die Abschaffung der Zeitumstellung beschlossen, sondern lediglich deren Überprüfung. Als wäre nicht längstens, bestens und in jedem Falle mehr als hinreichend nachgewiesen, dass die Vorteile der Sommerzeit über- und deren Nachteile unterschätzt werden.

An der Erkenntnis, dass die Zeitumstellung nicht gehalten hat, was man sich erhoffte und mehr Probleme schuf, als sie löste, wird auch eine erneute Hinterfragung durch teure Experten nichts ändern. Geld und Zeit für ergänzende und vertiefende Analysen und Gutachten sollte man sich schenken. Europa hat weiß Gott wichtigere Herausforderungen zu bewältigen, als zum x-ten Male sattsam Bekanntes in neuen Schläuchen aufzuwärmen.

Paternalistischer Offenbarungseid

Die Sommerzeit ist ein Paradebeispiel dafür, dass es oft nur wenige Wochen dauert, um neue Gesetze zu erlassen, aber eine Ewigkeit, sie wieder loszuwerden, selbst wenn sich die ursprünglichen Gründe erübrigt, widerlegt oder als falsch erwiesen haben. Vor rund vierzig Jahren wurde die Zeitumstellung unter dem Schock der Ölkrise und rapide steigender Energiepreise eingeführt, um durch eine bessere Nutzung des Tageslichts Strom zu sparen. Auch wenn sich in der Praxis die Erwartung nicht erfüllte, wurde an der Sommerzeit trotz überzeugender Gegenargumente und wider besseren Wissens hartnäckig festgehalten.

Effekte einer um eine Stunde verlängerten Tageslichtzeit, die vom einen durchaus als positiv von anderen aber auch negativ bewertet werden, ließen sich im Zeitalter von flexiblen Arbeitszeit- und Gleitarbeitszeitsystemen – wenn von Einzelnen gewünscht – auch ohne großes Rechtstamtam für alle vor Ort von Direktbetroffenen selbstständig umsetzen. Eine europaweite hoheitlich durchgesetzte Rechtsverbindlichkeit ist hierfür in keiner Weise weder notwendig noch gerechtfertigt.

Vor allem auch nicht, weil alleine schon die geografische Lage dafür sorgt, dass des einen Freud des anderen Leid ist. Denn für Menschen, die im Westen unserer mitteleuropäischen Zeitzone leben, vergrößert die Sommerzeit die Abweichung zum „wahren“ Sonnenstand um eine Stunde. Abends ist es dann zwar in der Tat länger heller, aber dafür hinkt die Mittagszeit noch einmal eine Stunde mehr dem höchsten Sonnenstand hinterher.

An der Stelle zeigt sich das eigentlich Bedrohliche an der europäischen Richtlinie zur Zeitumstellung. Mit einer paternalistischen – also mit festem Glauben, besser als die Betroffenen selber zu wissen, was für einzelne Menschen gut ist – Anmaßung der Obrigkeit steuert die Politik das Alltagsleben der Bevölkerung, obwohl es hierfür keine wirklich überzeugende, dem „Wohle der Allgemeinheit“ oder der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt dienende Rechtfertigung gibt.

Und sie hält daran auch dann noch fest, wenn die ursprünglich vorgetragenen Gründe obsolet geworden sind. Eine derartige am hoheitlichen Reißbrett der Bürokratie technokratisch von oben per Richtlinie durchgesetzte und durchgezogene Machtdemonstration führt bei der Richtlinie zur Zeitumstellung zu einem krassen Rechtsversagen.

Immense Verharrungskräfte politischer (Fehl-)Entscheidungen

Zwar geht es bei der Sommerzeit vordergründig und mit Blick auf das große Ganze „nur“ um eine Bagatelle. Es ist aber dennoch ein Mahnmal dafür, wie einfach es – durchaus unter Wahrung geltender rechtsstaatlicher Mittel – offenbar im europäischen Rechtsalltag geworden ist, das „Wohle der Allgemeinheit“ auszuhebeln, durch Ideologie und Paternalismus zu ersetzen und damit partikularen Eigeninteressen Tür und Tor zu öffnen. Wahrlich und gerade auch mit Blick auf andere europäische Spannungsfelder – wie der Flüchtlingspolitik oder der Geldpolitik – keine beruhigenden Aussichten.

Das Rechtsversagen bei der europäischen Richtlinie zur Regelung der Zeitumstellung bestätigt einmal mehr die im Alltag immer wieder gemachte Erfahrung der immensen Verharrungskräfte politischer (Fehl-) Entscheidungen. Deshalb wäre es angebracht, künftig vermehrt neue Gesetze mit einer Sunset Regel zeitlich zu befristen.

Damit ist gemeint, dass zumindest gewisse, vielleicht sogar alle Richtlinien grundsätzlich nur noch mit einem Verfalldatum erlassen werden. Nach Ablauf der Gültigkeit bleiben bestehende Gesetze nur dann für eine weitere Periode in Kraft, wenn die gesetzgebenden Behörden in einem neuen Verfahren ihre Fortführung beschließen. So laufen jene gesetzlichen Vorschriften von alleine aus, die nicht mehr zeitgemäß sind, weil sich ihre Voraussetzungen verändert haben oder die in der Praxis nicht so gewirkt haben, wie in der Theorie erwartet.

Wäre die Sommerzeit nach fünf oder zehn Jahren praktischer Erfahrung ganz automatisch auf den gesetzlichen Prüfstand gekommen, hätte sie kaum eine erste Evaluation überlebt. Damit wäre es Millionen von Menschen erspart geblieben, als Folge der Zeitumstellung zweimal jährlich den natürlichen Biorhythmus zu strapazieren oder mit Schlafstörungen aufzuwachen, nur weil sich überhebliche Technokraten und gutgläubige Abgeordnete im falschen paternalistischen Glauben, der Menschheit etwas Gutes zu tun, in ihrem Amtsstuben und Parlamenten anmaßten, in den durch den Sonnenlauf seit Jahrhunderten bestimmten natürlichen Tagesablauf einzugreifen. Fehler von gestern sollten heute korrigiert werden. Lieber früher als später und am besten jetzt.

Thomas Straubhaar ist Mitglied im Kuratorium der Stiftung für die Freiheit.