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Eine Frau wirft in einem Wahllokal im Bezirk Lichtenberg ihren Wahlzettel für die Europawahl ein
© picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Die Europawahlen 2024 standen im Zeichen hoher Wahlbeteiligung und intensiver politischer Debatten. Trotz des Aufstiegs extrem rechter und linker Parteien konnte die politische Mitte ihre Position behaupten. Dies sichert die Fortsetzung der europäischen Integration, den Schutz demokratischer Werte und eine verstärkte Verteidigungszusammenarbeit. Ein klares Signal an die Welt: Die EU bleibt eine stabile und einheitliche Kraft.

Diese Wahlen haben eine erhöhte Aufmerksamkeit in der EU-Bevölkerung erfahren, was sich an der höheren Wahlbeteiligung in etlichen Ländern bei diesen Europawahlen zeigt. Erdbebenartige Ereignisse in den letzten Jahren haben zweifellos dazu beigetragen, wie der tatsächliche Austritt Großbritanniens aus der EU, europaweite Klimaproteste, die traumatische COVID-Krise, der Krieg in der Ukraine, der Krieg vor Europas Haustür im Nahen Osten und die sich abzeichnende Möglichkeit einer Wiederwahl von Donald Trump in den USA.

Gleichzeitig haben wir den Aufstieg der extremen Rechten in praktisch allen EU-Mitgliedsstaaten erlebt, in einigen Ländern auch der extremen Linken, und hier und da sogar deren Beteiligung an der Regierung sowie in Ungarn, Finnland, Slowakei, Italien, Kroatien und Tschechien, halbwegs in Schweden, zukünftig in die Niederlande und wir müssen abwarten was passiert in Belgien und Frankreich. Wirklich vereint ist extrem Rechts auf Europäischer Ebene aber keineswegs - nicht so überraschend, denn es geht um Nationalisten, die internationale Zusammenarbeit nicht so richtig in ihrer DNA haben.

Das gestiegene Bewusstsein, dass unser „European Way of Life“ auf dem Spiel steht, also der Schutz individueller Freiheiten, eine offene und tolerante Gesellschaft, der Rechtsstaat, die soziale Marktwirtschaft, die ökologische Nachhaltigkeit, der Schutz von Minderheiten und eine verantwortungsvolle und verlässliche Präsenz auf der Weltbühne, hat diesen Wahlkampf folgenreicher gemacht als je zuvor. Es gibt auch die Erkenntnis, dass die Gefahr nicht nur von außen, sondern auch von innen kommt, mit einigen Regierungen wie in Ungarn, die den Wert der freiheitlich-demokratischen Grundordnung offen in Frage stellen, und in vielen Ländern ein Erstarken von Parteien, die diese Werte ebenfalls in Frage stellen und versuchen, unsere tolerante und offene Gesellschaft zu untergraben.

Es mag unhöflich sein, dies so auszudrücken, aber im Vergleich dazu waren frühere Europawahlen eher ruhige Angelegenheiten. Es gab damals zwar politische Differenzen zwischen den verschiedenen Parteien und Kandidaten, aber im Großen und Ganzen herrschte weitgehende Einigkeit darüber, wohin sich die Europäische Union entwickeln sollte, wobei Großbritannien vielleicht eine Ausnahme bildete. Dies führte zu Stabilität und Vorhersehbarkeit. Gleichzeitig bedeutete dies für die Wähler, dass es keine heißen europäischen Debatten gab, die diese Wahlen spannend machten, was ein Grund für die niedrige Wahlbeteiligung auf dem gesamten Kontinent gewesen sein könnte.

Auf einen Plakat wird zum Wahlgang für Europawahl geworben.
© picture alliance/dpa | Andreas Arnold

Dies hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert.

Ein wichtiges Element war die Erkenntnis, dass sich unser Klima rasch zum Schlechteren verändert und dass strenge Maßnahmen ergriffen werden müssen. Vor allem bei jungen Menschen war dies ein mobilisierender Faktor, um politisch bewusst und aktiv zu werden. Ihr Druck führte zu einer Reihe politischer Initiativen und auf europäischer Ebene zu einem „Green Deal“, der weitreichende Maßnahmen zur Begrenzung von Emissionen in die Atmosphäre, z. B. durch fossile Brennstoffe und Verschmutzung durch Bauarbeiten und Landwirtschaft, fördert. Der „Green Deal“ ist nicht ohne Widerstand, was bei den jüngsten Protesten der Landwirte besonders deutlich wurde.

Noch größere Auswirkungen hatte der illegale Einmarsch Russlands in der Ukraine. Dies führte nicht nur zu einem bis dahin unbekannten und für viele überraschenden Maß an europäischer Einigkeit, sondern machte den EU-Bürgern auch bewusst, dass ihr komfortables Leben nicht automatisch garantiert ist und Anstrengungen erfordert, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten nicht gesehen wurden. In jüngster Zeit hat die Entdeckung, dass sowohl Russland als auch China die demokratischen Entscheidungsprozesse in den EU-Mitgliedstaaten und in den europäischen Institutionen einschließlich des Europäischen Parlaments mit sowohl fairen als unlauteren Mitteln aktiv beeinflussen und untergraben, diese Debatte noch schärfer gemacht.

Jeder weiß, dass diese Europawahlen die politische Richtung der Union beeinflussen werden. Ein starker Anstieg der Unterstützung für extremistische Parteien, wie wir sie sowohl auf der Linken als auch vor allem auf der Rechten sehen, würde die zentrifugalen Kräfte stärken, die die EU-Mitgliedstaaten auseinander treiben könnten.

In den vergangenen fünf Jahren hat eine Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen ein gewisses Maß an Stabilität geschaffen, gelegentlich unterstützt von den Grünen. Die große Frage bei diesen Wahlen lautet: Hält die Mitte, oder bekommen die Extremen einen Fuß in die Tür.

Obwohl die extreme Rechte in einigen Ländern wie Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich ein gutes Ergebnis erzielte, waren ihre Zugewinne dennoch insgesamt geringer als vorhergesagt. Mit anderen Worten, dies war kein guter Abend für Putin und Xi, denn trotz ihrer Bemühungen hat die politische Mitte (EVP, S&D und Renew) eine pro-europäische Mehrheit gehalten und wird sie auch weiterhin bilden. Sie brauchen nicht einmal die Stimmen der Grünen, die übrigens einen schlechten Wahlabend hatten.

Die politischen Folgen dieses Ergebnisses sind unmittelbar. Es bedeutet, dass die Unterstützung für die Ukraine in ihrem und unserem Kampf gegen die illegale russische Invasion fortgesetzt wird mit einer verstärkten europäischen Verteidigungszusammenarbeit, es bedeutet, dass es eine offene Haltung gegenüber einer weiteren Erweiterung der Union um Länder wie den Westbalkan, die Ukraine, Georgien und Moldawien geben wird, und es bedeutet, dass die Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit und die Wahrung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Bürgerrechte weiterhin an erster Stelle stehen wird. Das ist kein kleines Bier. Jetzt ist es notwendig, dass diese pro-europäische Mehrheit ihre Aufgaben so schnell wie möglich in Ordnung bringt, insbesondere bei der Bildung der neuen Europäischen Kommission, um ein klares Signal sowohl an die EU-Bürger als auch an die Außenwelt zu geben, dass sie es ernst meint.

In einer Situation, in der der Europäische Rat (die Regierungen) unbeständiger wird, was durch die nationalen Wahlergebnisse in Belgien und kürzlich in den Niederlanden sowie die bevorstehenden Wahlen in Frankreich mit ungewissem Ausgang noch deutlicher geworden ist, ist es wichtig, dass das Parlament die Position der Europäischen Kommission stärkt, und es hat die Möglichkeit dazu. Im Rat ist das Risiko einer Rechtsruck wesentlich größer als im Parlament.

Gleichzeitig ist die EVP aus diesen Wahlen als Sieger hervorgegangen, und die Linke wurde geschwächt. Dies kann durchaus Auswirkungen auf zukünftige Gesetzgebungsverfahren haben, insbesondere bei der Umsetzung der Umweltpolitik und die Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der EU.

Für Renew war es ein gemischtes Ergebnis. Der liberale belgische Premierminister Alexander de Croo trat aufgrund des schlechten Ergebnisses der flämischen Liberalen bei den am selben Tag stattfindenden nationalen Wahlen zurück, und das schlechte Ergebnis seiner Partei Renaissance veranlasste den französischen Präsidenten Macron, Neuwahlen auszurufen, die in sechs Wochen stattfinden werden. Auch in Spanien und Ungarn waren die Ergebnisse für die Renew-Parteien schlecht. Insgesamt aber haben die ALDE-Parteien gar nicht so schlecht abgeschnitten und könnten ein ähnlich gutes Ergebnis wie 2014 erzielen. Renew wird die drittgrößte Fraktion und „Königsmacher“ im Europäischen Parlament bleiben.

Alles in allem und aus kühler Distanz betrachtet, sind die möglichen Fortschritte der extremen Rechten und auch der Verlust der Renew-Fraktion auf die Ergebnisse in Frankreich zurückzuführen. Emmanuel Macrons Entscheidung, erneut zur Wahl zu gehen, ist daher nicht nur notwendig, sondern auch sehr mutig und eine einmalige Gelegenheit, den Bluff der französischen Rechten zu testen.

  • In Belgien stand die Europawahl gänzlich im Schatten der zeitgleich stattfindenden Wahl der belgischen Abgeordnetenkammer (nationale Parlamentswahl) und der regionalen Parlamentswahlen der Sprachgemeinschaften (Flandern und Wallonie) sowie der Region Brüssel-Hauptstadt. Den Wahlkampfdiskurs dominierten fast ausschließlich nationale Themen, insbesondere der Zusammenhalt Belgiens als Nationalstaat, Fragen nach der wirtschaftlichen Zukunft Belgiens sowie soziale Fragen.

    Zwei rechte Parteien aus Flandern sind die belgischen Gewinner der Europawahl: die anti-europäische, rechtsextreme und separatistische Vlaams Belang (VB) und die pragmatische rechte Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) halten jeweils ihre bisherigen 3 Sitze im EU-Parlament, sitzen jedoch in unterschiedlichen Fraktionen. Drittstärkste Kraft ist die französischsprachige liberale Partei Mouvement Réformateur (MR), die sich von 2 auf 3 Sitze steigern konnte. Ein ähnliches Kräfteverhältnis zeichnete sich auch im Ergebnis der nationalen Parlamentswahl ab; jedoch hat der Wahlsieger N-VA jegliche Zusammenarbeit mit VB auch auf nationaler Ebene ausgeschlossen.

    Die flämischsprachige liberale Partei Open Vlaamse Liberalen en Democraten (Open VLD) hat 4,3% an Stimmen eingebüßt und sinkt damit auf nur noch einen Sitz im EU-Parlament. Durch den Zuwachs an Stimmen für MR bleibt die Anzahl der Sitze Belgiens in der liberalen Renew Europe-Fraktion im Europäischen Parlament jedoch gleich. Neben dem Verlust für Open VLD haben auch die beiden grünen Parteien Belgiens (Groen, flämischsprachig; Ecolo, französischsprachig) deutlich schlechter abgeschnitten als erwartet. Beide sinken ebenfalls auf nur noch einen Sitz im Europäischen Parlament und versinnbildlichen die sinkende Signifikanz von Klimafragen in der belgischen Politik.

    Die erweiterte Wirkung des Wahlergebnisses (z.B. für Deutschland und andere EU-Mitgliedsstaaten) steht insbesondere im Kontext der allgemeinen Stärkung rechter Kräfte im Europäischen Parlament. Es besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Zunahme rechter Allianzen, des Euroskeptizismus, und des Einbringens nationalistischer Agenden in die europäische Entscheidungsfindung.

  • In Bulgarien brachten die Europawahlen ein Comeback für den langjährigen Ministerpräsidenten Boiko Borisov und seine konservative GERB-Partei mit voraussichtlich 23,5 Prozent. Auf Platz 2 kommt mit derzeit 14,7 Prozent die MRF der türkischen Minderheit, die sich als Regierungspartner der Konservativen anbietet. Knapp dahinter, mit aktuell 14,4 Prozent: das liberale Reformbündnis PP-DB, Partner der FNF – mit deutlichen Stimmenverlusten. Hristo Ivanov, Chef der Reformpartei Da Bulgaria, zog die Konsequenz und trat zurück. Die Reformer von PP räumten ihre Niederlage ein und bereiten sich nun auf eine Oppositionsrolle vor. In Brüssel wird mit einem Eintritt in die Renew-Fraktion gerechnet. Ernüchternd die Wahlbeteiligung: Nach sechs Wahlgängen in drei Jahren raffte sich nur noch weniger als ein Drittel des Wahlvolks zum Urnengang auf.

  • Bei der EU-Wahl in Dänemark wurden überraschend die Volkssozialisten (SF; Greens/EFA) zur größten Partei und erreichten 17,4 % der Stimmen, was ihnen drei Mandate im EU-Parlament einbrachte. Die Sozialdemokraten (S; S&D) erzielten ebenfalls drei Mandate, obwohl sie deutliche Verluste hinnehmen mussten (-5,9 %). Die liberalen Parteien erlebten gemischte Ergebnisse: Die ehemalige Regierungspartei Venstre (V; Renew) verlor stark (-8,8 %), ebenso die kleinere Radikale Venstre (RV; Renew) (-3,0 %). Die neu gegründeten Moderaten (M; Renew) und die Dänemarks Demokraten (DD; fraktionslos), beide von ehemaligen Venstre-Mitgliedern geführt, erzielten auf Anhieb Sitze im Parlament, was die Fragmentierung der politischen Landschaft, besonders bei den liberalen Kräften, weiter verstärkt.

    Unterdessen konnte auch die Liberale Allianz (LA; EVP) Zugewinne verzeichnen und zieht erstmals ins Europaparlament ein. Populistische Parteien wie die Dänische Volkspartei (DF; ID) konnten ihr Mandat halten, verloren jedoch deutlich an Einfluss gegenüber der letzten Wahl.

    Der Wahlkampf war von nationalen Themen dominiert, wobei europäische Fragen wie Klima und Migration ebenfalls eine Rolle spielten. Insgesamt zeigt sich Dänemark weiterhin pro-europäisch, wenn auch das politische System weiter fragmentiert wurde. Die Ergebnisse könnten die dänische Position in der EU stabilisieren.

  • Die Freien Demokraten sind mit der Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann in den Wahlkampf gezogen, die gleichzeitig Spitzenkandidatin der europäischen liberalen Partei ALDE ist. Im Vergleich zum Wahlergebnis 2019 haben die Liberalen um rund 32.000 Stimmen zugelegt. Aufgrund der höheren Wahlbeteiligung (64,78%) sank das prozentuale Ergebnis verglichen mit der letzten Europawahl nur leicht von 5,4% auf 5,2%. Damit verteidigt die FDP ihre 5 Sitze im Europäischen Parlament. Der Vorsitzende der Liberalen Christian Lindner sieht das Ergebnis als „starkes Signal der Stabilisierung, das wir auch politisch nutzen wollen“. Die Liberalen stehen für ein freies, starkes und wehrhaftes Europa und setzen sich für eine solide Finanzpolitik, Technologieoffenheit und Fortschritt ein.

    Die Ampelpartner mussten jeweils herbe Verluste hinnehmen: Die SPD fährt mit 13,9% ein historisch schlechtes Ergebnis bei der Europawahl ein; die Grünen konnten ihr extrem gutes Wahlergebnis von 2019 nicht halten und büßten 8.6 Prozentpunkte ein (11.9%). Die Christdemokraten kamen zusammen mit der CSU insgesamt auf 30% und verbesserten sich damit leicht (+1.1 Prozentpunkte).

    Besorgniserregend ist das gute Abschneiden der rechtspopulistischen AfD: Sie verbesserte ihr Ergebnis deutlich auf 15,9% und ist somit zweitstärkste Kraft – in mehreren ostdeutschen Bundesländern wurde die AfD sogar stärkste Kraft. Die meisten Zugewinne konnte die Partei bei der Wählergruppe der 16 – 24-Jährigen verzeichnen (Anstieg um 11 Prozentpunkte auf 16%). Am linken Rand konnte das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht 6,2% verbuchen. Für die Liberalen ist der Zugewinn an Wählerstimmen für die Parteien an den politischen Rändern Ansporn, bei wichtigen Themen, wie der Stärkung der Wirtschaft, Bedrohungen der Sicherheit und Umgang mit Migration, voranzukommen. Mit Blick auf die Ergebnisse der anderen EU-Staaten kommentierte die FDP-Spitzenkandidatin Strack-Zimmermann, „es gibt eine breite Mitte, die hat die Mehrheit, auch den Rechten und Linken gegenüber. Und diese demokratische Mehrheit muss zusammenstehen gegen radikale Tendenzen“.

  • Die in der Renew-Europe-Fraktion vertretene liberale Reformpartei von Ministerpräsidentin Kaja Kallas hat eine herbe Niederlage zu verdauen. Sie verlor gegenüber den Wahlen vor fünf Jahren rund zehn Prozentpunkte und landete mit mageren 17,9 Prozent lediglich auf Platz drei. Ins Europäische Parlament schickt sie künftig nur noch einen Mandatsträger. Platz eins musste sie der konservativen Partei Isamaa überlassen, die 21,6 Prozent der Stimmen verbuchen konnte und fortan zwei Abgeordnete stellt. Platz zwei ging an die Sozialdemokraten (19,3 Prozent, wie bisher zwei Sitze). Schlechter als die Liberalen schnitten die Konservative Volkspartei (14,9 Prozent, ein Sitz) und die Zentrumspartei (12,4 Prozent, wie bisher ein Sitz), ebenfalls Teil der Renow-Europe-Familie, ab. Die Wahlbeteiligung lag bei 37,7 Prozent.

  • Dem nordeuropäischen Trend folgend, hat die finnische Linke auch überraschend zugunsten der Rechtsextremen gewonnen. Der große Gewinner des Abends war das Linksbündnis, das um sensationelle 10,4 % zulegte und nun mit einem Stimmenanteil von 17,3 % drei Sitze hat. Die Parteivorsitzende Li Andersson, die 37-jährige ehemalige Bildungsministerin, erhielt mit einer Rekordzahl von 247 604 Stimmen so viele Stimmen wie nie zuvor bei den Europawahlen in Finnland. Die größte Partei war jedoch die Nationale Koalitionspartei von Ministerpräsident Petteri Orpo, die rund ein Viertel der Stimmen erhielt und erneut vier Abgeordnete nach Brüssel entsenden darf.

    Beide Parteien wurden für einen Wahlkampf belohnt, der sich auf die Außen- und Sicherheitspolitik und Umweltfragen konzentrierte. Die Nationale Koalitionspartei präsentierte sich als sichere Wahl für die Erstgenannte, die Linksallianz konnte aus ihrer Oppositionsrolle gegen die Umweltpolitik und die Wirtschaftsreformen der Regierung profitieren.

    Der größte Verlierer der Wahlen war die Finnenpartei. Der Stimmenanteil der Rechtspopulisten sank um 6,2 Prozentpunkte auf 7,6 Prozent, womit sie einen ihrer beiden Sitze verloren haben. Die liberalen Parteien Finnlands, die Zentrumspartei und die Schwedische Volkspartei, konnten ihre Wahlergebnisse stabil halten und werden erneut 2 bzw. 1 Abgeordneten nach Brüssel entsenden.

  • In Frankreich sind die Liberalen klare Verlierer dieser Europawahl: Besoin d’Europe („Notwendigkeit für Europa“), die gemeinsame Liste der Mitte-Parteien Renaissance, MODEM, Horizons, Parti Radical und UDI, wird mit 14,6% zweitstärkste Kraft, dicht gefolgt von der sozialdemokratischen Liste Réveiller l’Europe („Wach auf, Europa“) mit 13,8%. Beide ziehen mit jeweils 13 Sitzen ins Europäische Parlament ein. Die Liberalen verlieren 10 Sitze im Vergleich zur letzten Wahl 2019 – ein herber Rückschlag. Klarer Sieger in Frankreich ist mit 31,5% der rechtspopulistische Rassemblement National (RN). Durch den Zugewinn von 12 Sitzen wird die Partei künftig mit 30 Sitzen im Europäischen Parlament vertreten sein.

    Noch am Wahlabend kündigte der französische Präsident Emmanuel Macron die Auflösung der Nationalversammlung und Neuwahlen für den 30. Juni an.

  • Die georgisch-europäischen Beziehungen befinden sich seit der Verabschiedung des „Agentengesetzes“ in Georgien auf einem historischen Tiefpunkt. Olaf Scholz und Emmanuel Macron waren besonders deutliche Kritiker. Freude über Stimmenverluste ihrer Parteien konnte die Regierung Georgiens deshalb nicht verhehlen. Sie stellt die gestärkten Konservativen und Rechten als eine Bestätigung ihres eigenen neo-konservativen Kurses dar, der sich stark an Russland orientiert. Aktuellstes Beispiel ist das Gesetzpaket gegen LGBTQI+.

    Dabei kam die deutlichste Kritik an Georgiens Regierung fraktionsübergreifend immer von Europaparlamentariern. Dass dort die Parteien weiterhin eine Mehrheit haben, die den neuen Kurs Georgiens verurteilen, wird gern übersehen. Die Beziehungen zur EU könnten sogar noch antagonistischer werden, sollte auf Druck der gestärkten rechts-konservativen Parteien der Europäische Rat weniger erweiterungsfreudig werden. Nur würde das den georgischen Machthabern eigentlich entgegenkommen, die kein ehrliches Interesse an einem EU-Beitritt zu haben scheinen. Sie müssten sich dann nämlich europäischen Standards der Rechtsstaatlichkeit unterziehen, was ihre Macht gefährden würde.

  • Wie erwartet, wurde die Néa Dimokratía (EPP) von dem Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis mit 28,3 % stärkste Kraft in Griechenland und sicherte sich damit 7 Sitze im neuen Europäischen Parlament. Sie liegt deutlich vor der Oppositionspartei SYRIZA (The Left), die mit 14,9 % insgesamt 4 Sitze erhält. Den dritten Platz sicherte sich die PASOK (S&D) mit 12,8 %. Deutliche Zugewinne gab es für die rechtspopulistische Partei Elliniki Lisi („Hellenische Lösung“, ECR) mit 9,3 % und die Kommunistische Partei (NI) mit 9,25 % – beide Parteien erhalten jeweils 2 Sitze im neuen Parlament.

    Griechenland verfügt über keine etablierte liberale Partei in der Tradition des Wirtschaftsliberalismus und des sozialen Fortschritts. Dies lässt sich teilweise auf die Repräsentation durch einen liberalen Flügel in der konservativen Regierung zurückführen. 2024 gründete Andreas Loverdos die politisch liberale, modernisierende und reformierende Partei der Demokraten (Dimokrátes), mit Bekenntnis zu Renew Europe. Die Partei erhielt 1,45 % der Stimmen und damit keinen Sitz im neuen Parlament.

    Die Europawahlen in Griechenland drehten sich hauptsächlich um nationale Anliegen wie die anhaltende Inflation, das Prespa-Abkommen und Rechtsstaatsdefizite im Regierungshandeln. Trotz einer sich verstärkenden Polarisierung ist das Lager der pro-europäischen Parteien in den vergangenen Jahren insgesamt gewachsen. Griechenland profitiert als kleines Land durch die Mitgliedschaft in der EU, zum Beispiel in der Agrarpolitik und bei der Verteilung von Fördergeldern.

  • Durch das komplexe Auszählungssystem in Irland liegen auch drei Tage nach Beginn der Zählung keine vollständigen Ergebnisse vor. Lediglich Sean Kelly, der bereits im EU-Parlament saß und zur christdemokratischen Fine Gael gehört, konnte sich im ersten Zählungsvorgang seinen Sitz im EU-Parlament sichern. Damit ist einer der 14 Sitze von Irland besetzt.

    Aktuell wird davon ausgegangen, dass die liberale Fianna Fáil (Renew Europe) und Fine Gael (EVP) die Gewinner der EU Wahlen und der gleichzeitig stattfindenden lokalen Wahlen sein werden. Sie könnten voraussichtlich jeweils mit bis zu 4 Sitzen im EU-Parlament vertreten sein. Zu den Verlierern gehören die Green Party (Greens/EFA) und Sinn Féin (The Left). Beide könnten einen Sitz verlieren, was für die Green Party bedeuten würde, dass sie nicht länger im EU-Parlament vertreten sein werden. Es ist noch nicht abzusehen, ob polarisierende Abgeordnete wie Mick Wallace, von Independents 4 Change (The Left) wieder in das EU-Parlament einziehen werden, auch seine Parteikollegin Clare Daly wird voraussichtlich ihren Sitz im EU-Parlament verlieren.

    Ein Rechtsruck zeichnet sich in Irland nicht ab, hier wurden erst nach dem Brexit die ersten rechten und extrem rechten Parteien gegründet.

    Für die im kommenden Frühjahr anstehende Parlamentswahl in Irland bedeutet das, dass die aktuelle Koalition aus Fianna Fáil, Fine Gael und Green Party voraussichtlich nicht weiter bestehen wird. Zudem wird davon ausgegangen, dass Sinn Féin auch hier, nach vier sehr erfolgreichen Jahren, Stimmen einbüßen wird.

  • Die große Gewinnerin der Wahlen in Italien sind Giorgia Meloni und ihre Partei Fratelli d´Italia. Sie kommen auf 28,8% der Stimmen; ein Plus von noch einmal gut drei Prozentpunkten gegenüber den nationalen Wahlen im September 2022. Auf dem respektablen zweiten Platz landet die sozialdemokratische Partito Democratico, die mit 24,1% 5 Sitze hinzugewinnt.

    Hofiert nicht zuletzt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen demonstriert Meloni, dass sie nicht nur in Italien die Zügel in der Hand hält, sondern künftig auch in Europa eine noch machtvollere Position innehaben will. Sie strebt eine enge Kooperation mit Marine Le Pen an, die große Gewinnerin der EU-Wahlen in Frankreich. Hier zeichnet sich ein weiblich-nationalkonservatives Powerbündnis ab, das Europa Stück für Stück konservativer, wenn nicht gar dezentraler machen wird. Meloni hat in den vergangenen Jahren jedoch auch gezeigt, dass sie die meisten EU-Beschlüsse mitträgt und international durchaus eine verlässliche Partnerin sein kann.

    Bitter ist, dass sich die beiden liberalen Bündnisse, u.a. mit den Parteien Piu Europa, Azione und Italia Viva vor den Wahlen nicht zu einer liberalen Liste zusammenraufen konnten und aufgrund einer 4%-Hürde deshalb keine Abgeordneten nach Brüssel entsenden werden. Dabei sind es weniger inhaltliche Differenzen als persönliche Animositäten zwischen den Parteiführern, die zu diesem schwer zu ertragenden Unvermögen geführt haben. Gemeinsam hätte man mit der Summe der Einzelergebnisse vermutlich 6-7 Sitze im neuen Europaparlament erreichen können, die der liberalen Fraktion nun schmerzlich fehlen.

    Eines der zentralen Themen im Wahlkampf war – wieder einmal – Migration. Meloni nimmt für sich in Anspruch, federführend für den schärferen Migrationskurs der EU verantwortlich zu sein. Das sollte z.T. wohl auch den starken Anstieg der ankommenden Migranten kaschieren, den Italien trotz Melonis Rhetorik seit ihrer Amtsübernahme zu verzeichnen hatte.

  • Mit einer Wahlbeteiligung von 21,3 Prozent dürfte Kroatien auch bei dieser Europawahl einen der hintersten Plätze belegen. Obwohl die noch junge Republik seit ihrem EU-Beitritt im Jahr 2013 einen beispiellosen Zuwachs an Wohlstand erfuhr, kümmert „Europa“ kaum jemanden im 3,8 Millionen Einwohner zählenden Land – warum auch, die EU-Fördermittel fließen ja auch so. Nach einer Parlamentswahl im April, aus der die dauerregierende national-konservative „Kroatisch-Demokratische Union“ (HDZ) als Gewinnerin hervorging, hatten noch weniger Menschen als zuvor Lust, ihre Stimme zu nutzen.

    Das Europawahlergebnis spiegelt das der nationalen Parlamentswahl fast eins zu eins wider: Die HDZ holt 34,6 Prozent (Parlamentswahl: 34,4%), die sozialdemokratische SDP 25,9 Prozent (Parl.: 25,4%). Damit entsendet die national-konservative HDZ sechs der zwölf kroatischen Mitglieder des Europäischen Parlaments, die SDP deren vier. Die fragmentierten Liberalen, von denen sich viele Parteien in einer gemeinsamen Liste zusammengeschlossen hatten, hatten Pech: während die grüne „Možemo“-Bewegung mit 5,9 Prozent noch einen Sitz im Europaparlament abgriff, ging die liberale Liste mit nur 5,6 Prozent leer aus.

  • Achtungserfolg für Lettlands Liberale: Die Partei Latvijas attīstībai (Lettlands Entwicklung) erzielte 9,3 Prozent, ein Ergebnis, das für den dritten Platz und einen Sitz im EP reicht. 2019 war die Partei noch im ein Jahr zuvor gegründeten Dreiparteienbündis Attīstībai/Par! (Entwicklung/Dafür) angetreten; die Allianz hatte ebenfalls einen Sitz in Brüssel bzw. Straßburg gewonnen. Lettland ist dort mit insgesamt neun Abgeordneten vertreten. Zwei Sitze gehen nach den Wahlen am Sonntag an die liberal-konservative Einigkeitspartei (25,1 Prozent), zwei weitere an die rechtspolitische „Nationale Vereinigung `Alles für Lettland`“ (22,1 Prozent). Jeweils einen Sitz erhalten die rechtsgerichtete Partei Lettland zuerst (Latvija pirmajā vietā, 6,2 Prozent), die sozialdemokratische Partei Harmonie (Saskaņa, 7,1 Prozent), die gemäßig linke, ökologische Partei Progressive (Progresīvie, 7,4) sowie die zentristische, unter anderem die Grüne Partei beheimatende Allianz Vereinigte Liste (Apvienotais saraksts, 8,2 Prozent). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,82 Prozent.

  • In Litauen schicken gleich zwei liberale Parteien Abgeordnete nach Brüssel und Straßburg. Die 2019 gegründete und erstmals bei einer Europawahl antretende Freiheitspartei erhielt aus dem Stand 7,9 Prozent. Die traditionsreichere „Liberale Bewegung der Republik Litauen“ kam auf 5,3 Prozent, gerade noch genug für das zweite liberale EP-Mandat. Wahlsieger sind die Konservativen. Sie erzielten 20,9 Prozent (zwei Sitze) gefolgt von den Sozialdemokraten (17,6 Prozent, zwei Sitze). Der „Bund der Bauern und Grünen Litauens“ landete mit neun Prozent auf dem dritten Platz. Er erhält schon nur noch einen Sitz im EP. Es folgte die Freiheitspartei und die „Wahlaktion der Polen in Litauen“ (5,9 Prozent, ein Sitz), eine Partei, die sich, wie der Name bereits andeutet, als Interessensvertretung der polnischen Minderheit im Land versteht.

  • Das Wahlergebnis in Luxemburg ähnelt stark dem der Europawahl 2019: mit 22,9% ist die Christlich Soziale Volkspartei (CSV) von Regierungschef Luc Frieden erneut stärkste Kraft und zieht mit zwei von insgesamt sechs luxemburgischen Abgeordneten ins Europäische Parlament ein. Zweitstärkste Kraft ist erneut die sozialdemokratische Lëtzebuerger Sozialistesch Arbechterpartei (LSAP), die mit einem Sitz einziehen.

    Die liberale Demokratesch Partei (DP) wird drittstärkste Kraft und zieht mit einem Abgeordneten ins Europäische Parlament ein. Ein Rückschlag für die politische Mitte: die Partei Fokus, die in der letzten Legislaturperiode ebenfalls mit einem Sitz in der Renew Fraktion vertreten war, konnte nicht genug Stimmen sammeln. Stattdessen konnte sich die rechtspopulistische Partei Alternativ Demokratesch Reformpartei (ADR) mit 11,8% durchsetzen und zieht nun erstmals mit einem Sitz ins Europäische Parlament ein. Damit spiegelt sich auch in Luxemburg der europaweite Trend nach rechts wider. Die grüne Partei Déi Gréng erhielt ebenfalls 11,8% und gewinnt erneut einen Sitz im Parlament.

  • Als kleinstes EU-Land wählte Malta nur sechs Mitglieder des Europäischen Parlaments (EP). Dennoch verzeichnete das Land eine der höchsten Wahlbeteiligungen (73%). Zu den wichtigsten Wahlkampfthemen Themen gehörten neben wirtschaftspolitischen Fragen, Migration und die Rolle Maltas in der EU. Die politische Landschaft Maltas wird von zwei großen Parteien beherrscht: die Mitte-Links Partit Laburista (PL), die der S&D-Fraktion im EP angehört, und die Mitte-Rechts Partit Nazzjonalista (PN), die zur EVP-Fraktion gehört. Beide Parteien konkurrieren um die entscheidenden Sitze.

    Die Abstimmungen konzentrierten sich auf den amtierenden Premierminister Robert Abela (PL) sowie auf die EP-Präsidentin Roberta Metsola (PN). PN erhielt 42,02 % und stieg so von zwei auf drei Sitze. Metsola gewann dabei 80 % der Stimmen ihrer Partei, ein Drittel aller abgegebenen Stimmen und schrieb damit Wahlgeschichte. PL hingegen verlor mit 45,26 % ihren vierten Sitz, so dass beide Parteien nun jeweils drei Sitze haben. Die Unterstützung für PL in der Bevölkerung ist zum ersten Mal seit über 15 Jahren unter 50 % gesunken.

  • Die Niederlande waren der erste EU-Mitgliedstaat, der am vergangenen Donnerstag zur Wahl ging. Die erste Wahltagsbefragung zeigte eine allgemeine Tendenz, die sich mit dem endgültigen Ergebnis am Sonntag bestätigte: Die Rechtsextremen legten zu, aber die Mitte blieb stabil.

    Nach einem wenig überzeugenden Wahlkampf, der, wenn überhaupt, erst spät begann, gewann die gemeinsame Liste der Sozialdemokraten und der Grünen (GL-PvdA) die meisten Sitze. Mit 8 Mandaten (21,6 %) übertrumpften sie die 6 Sitze, die Geert Wilders' rechtsextreme Freiheitspartei (17,7 %) gewann. Die konservativ-liberale VVD verlor leicht und sank von 5 auf 4 Sitze (11,6 %), während andere Koalitionspartner, die Bauern-Bürger-Bewegung (5,3 %) und die Mitte-Rechts-Partei „Nieuw Sociaal Contract“ (3,8 %), zum ersten Mal europäische Sitze errangen. Gleichzeitig legten die proeuropäischen Parteien zu, da die sozialliberale D66 einen dritten Sitz gewann (8,1 %) und Volt zum ersten Mal mit zwei Abgeordneten gewählt wurde (4,9 %).

    Die Wahlbeteiligung von knapp über 46 %, die höchste seit den Europawahlen 1989, wird als wichtiger Faktor für das Ergebnis der pro-europäischen Parteien angesehen. Im Vergleich zu den nationalen Wahlen im November 2023 haben nur 44 % der damaligen PVV-Wähler ihre Stimme abgegeben, gegenüber 78 % der GL-PvdA-Wähler, die erneut zur Wahl gingen. Die pro-europäischen Parteien konnten ihre Wähler besser mobilisieren und wurden entsprechend belohnt.

  • Wie durch Experten bereits im Vorfeld vermutet, ist die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) mit einem Stimmzuwachs von 8% gegenüber der vorherigen EU-Wahl stärkste österreichische Kraft im Europäischen Parlament geworden und hält dort nun 6 Sitze. Für die FPÖ ist dies ihr erster bundesweiter, der innerhalb der Partei bereits Stimmung macht für die noch 2024 anstehende Nationalratswahl, wo sie sich eine Chance auf das Bundeskanzleramt erhofft. Die aktuelle Regierungspartei Österreichs, die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) hingegen hat beinahe 10% an Wählerstimmen verloren und sinkt auf 5 Sitze. Leicht eingebüßt hat auch die Grüne Partei, die auf 2 Sitze absinkt. Etwas verbessert hat sich hingegen die liberale Partei Neues Österreich und Liberales Forum (NEOS), die mit knapp über 10% abgeschnitten hat und ebenfalls 2 Sitze erhält.

    Den Wahlkampf dominierten vor allem ein besonders expressiv vorgebrachter Euroskeptizismus der FPÖ und der als Gegenreaktion durch nicht-populistische Parteien proklamierte Widerstand gegen Rechts. Weiterhin standen Migrationsfragen im Zentrum, insbesondere der Schutz der EU-Außengrenzen und der Umgang mit Asylsuchenden und Migranten ohne EU-Aufenthaltsgenehmigung. Häufige, aber weniger zentrale Themen waren der EU-weite Personentransport, der Klimaschutz sowie die EU-Verteidigungspolitik und die EU-Osterweiterung. 68% der österreichischen Bevölkerung hielten die Europawahl für eine mäßig wichtige bis sehr wichtige Wahl. Im erweiterten Kontext trägt der Wahlausgang in Österreich zur Stärkung rechter Kräfte im Europäischen Parlament und der Fraktion Identität und Demokratie (ID) bei. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit rechter Allianzen und einer Fragmentierung nationaler Interessen, mit einer wahrscheinlichen Schwächung der Einigungskompetenz in europäischen Fragen, einem erhöhten Augenmerk auf Migrations- und Identitätsfragen, sowie einer Abnahme des Einsatzes für Klimaziele.

  • In Polen haben die Ergebnisse der EP-Wahlen den pro-europäischen Kurs, den das Land mit den Parlamentswahlen im Herbst eingeschlagen hatte, bestätigt. Gewonnen hat die von Ministerpräsident Donald Tusk geführte Bürgerkoalition mit 37 Prozent der Stimmen (21 Sitze im EP). Knapp dahinter, mit 36,2 Prozent, ging die nationalistisch-populistischen, europaskeptische PiS, die Partei Recht und Gerechtigkeit, ins Ziel (zwanzig Sitze). Noch besser als befürchtet schnitt die rechtsextreme Partei Konfederacja (Konföderation) ab (zwölf Prozent, sechs Sitze). Verluste hatte Tusks Koalitionspartner, die Neue Linke und der Dritte Weg, zu verzeichnen.

    Die Siegesserie der PiS, die in den Jahren zwischen 2015 und 2023 die polnische Politik dominierte, ist nach der Abwahl aus der Regierung im Oktober und den Verlusten bei den Kommunalwahlen im April zwar gebrochen. Trotzdem ist es der Partei gelungen, stets ein gutes Drittel der Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen.

    Eines der zentralen Themen im Wahlkampf war die Migration. Die zugespitzte Lage an der polnisch-weißrussischen Grenze, wo illegale Übertritte in den vergangenen Wochen zugenommen haben und ein polnischer Grenzschützer kurz vor den Wahlen ums Leben gekommen war, spielte den rechtspopulistischen Parteien eindeutig in die Hände.

    Die Parteien in Polen haben versucht, die notorisch niedrige Wahlbeteiligung durch die Nominierung hochkarätiger politischer Persönlichkeiten zu erhöhen. Obwohl man den Menschen nach dem Abstimmungsreigen der vergangenen Monate eine gewisse Wahlmüdigkeit nicht hätte verübeln können, erreichte die Wahlbeteiligung mit knapp 41 Prozent einen Höchststand seit dem EU-Beitritt des Landes vor zwei Jahrzehnten.

  • Aus liberaler Sicht blitzt Portugal als heller Stern in trüber Großwetterlage durch. Die liberale Partei Inciativa Liberal kommt auf 9,1% und entsendet erstmals zwei Abgeordnete nach Brüssel. Mit João Cotrim de Figueiredo, ehemals Parteivorsitzender, und Ana Vasconcelos Martins tritt ein Power-Duo die Reise in die europäische Kapitale an, das klassisch-liberalen Werten eine inhaltlich fundierte und rhetorisch durchdringende Stimme verleihen wird. Die programmatisch-ideelle Übereinstimmung mit den deutschen Liberalen ist frappierend, hier empfiehlt sich eine enge Zusammenarbeit beider Gruppen.

    Ein überraschend starkes Ergebnis konnten die Sozialisten einfahren, die noch im März die nationalen Wahlen verloren hatten. Sie kommen auf 32,1% und verlieren nur einen Sitz. Ihnen folgt das konservative Bündnis AD, das auf 31,1% der Stimmen kommt. Die rechtspopulistische Partei Chega kommt auf 9,8%, was einen dramatischen Absturz im Vergleich den nationalen Wahlen im März dieses Jahres bedeutet, als man noch auf 18,1% kam.

    Portugal ist ein überaus proeuropäisches Land, das auch unter linksgeführten Regierungen fiskalpolitisch verantwortlich agiert und für Deutschland insgesamt ein Schlüsselpartner auch in der kommenden EU-Legislatur sein wird. Spannend wird sein, ob der ehemalige Ministerpräsident Antonio Costa, der schon länger als Kandidat für einen europäischen Top-Job gehandelt wird, Nachfolger von Charles Michel als Präsident des Europäischen Rats wird. Falls Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin wiedergewählt wird, gilt es als wahrscheinlich, dass dieser Posten an Costas sozialistische Parteienfamilie in Europa ginge. Der konservative portugiesische Premierminister Luis Montenegro sagte am Sonntag bereits, seine Regierung würde Costa unterstützen.

  • In Rumänien dominierten die Kommunalwahlen den EU-Wahlkampf. Das GroKo-Bündnis aus Sozialdemokraten und Konservativen hatte die Kommunalwahlen im September auf den Tag der Europawahlen vorverlegt, um angeblich gegen Rechtsextremismus vorzugehen und für politische Stabilität zu sorgen. Mit einem Ergebnis von 48,7% wurde ihre Strategie bestätigt, zumal sie landesweit 90% der Bürgermeister stellen.

    Das liberal-konservative Oppositionsbündnis mit Hoffnungen bei 20% musste mit 8,61% eine herbe Niederlage einstecken und kommt nur noch auf drei EU-Abgeordnete (bislang 8). Der liberale USR-Vorsitzende trat darauf zurück. Die REPER-Partei des ehemaligen Renew-Vorsitzenden Dacian Cioloș scheiterte an der 5%-Hürde. Die AFD-ähnlichen AUR und SOS Rumänien erhielten zusammengerechnet 19,9% der Stimmen.

    Die liberale Opposition feierte dennoch große Erfolge mit der Wiederwahl von Nicușor Dan (46,9%) zum Oberbürgermeister von Bukarest und einem wichtigen Sieg in der Symbolstadt Timișoara, wo der aus der Bundesrepublik stammende Bürgermeister Dominic Fritz mit 49,7% vor dem Kandidaten der GroKo wiedergewählt wurde und schon seine Kandidatur für den vakanten Parteivorsitz ankündigte.

  • Schweden hat gegen den Trend gewählt, mit Gewinnen für die Linke und Verlusten für die rechten Kräfte. Mit einer Kampagne, die sich auf das Klima konzentrierte, erzielten die Linke und die Grünen die größten Zugewinne (+4,2 % bzw. +2,3 %), während die Sozialdemokraten mit 5 Sitzen wieder die größte Partei wurden. Die Moderate Partei von Ministerpräsident Ulf Kristersson ist mit 4 Sitzen die zweitstärkste Partei und die anderen Koalitionsparteien, die Christdemokraten (5,7 %) und die Liberalen (4,4 %), konnten nur knapp ein Mandat halten. Die liberale Zentrumspartei verlor 3,5 %, konnte aber trotz noch schlechterer Umfragewerte zwei Sitze halten. 

    Die große Überraschung des Abends war die erste Wahlniederlage der Schwedendemokraten. Die rechtsextreme Partei hat 2,2 % verloren und wurde hinter den Grünen Vierter. Das hielt die Parteimitglieder und Abgeordnete jedoch nicht davon ab, die Ergebnisse zu den Klängen von Gigi D'Agostinos „L'Amour Toujours“ zu feiern. Ein Lied, das seit kurzem in ganz Europa als Hymne der Rechtsextremen gilt. Das setzt die anderen Parteien der regierenden Tidö-Koalition, zu der auch die Liberalen gehören, unter Druck, sich gegen einen weiteren Skandal um die rechtsextreme Präsenz in der Regierung zu positionieren.

  • In der Slowakei hat man eine ähnliche Taktik wie im benachbarten Polen angewandt, indem sie das Wahlvolk mit politprominenten Namen an die Urnen zu locken versucht hat. Mit Erfolg: Mit rund 35 Prozent lag sie so hoch wie nie seit dem EU-Beitritt des Landes 2004.

    Gewinner ist die proeuropäische liberale Partei Progressive Slowakei (PS). Sie erzielte knapp 28 Prozent und wird sechs Abgeordnete in die Renew-Europe-Fraktion des EP schicken. Die verbleibenden Sitze gehen allerdings an Vertreterinnen und Vertreter europaskeptischer, populistischer und extremistischer Parteien. SMER-SD, die Partei von Ministerpräsident Robert Fico, konnte zulegen und gewinnt fünf Sitze, einen mehr als bisher. Auf die rechtsextreme Partei Republika entfallen zwei.

    Dass der erste Platz an die Liberalen geht, ist von hoher symbolischer Bedeutung. Nach den Parlamentswahlen im September vergangenen und den Präsidentschaftswahlen im April dieses Jahres waren die Wahlen zum EP bereits der dritte Urnengang innerhalb weniger Monate. Jeder Wahlkampf schien den vorhergehenden in puncto Brutalität zu toppen. Die Situation schien vollends zu eskalieren, nachdem am 15. Mai auf Regierungschef Fico ein Attentat verübt worden war. Zwar konnte dem Täter keine Verbindung zu einer konkreten politischen Partei nachgewiesen werden. Die Regierungskoalition lud die Schuld trotzdem bei der PS und den unabhängigen Medien im Land ab. Kurz vor dem Wahltag hatte sich Fico von seinem Krankenbett per Video mit entsprechenden Anschuldigungen an die Öffentlichkeit gewandt. In den Umfragen nach dem Attentat konnte er zunächst tatsächlich eine Art Sympathiebonus verzeichnen. Stärkste Kraft wurde seine Partei, die SMER-SD, am Ende aber doch nicht.

  • Slowenien ist nach rechts gerückt. Sieger mit knapp 31 Prozent ist die größte Oppositionspartei, die rechtspopulistische SDS des ehemaligen Ministerpräsidenten Janez Janša. Die Partei gewann vier der insgesamt neun Sitze, die dem Land im EP zustehen. Sie verfügt damit über doppelt so viele Abgeordnete wie bislang. Die liberale Freiheitsbewegung (Gibanje Svoboda), die größte Partei der regierenden Mitte-Links-Koalition von Ministerpräsident Robert Golob, erhielt lediglich 22,1 Prozent (zwei Sitze).

    Überraschend ist dieses Ergebnis nicht. Die Regierung Golob verliert schon seit geraumer Zeit in den Umfragen an Zustimmung. Eine der beiden neuen EP-Abgeordneten der Freiheitsbewegung ist Irena Joveva. Sie konnte ihr Mandat verteidigen. Neu ins Parlament kommt der derzeitige Verteidigungsminister und ehemalige Premierminister Marjan Šarec.

    Die Freiheitsbewegung hatte die Wahlen zum Europäischen Parlament mit drei Volksabstimmungen verbunden. Diese hatte die Wahlbeteiligung insgesamt erhöht, von knapp dreißig auf 41 Prozent. Bei den Referenden ging es um eine Wahlrechtsreform, um die Legalisierung von Marihuana und eine Liberalisierung der Sterbehilfe. Es handelte sich um die sog. Konsultationsreferenden, die für die Gesetzgeber nicht bindend sind.

  • In Spanien hat die konservative PP die EU-Wahlen mit 34,2% der Stimmen, die 9 Sitze mehr im EP bedeuten, klar vor den Sozialisten mit 30,2% gewonnen. Die rechtspopulistische Partei VOX gewinnt mit 9,6% zwar im Vergleich zu den letzten EU-Wahlen hinzu, bleibt jedoch weit hinter ihren Ansprüchen auf nationaler Ebene zurück. Die beiden linkspopulistischen Parteien(-bündnisse) Sumar und Podemos kommen zusammen auf 8% der Stimmen, auch dies weniger als erhofft. Die liberale Partei Ciudadanos, von zahlreichen Wahlniederlagen in der jüngeren Vergangenheit bis ins Mark erschüttert, trat zwar noch an, konnte aber den Einzug ins EP nicht erreichen. Dies ist für die europäische Parteienfamilie besonders bitter, denn die zuletzt noch siebenköpfige Ciudadanos-Delegation in der Renew-Fraktion gehörte zu den inhaltlich und politisch versiertesten Gruppen von liberalen Europaabgeordneten überhaupt.

    Europapolitisch ist Spanien parteiübergreifend eine feste Bank, wenngleich eine gemeinsame europäische Außenpolitik mit der federführenden Anerkennung Palästinas durch Spanien und Irland (sowie Norwegen, das aber ja kein EU-Staat ist) nochmals in deutlich weitere Ferne gerückt ist. Auch der Außenbeauftragte Josep Borrel von den spanischen Sozialisten hat nicht immer glücklich agiert und darf sich keine Hoffnungen auf eine weitere Amtszeit machen. Bis auf die Fiskalpolitik haben Deutschland und Spanien aber sehr häufig gemeinsame Interessen. Insbesondere in der Energiepolitik sollten beide Länder den Druck auf Frankreich erhöhen, endlich die Blockade für die physische Energieinfrastruktur zwischen der iberischen Halbinsel und Nordeuropa aufzugeben.

    Im Wahlkampf hat Europa kaum eine Rolle gespielt, im Mittelpunkt standen spanische Themen, darunter die umstrittene Amnestie für die Rädelsführer des illegalen katalanischen Unabhängigkeitsreferendums, der skandalumwitterte Besuch des argentinischen Präsidenten Milei in Madrid und ein Gerichtsverfahren gegen die Frau des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez.

  • In Tschechien landete ANO auf Platz eins. 26,1 Prozent erzielte die größte Oppositionspartei. Ins Europäische Parlament wird sie sieben Abgeordnete schicken, einen mehr als bisher. Mit 22,3 Prozent (sechs Sitze) als zweiter durchs Ziel ging die SPOLU-Koalition, ein Bündnis aus drei der insgesamt fünf nationalen Regierungsparteien, darunter die bürgerlich-konservative ODS von Ministerpräsident Petr Fiala. Es folgte Přísaha und Motoristé (Schwur und Autofahrer), ein Bündnis aus zwei neugegründeten rechtspopulistischen Bewegungen. Es gewann aus dem Stand 10,3 Prozent (zwei Sitze). Das linke Bündnis Stačilo! (Genug) unter der Führung von Kateřina Konečná, der Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSČM), erreichte mit 9,6 Prozent (zwei Sitze) den vierten Platz. Die liberale Partei STAN, einer der beiden von Fialas Koalitionspartnern, die als autonome Kraft angetreten waren, erhielt acht Prozent. Auf die Piraten, die zweite eigenständig angetretene Regierungspartei, entfielen nur 6,2 Prozent (ein Sitz statt drei). Ein unter der Führung der rechtsextremen tschechischen Partei SPD stehendes Bündnis kam auf 5,7 Prozent.

    Die Ergebnisse bedeuten eine Ohrfeige für Fialas Fünf-Parteienkoalition und einen Erfolg für oppositionelle, populistische und in der Programmatik sektierische Parteien. Die ANO-Abgeordneten waren bislang Teil der Renew-Europe-Fraktion im EP. Ihr Vorsitzender, der ehemalige Ministerpräsident Andrej Babiš, hat der ursprünglich liberalen Bewegung im Laufe der vergangenen Jahre allerdings ein rechtspopulistisches, auf seine Person zugeschnittenes Profil verpasst. Ohne das Auftauchen des Bündnisses Přísaha und Motoristé wäre der ANO-Wahlsieg womöglich noch überzeugender ausgefallen. Die Motoristé-Partei von Filip Turek, gegen den aufgrund von Neonazi-Verbindungen ermittelt wird, setzt sich vor allem gegen das in Brüssel beschlossene Aus des Verbrennungsmotors ein.

    Mit 36,4 Prozent war die Wahlbeteiligung die höchste seit dem EU-Beitritt Tschechiens vor zwanzig Jahren.

  • Die überwiegend regierungstreuen türkischen Medien berichten weitgehend faktisch über die Europawahl, mit einem Fokus auf den Rechtsruck im Europäischen Parlament. Ein großes Thema war die Wahl im Land nicht – zwar liegt die Zustimmung zu einem EU-Beitritt nach wie vor bei 66 Prozent, doch ist diese offensichtlich in weite Ferne gerückt. Größere Veränderungen in der europäischen Türkeipolitik werden nach den Wahlen nicht erwartet. Wichtige Themen der Zusammenarbeit werden die Themen Migration, Green Deal und Aktualisierung der Zollunion bleiben. Der EU-Botschafter in der Türkei, Nikolaus Meyer-Landrut, sieht zudem eine mögliche Rolle der Türkei in der Ukraine-Frage.

  • In der Ukraine beobachtete man die Wahlen ganz genau - denn die EU ist die größte institutionelle Geberin und Unterstützerin des vom Krieg geplagten Landes. Die jetzige Kommissionspräsidentin von der Leyen und die parlamentarische Mehrheit, die sie stützt, gelten als ganz klar pro-ukrainisch. So bestand in der Ukraine die Befürchtung, dass ein Rechtsruck in der EU die Unterstützung der Ukraine schwieriger machen würde. Nun atmet man in Kyjiw auf - die pro-ukrainische Mehrheit dürfte bleiben.

    Dennoch geben die nationalen Wahlergebnisse einen Grund zur Sorge in der Ukraine. Die berechtigte Befürchtung ist, dass rechte Parteien, die den Ukrainehilfen gegenüber überwiegend kritisch stehen, auch am Einfluss in den jeweiligen Nationalstaaten gewinnen. Die bisherige große Solidarität mit der Ukraine in der Bevölkerung könnte also auch zeitnah auf der Kippe stehen. Dabei benötigt die Ukraine dringend diese Solidarität und vor allem die Hilfen - militärische, finanzielle und humanitäre - um der russischen Aggression entgegenzuwirken. Die Ukraine erwarten noch härtere Monate als je zuvor: die Energieinfrastruktur wird täglich von Russland angegriffen, auch finden heftige Kämpfe an der Front statt. Ohne schnelle und umfangreiche Unterstützung der EU und USA kann die Ukraine diesen Kampf wohl kaum gewinnen. Jetzt bleiben der Ukraine noch die Sorgen über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA.

  • In Ungarn geht Platz eins erwartungsgemäß an die Fidesz-Partei von Langzeit-Ministerpräsident Victor Orbán. Sie erzielte 44,6 Prozent der Stimmen und schickt elf Abgeordnete ins Europäische Parlament. Eigentlicher Gewinner der Wahl ist allerdings die neu gegründete Partei Tisza (Respekt und Freiheit) von Peter Magyar, einem abtrünnigen Orbán-Gefolgsmann, der das System seines ehemaligen Parteifreundes in den vergangenen Wochen und Monaten medienwirksam kritisiert hat. Tisza erreichte rund dreißig Prozent bzw. sieben Sitze. Ein unter anderem die sozialdemokratische DK und die Grünen umfassendes Mitte-Links-Bündnis erzielte 8,1 Prozent (zwei Sitze). Schmerzlich für die Renew-Europe-Familie: Die liberale Partei Momentum gewann lediglich 3,7 Prozent. Sie verliert ihre beide Sitze und wird fortan nicht mehr im Europäischen Parlament vertreten sein.

    Für Orbán und seine Parteifreunde ist das Fidesz-Ergebnis ein Weckruf. 44,6 Prozent sind eher mau im Vergleich zu den Resultaten bei landesweiten Wahlen der vergangenen Jahre. Viele Wähler dürften zu Tisza übergelaufen sein, was zeigt, dass Fidesz nicht mehr unschlagbar ist. Die Europa-Kampagne der Orbán-Mannschaft konzentrierte sich folglich nicht nur auf das Thema Krieg und Frieden, sondern richtete sich gegen den Magyar, den einstigen Gefolgsmann. Dessen Erfolg mag insoweit erfreulich sein, als dass er das System Orbán schwächen könnte. Programmatisch indes setzt er keine substanziell anderen Akzente als Orbán. Immerhin favorisiert einen Beitritt zur EVP-Fraktion. Aus der war Fidesz vor einigen Jahren ausgeschlossen worden.

  • Schon in den vergangenen fünf Jahren hatte die konservativ geführte EU-Kommission alle Augen hinsichtlich demokratischer Standards auf dem Westbalkan zugedrückt. Noch kurz vor einer skandalös unfreien Parlamentswahl im Dezember 2023 hatte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen den serbischen Präsidenten und „lieben Freund“ Aleksandar Vučić über die Maße gelobt und Unterstützung zugesichert. Auch andere nationalistische Autokraten wie der Führer der „Republika Srpska“ in Bosnien und Herzegowina wurden nicht sonderlich hart angefasst.

    Eine mutmaßlich konservativere EU-Kommission und ein sich den europäischen Werten weniger verpflichtet fühlendes Europäisches Parlament werden in Sachen Rechtsstaatlichkeit kaum die Daumenschrauben anziehen. Das unabhängige Wochenmagazin „Vreme“ fasst zusammen: „Von dieser Europawahl haben die immer weniger werdenden Menschen [auf dem Westbalkan], die dem Import europäischer Werte entgegensehnen, nichts zu hoffen, und die Regierung Vučić nichts zu befürchten.“

  • Nach einem intensiven Wettstreit konnte sich die Partei DISY (EPP) von Regierungschef Nikos Christodoulidis gegen ihren unmittelbaren Kontrahenten AKEL (The Left) durchsetzen. Mit 24,8 % der Stimmen erhält die DISY damit zwei Sitze im neuen Parlament, AKEL dagegen nur einen. Auf dem dritten Platz landete überraschenderweise der YouTuber Fidias Panayiotou, der über sich selbst sagt, dass er nichts von Politik versteht und mit seiner Wahl ein Zeichen gegen die „Nerds“ in Brüssel setzen will. Mit 11,2 % wird außerdem die rechtsextremistische Partei ELAM erstmals einen der sechs zyprischen Abgeordneten stellen. Die liberale Partei Zyperns (DEPA) erreichte ein Ergebnis von 2,2 % und damit keinen Sitz im Europäischen Parlament.

    Bei der diesjährigen Wahl traten parteiübergreifend so viele türkische Zyprioten als Kandidaten an wie nie zuvor. Der Wahlkampf war durch eine Mischung aus nationalen und europäischen Themen bestimmt. Besonders das Thema Migration stand dabei im Vordergrund. Der Krieg im Gazastreifen und die geografische Nähe zu Syrien, dem Libanon und Israel führen zu einem rapiden Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Menschen.