Parlamentswahl Portugal
Give me Five! – Neuwahlen kommen portugiesischen Liberalen gelegen
Portugal wählt am kommenden Sonntag frühzeitig ein neues Parlament. Die Neuwahlen waren notwendig geworden, nachdem die seit 2015 regierenden Sozialisten („Partido Socialista“, PS) den Haushalt für 2022 nicht durch das Parlament bringen konnten. Die linken Partner der Minderheitsregierung – Grüne, linker Block und Kommunisten – hatten höhere Staatsausgaben als im Haushaltsentwurf vorgesehen angemahnt, nachdem sie in den Jahren zuvor die Sozialistische Partei in ihrem fiskalpolitisch verantwortlichen Kurs unterstützt hatten. Dieser hatte in Europa für große Anerkennung gesorgt, doch die Probleme für die Identität der Partner und der sozialpolitische Druck waren am Ende zu groß, um den Kurs weiterverfolgen zu können.
Favorit waren bis vor Kurzem die Sozialisten, die mit Premierminister António Costa antreten, in Umfragen bei 40% lagen und sogar mit der absoluten Mehrheit liebäugelten, aktuell aber auf 34% abgestürzt sind. Tatsächlich ist die Aussicht auf eine absolute Mehrheit offenbar ein Fluch für die PS; nur im Jahr 2005 reichte es hierfür einmal. Nach einer Aufholjagd liegt die konservative „Partido Social Democrata“ (PSD) – nicht zu verwechseln mit den Sozialisten der PS! – mit nun ebenfalls bei 34-35% und könnte mit ihrem Spitzenkandidaten Rui Rio überraschend die Wahlen gewinnen.
Die „Sozialdemokraten“ deckten neben dem klassisch-konservativen Milieu auch das liberal-konservative Spektrum bislang nahezu exklusiv ab und konnten den Sozialisten bei den Kommunalwahlen im September 2021 prestigeträchtig die Hauptstadt Lissabon entreißen. Spannend und womöglich wahlentscheidend wird die Wahlbeteiligung werden, da die Wahlen mitten in die 6. Covid-Welle in Portugal fallen.
Liberaler Aufbruch in Portugal
Die liberale Formation „Iniciativa Liberal“, gegründet vor gut vier Jahren und erst zum zweiten Mal bei nationalen Parlamentswahlen am Start, könnte die Anzahl ihrer Abgeordneten von eins auf fünf verfünffachen. Derzeit steht die Partei in Umfragen bei etwa 4-5%, eine 5%-Hürde gibt es in Portugal nicht.
Mit einer auf Wirtschaftsthemen fokussierten Kampagne werben die Liberalen vor allem um Wähler der konservativen „Sozialdemokraten“ von der PSD. Die Wählerschaft der Liberalen konzentriert sich insbesondere in den beiden Metropolen Lissabon und Porto, wo Startups und Tourismus florieren – Portugal liegt bei diesen Themen seit geraumer Zeit im Trend. Unternehmer und neue Mittelschicht wünschen sich hier oftmals einen schlankeren Staat, neue Köpfe in der Politik, mehr wirtschaftliche Dynamik und Entbürokratisierung. Gesellschaftspolitisch können sich die Portugiesen dagegen bereits überaus glücklich schätzen – das Land am Atlantik ist auf diesem Themengebiet eines der fortschrittlichsten Länder der Welt.
Korruption zentrales Thema
Ein überragendes Thema ist allerdings die Korruption, durch die das Vertrauen der Bürger in den Staat, darunter insbesondere die Justiz, arg strapaziert wird. Dem Justizapparat wird vorgeworfen, Korruptionsverfahren zu verschleppen, wodurch es nicht zuletzt in prominenten Fällen weder zu Anklagen noch zu Urteilen kam. Politik, Justiz, Wirtschaft oder Profifußball – kaum ein Bereich, in dem es in den vergangenen Jahren nicht auf höchster Ebene zu aufsehenerregenden Korruptionsskandalen kam. Als letzte legislative Initiative vor den Neuwahlen wurde noch rasch ein Gesetzespaket zur Korruptionsbekämpfung verabschiedet. Experten sind jedoch einig: Es mangelt weniger an Gesetzen als an effizient arbeitenden Justiz- und Strafverfolgungsbehörden.
Ende des portugiesischen Traums
Auch deshalb ist es nun endgültig vorbei mit alten Gewissheiten. Portugal schien lange Zeit immun gegen den europaweiten Trend zu neuen Rechtsaußen-Parteien, doch nun gibt es „Chega“ („Es reicht!“) im Land am Tejo. Erst 2019 gegründet, könnte die neurechte Partei auf bis zu 7% kommen. Ausländer, insbesondere Muslime, Frauenrechtlerinnen, „die korrupten Politiker“ – die Opfer der Hetze ihres Vorsitzenden André Venturas sind so vorhersehbar wie bekannt aus den Kampagnen der extremen Rechten in vielen anderen Ländern Europas. Der ehemalige TV-Moderator und PSD-Politiker spielt die Karte der Empörung über die „Verhältnisse“ perfekt aus und erreicht damit in Portugal auch ehemalige Wähler linker Parteien, ein Befund der ebenso andernorts in Europa feststellbar ist. Chega ist für viele Portugiesen ein Schock, passt doch die alarmistische Tonalität und aggressive Ablehnung gesellschaftlicher Errungenschaften so gar nicht zum Selbstverständnis des unaufgeregten Volkes im Südwesten Europas, das durch die Immigration aus den ehemaligen Kolonien in Afrika und Südamerika Vielfalt doch eigentlich komplikationslos im Alltag vorlebt.
Unklarer Wahlausgang
Auch die Regierungsbildung wird durch Chega nicht einfacher, eine Schlüsselrolle kommt dabei nicht zuletzt der Iniciativa Liberal zu. Sie lehnt eine Unterstützung der Sozialisten ebenso ab wie jedwede Beteiligung von Chega an einem möglichen Mitte-Rechts-Bündnis, das ohne die Rechtaußen jedoch keinesfalls auf eine Mehrheit käme. Es droht eine „Spanisierung“ der portugiesischen Politik, in der – trotz erheblich größerer Kompromissbereitschaft im politischen Tagesgeschäft als beim großen Nachbarn – zwei Blöcke ähnlicher Größe nur mit Mühe zu gesellschaftlich breit akzeptierten Mehrheiten finden und der rechte Rand eine Schlüsselposition einnehmen könnte.
David Henneberger ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Spanien, Portugal & Italien mit Sitz in Madrid.