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Liberalismus
Der Liberalismus am Rhein

Von der Wiege über die Diaspora zur neuen Hochburg
Festvortrag Nonn

Folgt man dem abendlichen Festvortrag von Christoph Nonn (Universität Düsseldorf), so können die Anfänge des Liberalismus im Rheinland tatsächlich ins Jahr 1817 gelegt werden. Damals übergaben rheinische Städte ihrem neuen preußischen Landesherren einen Forderungskatalog, der zentrale Punkte des (früh-)liberalen Programms enthielt. Somit wurde die Überschrift des diesjährigen Kolloquiums zur Liberalismus-Forschung  - „Zwei Jahrhunderte Liberalismus im Rheinland“ – nochmals unterstrichen, zu dem das Archiv des Liberalismus und der Landschaftsverband Rheinland am 14. und 15. November nach Bonn eingeladen hatten.

In insgesamt 15 Vorträgen wurde sich dem Thema aus sehr unterschiedlicher Perspektive genähert. Die zahlreichen Fachleute – die meisten kamen ihrerseits von rheinischen Universitäten oder dem Institut für rheinische Landeskunde und Regionalgeschichte, aber auch aus Berlin und natürlich vom Archiv des Liberalismus - zeichneten ein sehr plastisches und facettenreiches Bild von der überaus wechselhaften Geschichte des Liberalismus auf dem Gebiet der preußischen Rheinprovinz zwischen Kleve und Saarbrücken und des „rheinischen“ Einflusses auf die liberale Bewegung in Deutschland.

Wie Friedrich Naumann zu Recht einmal feststellte, stand die Wiege des deutschen Liberalismus auch und gerade am Rhein:

Im Vormärz kamen dessen wichtigste Protagonisten aus dem rheinischen Wirtschaftsbürgertum; diese führten sogar 1848 die Spitze der Berliner Regierung, an, konnten sich dort aber nur kurz halten, weil ihn die Verhältnisse in den östlichen Teilen Preußens unverständlich waren.

Auch in der Zeit des preußischen Verfassungskonflikts bildete die Rheinprovinz eine liberale Hochburg, die allerdings im späten 19. Jahrhundert immer mehr geschliffen wurde. Ursache war die Entfremdung zwischen Liberalismus und Katholizismus, die im sog. „Kulturkampf“ kulminierte. Liberale Politikangebote fanden bei der mehrheitlich katholischen Bevölkerung wenig Anklang, nur in gemischt-konfessionellen Gebieten konnten die Nationalliberalen einige Reichstagswahlkreise behaupten.

Anders war es in den Kommunen, wo die Liberalen vom ungleichen Wahlrecht profitierten und so lange Zeit u. a. die Oberbürgermeister von Duisburg, Trier oder Barmen/Elberfeld stellten. Interessanter ging um 1900 die (national-)liberale Erneuerungsbewegung des „Jungliberalismus“ vom Rheinland aus.

Der Linksliberalismus tat sich noch schwerer im Rheinland, das für ihn sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik eine Diaspora darstellte. Dennoch stammten wichtige Repräsentanten des Weimarer Linksliberalismus wie Bernard Falk oder Anton Erkelenz vom Rhein. Angesichts der schwachen Stellung des Liberalismus dort war auch nach 1933 eine Widerstandstätigkeit auf liberaler Grundlage im Rheinland noch weniger ausgeprägt als sonst wo in Deutschland.

Nach 1945 schien zunächst so, als ob sich diese Entwicklung unverändert fortsetzten sollte: Im ersten FDP-Bundesvorstand saß ein einziger „rheinischer“ Liberaler und bei Bundestagswahlen schnitt der Landesverband Nordrhein-Westfalen weit unterdurchschnittlich ab. Auch das Experiment der „Nationalen Sammlung“, das gerade von Düsseldorfer  aus verfolgt wurde, war nicht dazu angetan, liberale Werte am Rhein am Rhein zu verbreiten.

Doch wurde der nordrhein-westfälische Landesverband ab 1956 zu einer Art innerliberaler Avantgarde, zwei Mal gingen von ihm wichtige Impulse für die Koalitionsbildung aus. Sein gewachsenes Gewicht, wozu auch die Bestimmung des rheinischen Bonns zum langjährigen Sitz von Regierung und Parlament beitrug, machte sich bald auch in der FDP-Führung bemerkbar: Die Hälfte der liberalen Bundesvorsitzenden bisher war/ist im Rheinland gebürtig oder wirkte dort über längere Zeit, was jemanden nach Definition des Landschaftsverbandes auch zum „Rheinländer“ macht.

Die politische Verlagerung nach Berlin hat daran nichts geändert, im Gegenteil: Im Zuge der Wiedervereinigung zeigten die nordrhein-westfälischen Liberalen immer bessere Ergebnisse. 2017 standen sie sogar unter allen Landesverbänden an der Spitze. Dass dies vor allem an den „rheinischen“ Liberalen lag, zeigte die jüngste Hitliste liberaler Wahlergebnisse: Unter den zehn besten Wahlkreisergebnissen tauchen sieben rheinischen Wahlkreise auf, die allerbesten vier lagen allesamt am Rhein.

Man kann also darüber streiten, ob der deutsche Liberalismus immer „rheinisch“ war, wie Guido Westerwelle einmal meinte. Selten war er allerdings rheinischer wie in der Gegenwart.

Alle Beiträge des Kolloquiums sollen Ende 2018 im „Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung“ publiziert werden. Sie werden ergänzt durch Ausführungen des Bonner Historikers Manuel Limbach, dem am Rande des Kolloquiums für seine Dissertation „Bürger gegen Hitler. Vorgeschichte, Aufbau und Wirken des bayerischen ‚Sperr-Kreises‘“ der Wolf-Erich-Kellner-Gedächtnispreis 2017 verliehen wurde.