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Wirtschaft
Steuersenkung statt Schuldentilgung

Klare volkswirtschaftliche Antwort auf eine wichtige politische Frage
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Keine gesellschaftliche Gruppe in Deutschland hat auch nur annähernd so stark von der Erholung seit der Weltfinanzkrise profitiert wie die öffentliche Hand.

© iStock / Getty Images Plus / Getty Images / gopixa

Seit einigen Jahren fordern die Freien Demokraten in Deutschland etwas absolut Vernünftiges: eine Politik, die rechnen kann. In Zeiten knapper Kassen heißt dies vor allem, dass der Staat nicht über seine Verhältnisse leben darf. Nach schlechten Erfahrungen wurde deshalb in Deutschland im Jahr 2009 zu Recht die Schuldenbremse in die Verfassung eingebaut. Sie war erfolgreich: Die Schuldenquote geht zurück, die öffentlichen Haushalte weisen inzwischen Überschüsse auf, die Bonität des deutschen Staates ist hervorragend. Die gute Lage wirft allerdings eine neue Frage auf: Soll der Staat Haushaltsüberschüsse für Schuldentilgung, Steuersenkungen oder zusätzliche Investitionen verwenden? In der Presse, so jüngst von Daniel Eckert in DIE WELT, wird diese Frage zunehmend diskutiert. Unser stellv. Vorstandsvorsitzender Professor Paqué gibt als Volkswirt eine klare Antwort.

„Embarrassment of Riches“: So bezeichnet ein klangvoller englischer Begriff jene merkwürdige Situation, in der eine günstige Kassenlage zu schwierigen Entscheidungen führt. Der Begriff ist zwar nicht gut ins Deutsche zu übersetzen, aber er charakterisiert sehr treffend die derzeitige finanzpolitische Entscheidungslage in Deutschland.

Polemisch formuliert: Der Staat schwimmt im Geld. Die Steuern sprudeln wie niemals zuvor. Ein paar Eckdaten: 2010 lagen die gesamten Steuereinnahmen bei 529 Mrd. Euro, sieben Jahre später bei 735 Mrd. Euro – das ist eine Steigerung um fast 39 Prozent, d. h. um 4,8 Prozent pro Jahr. Keine gesellschaftliche Gruppe in Deutschland hat auch nur annähernd so stark von der Erholung seit der Weltfinanzkrise profitiert wie die öffentliche Hand. Die Staatsschuldenquote, also die Relation zwischen Staatsschuld und Bruttoinlandsprodukt (BIP), ging in dieser Zeit drastisch zurück: von über 80 Prozent auf deutlich unter 70 Prozent. Und diese Trends werden sich fortsetzen: Die Steuerschätzung erwartet bei moderater Wachstumsprognose bis 2022 Einnahmen von 906 Mrd. Euro, ab 2019 wird die Schuldenquote unter dem Richtwert des Maastricht-Vertrags von 60 Prozent liegen.

Die öffentlichen Haushalte sind im Wesentlichen ausgeglichen, Deutschland als Ganzes weist sogar nach aktuellen Schätzungen einen Haushaltsüberschuss von über 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus.

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Karl Heinz-Paqué

Folge des Geldsegens: Die öffentlichen Haushalte sind im Wesentlichen ausgeglichen, Deutschland als Ganzes weist sogar nach aktuellen Schätzungen einen Haushaltsüberschuss von über 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Zunehmend stellt sich die Frage, wie dieser Überschuss verwendet werden soll – in Bund, Ländern und Gemeinden. Die Frage lautet: Schulden tilgen, Steuern senken oder Investitionen erhöhen? Ausnahmsweise ist dies eine Frage, die volkswirtschaftlich eindeutig beantwortet werden kann. Der Grund: Deutschlands Bonität ist stabil exzellent, die Umlaufrendite zehnjähriger Anlagen liegt bei 0,4 Prozent. Eine Schuldentilgung wäre deshalb nur dann sinnvoll, wenn es wirklich keine Verwendung staatlicher Mittel gäbe, die für die Gesellschaft mit einer „sozialen Rendite“ von nominal mindestens 0,4 Prozent zu veranschlagen wäre (bei 2 Prozent Inflation!). Es wäre eine Gesellschaft praktisch ohne rentablen Investitionsbedarf – privat und staatlich.

Davon kann offensichtlich nicht die Rede sein. Am deutlichsten ist dies mit Blick auf private Unternehmen und Bürger, die Steuern zahlen – und dies nicht zu knapp: 2010 betrug die Steuerquote, also der Anteil der Steuereinnahmen am BIP, 21,4 Prozent, 2017 lag sie bei 23,5 Prozent – mit steigender Tendenz. Dies ist die Kehrseite des Geldregens für den Staat. Eine Entlastung ist also schon deshalb nötig, um eine faire Balance zwischen privater und staatlicher Sphäre wiederherzustellen. Es spricht aber auch die volkswirtschaftliche Logik dafür: Unternehmen und Bürger brauchen die Mittel, um zu investieren – die Unternehmen in zukunftsweisende Forschung, moderne Technologie und neue Produkte, die Bürger in Bildung und Altersvorsorge. Erlaubt man dies, wird sogar der Staat auf lange Sicht entlastet, denn der Bund subventioniert die Rentenkassen schon heute mit rund 100 Mrd. Euro; die Länder und Kommunen wiederum stecken viel Geld in Bildung.

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Kurzum: Es ist zu erwarten, dass sich die Investitionen der Privaten auszahlen. Ähnliches gilt für öffentliche Investitionen in Kommunikationsnetze, Verkehrsinfrastruktur und auch die Bundeswehr, wenn man deren zunehmende außenpolitische Bedeutung in den Blick nimmt. Die langfristige Wachstumswirkung sollte bei Steuersenkungen und auch bei sinnvollen Investitionen des Staates jedenfalls stark genug sein, um die Schuldenquote bei ausgeglichenem Haushalt kontinuierlich zu senken – auch ohne Schuldentilgung. Mehr als das: Wenn Schuldentilgung Wachstum kostet, kann sie durchaus die Senkung der Schuldenquote verlangsamen – der Nenner der Schuldenquote (das BIP) wächst dann deutlich langsamer als der Zähler schrumpft, und es ist nichts gewonnen.

Ohnehin sorgt ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum von selbst, also ohne Schuldentilgung, für eine zügige Abnahme der Schuldenquote, wenn nur der Haushaltsausgleich gewährleistet bleibt. Ein Zahlenbeispiel: Eine Schuldenquote von 60 Prozent sinkt bei 2 Prozent BIP-Wachstum und 2 Prozent Inflation in zehn Jahren auf gut 40 Prozent. Die Wirtschaft wächst dann einfach – Schritt für Schritt – aus ihrer Schuldenlast heraus. Und dies ohne krampfhafte Tilgungsversuche. So sieht nachhaltige bürgerfreundliche Politik aus.