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Föderalismus
Die jüngste Reform der föderalen Finanzarchitektur

Verpasste Chance für mehr Handlungsspielraum und Verantwortung der Landespolitik
Karl-Hein Paqué

Die föderalen Finanzbeziehungen sind ein Thema, das in der Vergangenheit immer wieder in der öffentlichen Diskussion stand. Dabei war es meist der Länderfinanzausgleich im engeren Sinne, also der horizontale Ausgleich der Finanzkraft zwischen reicheren und ärmeren Bundesländern, der in den wenigen Geberländern regelmäßig für Aufregung sorgte. Diese Diskussion war zwar verständlich, betraf jedoch immer nur einen kleinen Teil der föderalen Finanzarchitektur. Neben dem horizontalen Länderfinanzausgleich gab es den vorgeschalteten Umsatzsteuervorausgleich sowie die nachgelagerten Bundesergänzungszuweisungen, also vertikale Ausgleichszahlungen des Bundes an finanzschwache Bundesländer.

Insofern mag es für zukünftige Diskussionen über die föderalen Finanzbeziehungen vielleicht sogar hilfreich sein, dass das große Aufregerthema »Länderfinanzausgleich« ab 2020 abgeschafft ist. Andererseits entfällt mit der Entfernung dieses beständigen Steins des Anstoßes möglicherweise gerade der Nukleus, an dem sich weitere Debatten erst entzünden könnten. In jedem Fall ist der Wegfall des Länderfinanzausgleichs im engeren Sinne ein wesentlicher Bestandteil der Einigung zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2020, die im Sommer 2017 beschlossen und im Folgenden mit liberaler Brille betrachtet und bewertet werden soll.

Reformdebatte und mögliche Reformelemente

Notwendig wurde die Reform, da der Länderfinanzausgleich in seiner alten Form Ende 2019 auslief. Die Debatte um ein Nachfolgesystem war daher unvermeidlich und bot die Chance für eine umfassende Neuordnung. Dies umso mehr, da zeitgleich der Solidarpakt II endete und zudem die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse den Bundesländern ab 2020 grundsätzlich verbietet, neue Schulden aufzunehmen. Außerdem wurde, wie erwähnt, vor allem in den Geberländern eine beständige öffentliche Debatte um die Höhe der Zuschüsse an Nehmerländer geführt. Es gab also mehrere gute Gründe, den bestehenden Länderfinanzausgleich nicht einfach zu verlängern, sondern eine grundlegende Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen anzustreben.

In der folgenden Diskussion lag der anfängliche Fokus zunächst auch tatsächlich auf der Frage, wie eine solche grundlegende Reform aussehen könnte. Es gab verschiedene Reformvorschläge, die sich vor allem an den drei großen grundsätzlichen Problemen des bestehenden Länderfinanzausgleichs orientierten und ihn

1. auf eine rationalere Basis stellen wollten, die

2. versuchten, seine Mechanismen transparenter und nachvollziehbarer zu gestalten, und

3. das Ziel hatten, die Verantwortlichkeiten und Entscheidungsspielräume zwischen Bund und Ländern möglichst weitgehend zu entflechten.

Ein Element, das dabei immer wieder auftauchte, war der Vorschlag, den Ländern ein Zuschlagsrecht für die Einkommensteuer zu geben, teilweise noch um ein Zuschlagsrecht bei der Körperschaftsteuer ergänzt. Die Vorteile einer höheren Steuerautonomie waren schon vorher immer wieder in der Literatur diskutiert worden. Ziel sollte es sein, die finanziellen Spielräume der Länder zu erhöhen sowie die politische Verantwortung der Entscheidungsträger auf Landesebene zu stärken. Ebenso wurde auch über eine Orientierung des Länderfinanzausgleichs an der Wirtschaftskraft der Bundesländer diskutiert, beispielsweise am Bruttoinlandsprodukt. Dies hätte den Vorteil gehabt, dass die Finanzkraft der Bundesländer nicht berechnet werden muss. Denn genau das führt immer wieder zu Streit, zum Beispiel bei der Frage, ob die Gemeindefinanzen einbezogen werden sollten. Zudem hätte ein BIP basierter Länderfinanzausgleich die Anreizsituation verbessert: Die Bundesländer hätten sich nicht mehr arm rechnen können. Die politische Diskussion verengte sich jedoch im Laufe der Reformdebatte immer mehr auf die Frage, ob die Bundesländer gegenüber dem Bund höhere Finanzzuschüsse durchsetzen können. Dies war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Finanzminister der Länder einigen konnten und den sie vehement gegenüber dem Bundesfinanzminister vertraten.

Die Einigung: Alle für einen und alle gegen den Bund

Der Bundesfinanzminister, damals noch Wolfgang Schäuble (CDU), wehrte sich zwar relativ lange gegen die Ansprüche der Bundesländer, möglichst hohe zusätzliche Bundesmittel zu bekommen, setzte sich jedoch schlussendlich nicht durch. Kurz vor Ende der Legislaturperiode beschloss der Deutsche Bundestag am 1. Juni 2017 die Reform, für die unter anderem zahlreiche Grundgesetzänderungen notwendig waren. Der Bundesrat gab seine Zustimmung einen Tag später. Letztendlich hatten sich die Regierungschefs der Länder zwar mit ihrer Forderung nach mehr Geld vom Bund durchgesetzt – die Länder bekommen ab 2020 knapp 10 Milliarden Euro zusätzliche Zuschüsse des Bundes. Sie mussten dafür aber zusätzliche Lenkungs-, Mitwirkungs- und Kontrollrechte des Bundes in Kauf nehmen.

Kurz gefasst könnte man den neuen Länderfinanzausgleich auch auf die Formel bringen: Mehr Geld für die Länder, weniger föderale Entscheidungshoheit.

Leitbild: Ein subsidiärer und eigenverantwortlicher Finanzföderalismus

Die Reform des Länderfinanzausgleichs ist dabei vor dem Hintergrund grundsätzlicher Erwägungen zum Föderalismus zu sehen und zu bewerten. Eine Betrachtung der Bedeutung föderaler Strukturen für die Demokratie sollte daher der Analyse der ab 2020 geltenden Finanzstruktur vorangehen. Aus liberaler Sicht kann eine föderale Staatsordnung aus verschiedenen Gründen erstrebenswert sein: Zunächst ist staatliche Macht in föderalen Staaten verteilt und nicht nur in der Hand der Zentralregierung gebunden. Checks und Balances sind damit ein wesentlicher Bestandteil föderaler Staaten. Es gibt nicht nur eine Bundespolizei, ein Wirtschaftsministerium oder nur eine zentrale Kulturbehörde, sondern viele verschiedene Machtzentren. In ihnen können Entscheidungen zudem möglichst nah am Bürger angesiedelt werden, was eine bessere Präferenzannäherung ermöglicht, als wenn es nur zentrale Vorgaben gibt. So mag es in Gemeinde A vielleicht aus Sicht der Bürger wichtiger sein, das Schwimmbad zu sanieren, als das baufällige Theater. In Gemeinde B könnte es dagegen genau anders herum sein. Solchen teils subtilen lokalen Präferenzunterschieden kann man nicht mit einer zentralen Steuerung gerecht werden.

Föderale Strukturen ermöglichen aber nicht nur bürgernahe Entscheidungen und wirken einer Zentralisierung von Macht entgegen. Sie erlauben es auch, verschiedene Lösungsansätze parallel zu testen.

Während eine Stadt versuchen könnte, mit der verstärkten Ausweisung von Bauland auf ansteigende Mietpreise zu reagieren, könnte eine andere Stadt entscheiden zu testen, ob sich der Wohnungsmangel mit Regulierung in den Griff bekommen lässt. Im Wettbewerbsföderalismus können so verschiedene Lösungen ausprobiert werden und miteinander in den Wettstreit treten. Im Idealfall kann eine Gesellschaft so mehrere Ansätze ausprobieren, und mit der Zeit kann sich die beste Lösung durchsetzen. Im Wettbewerb als Entdeckungsverfahren liegt eine enorme Kraft, die föderale Staaten im Idealfall agiler und zukunftsfähiger macht.

Auch demokratietheoretisch gibt es aus liberaler Sicht ein Argument für den Föderalismus: Wenn Entscheidungen auf der Ebene getroffen werden, die nächstmöglich am Bürger ist, wird die bestmögliche demokratische Kontrolle sichergestellt. Um mit Karl Popper zu sprechen: Wenn Bürger mit der lokalen Organisation der Müllabfuhr unzufrieden sind, können sie den Bürgermeister abwählen. In einem zentralen System, wo die Vorgaben für die Organisation der Müllabfuhr vielleicht durch die Zentralregierung festgelegt, durch eine Mittelbehörde interpretiert und dann vor Ort umgesetzt werden, ist ein direktes politisches Feedback nicht möglich. Die Verantwortlichkeiten verwischen stattdessen: Der Bürgermeister kann die Schuld für Missstände an die Mitelbehörde oder die Zentralregierung abschieben. Diese wiederum kann die mangelhafte lokale Umsetzung verantwortlich machen. Anders sieht es beispielsweise in der Schweiz aus: Diese kommt einem föderalen Idealbild recht nahe, weswegen Fehlentwicklungen in vielen Feldern auf der kantonalen Ebene identifiziert werden können. Klare Verantwortlichkeiten sorgen dafür, dass dann vor Ort pragmatische Lösungen gefunden werden können.

Die föderale Finanzstruktur ab 2020 aus liberaler Sicht

Damit soll der Blick nun auf eine Bewertung der ab 2020 geltenden föderalen Finanzbeziehungen gelenkt werden. Wie bereits beschrieben, war die Reformdebatte zunächst darauf konzentriert, die drei größten Probleme der vor 2020 geltenden Regelungen zu lösen: Diese waren Intransparenz, falsche Anreize und eine unklare Trennung politischer Verantwortlichkeiten, die durch oft verflochtene Zuständigkeiten hervorgerufen wurde. Die Reformdebatte verdichtete sich im politischen Raum jedoch immer mehr auf die Frage, wie viel Geld die Länder vom Bund zusätzlich bekommen würden. Im Ergebnis spiegelt sich diese Zuspitzung deutlich wider.

Die Abschaffung des Länderfinanzausgleichs im engeren Sinne ist der Kernbestandteil der Reform. Ab 2020 werden die Steuereinnahmen zunächst zwischen den Bundesländern bei der Umsatzsteuerverteilung ausgeglichen. Die bisherigen Stufen eins (Umsatzsteuervorausgleich) und zwei (Länderfinanzausgleich im engeren Sinne) werden damit sozusagen verschmolzen. Der Länderanteil an der Umsatzsteuer wird dabei nach der Einwohnerzahl verteilt, wobei es jedoch Zu- und Abschläge auf Basis der Finanzkraft der Länder gibt. Bei der Berechnung der Finanzkraft der Bundesländer wird die kommunale Finanzstärke zu 75 Prozent berücksichtigt. Die im alten System geltenden Sonderregelungen zur Aufwertung von Stadtstaaten und von besonders dünn besiedelten Ländern bleiben dabei bestehen (die sogenannte Einwohnerwertung).

Mit der Reform wird so zwar die Struktur des Länderfinanzausgleichs vereinfacht. Die Transparenz wird durch diese Entscheidung jedoch nicht erhöht, im Gegenteil: Denn mit dem Länderfinanzausgleich im engeren Sinne fällt gerade die Stufe weg, die bisher im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stand und deren Zahlungsströme in den Landeshaushalten transparent aufgeführt und somit auch diskutiert wurden. Im neuen System wird die Umverteilung wahrscheinlich unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit ablaufen, was aus liberaler Sicht durchaus bedenklich ist. Eine demokratische Kontrolle wird so mindestens erschwert, eine öffentliche Meinungsbildung zu Umfang, Höhe und Struktur des Länderfinanzausgleichs vermutlich unmöglich, da der bisherige Kristallisationspunkt für die Debatte wegfällt. In den Haushaltsausschüssen der Landesparlamente ist es schon heute so, dass über die hohen EU- und Bundesmittel kaum mehr diskutiert wird. Diese sind aus Landessicht schließlich ohnehin nicht veränderbar, auch wenn sie einen wesentlichen Teil der öffentlichen Ausgaben ausmachen. Stattdessen wird häufig intensiv über kleinere Summen debattiert – aus demokratischer Sicht eine klare Fehlentwicklung, die aber aus Sicht der Landtagsabgeordneten rational ist und in der Struktur der föderalen Finanzbeziehungen begründet liegt.

In einem zweiten Schritt folgen dann wie bisher die vertikal vom Bund an die Länder fließenden allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen, die die unterschiedliche Finanzkraft der Bundesländer weiter angleichen sollen. Sie werden deutlich erhöht, weshalb ab 2020 voraussichtlich alle Bundesländer gegenüber dem vorherigen Status quo bessergestellt sein werden. An dieser Erhöhung der Bundeszuweisungen ist aus liberaler Sicht grundsätzlich nichts auszusetzen. In bestimmten Bereichen, wie beispielsweise der Bildungsfinanzierung, ist ein stärkerer Finanzbeitrag des Zentralstaats sicher wünschenswert. Aber in der Summe führt die Ausweitung der Bundeszuschüsse zusammen mit den ausgeweiteten Kontroll- und Weisungsrechten zu einer weiteren Vermischung der Zuständigkeiten im deutschen Föderalismus. Die Kompetenzerweiterung des Bundes beinhaltet die Übernahme von Planung, Bau, Betrieb und Unterhalt des Autobahnnetzes, die bisher von den Ländern in Auftragsverwaltung durchgeführt wurden. Zudem wird die Rolle des Bundesrechnungshofes gestärkt, und der gemeinsame Stabilitätsrat von Bund und Ländern überwacht künftig auch die Einhaltung der Schuldenbremse im Grundgesetz. Der Bund bekommt zudem ein direktes Weisungsrecht in der Steuerverwaltung.

Dabei wäre es angesichts der für den Bürger schon vor dem Systemwechsel oft nicht verständlichen politischen Zuständigkeiten und der dadurch unklaren politischen Verantwortung aus liberaler Sicht wünschenswert gewesen, die Vermischung der Verantwortlichkeiten zwischen den Ebenen zu entflechten. Politische Entscheidungshoheit und Verantwortung, also Risiko und Haftung, sollten eigentlich zusammenfallen und für den Bürger klar erkennbar sein. Dies ist im System der föderalen Finanzbeziehungen nach 2020 weiterhin nicht der Fall.

Vorschläge zur Stärkung der Länderautonomie wie eine eigene Einnahmehoheit der Bundesländer werden mit der Reform von 2020 nicht umgesetzt. Insofern ist die Reform aus liberaler Sicht eher eine verpasste Chance.

Ausblick: Diskussion um einen Verantwortungsföderalismus

Deutschland wird mit der föderalen Finanzstruktur nach 2020 zunächst sicher gut leben können. In manchen Bereichen, vor allem in der Bildungspolitik, der Steuerverwaltung sowie beim Fernstraßenbau, wird die Reform hoffentlich positive Impulse liefern und die Qualität der öffentlichen Güter verbessern. Aber reicht dies angesichts der angespannten gesellschaftlichen Lage? In den drei Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern im Jahr 2019 haben rechts- und linkspopulistische Parteien einen großen Stimmenanteil erzielt. In Thüringen haben sie zusammen mehr als die Hälfte der Stimmen bekommen.

Die teils große Unzufriedenheit mit unserem demokratischen Gemeinwesen ist offensichtlich. Sie zeigt sich nicht nur bei Wahlergebnissen, sondern lässt sich auch bei Umfragen feststellen. Auch wenn es für diese Entwicklung sicher viele Gründe gibt, so ist doch zumindest die Frage berechtigt, welchen Einfluss die schleichende Aushöhlung des Föderalismus hatte und hat. Unklare politische Verantwortung, intransparente und langwierige Entscheidungsprozesse und mangelnde Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort tragen wahrscheinlich nicht zur Festigung des Vertrauens in den deutschen Staat bei.

Insofern ist der Verzicht auf eine grundlegende Neuordnung der föderalen Strukturen bedauerlich. Es hätte uns sicher gutgetan, wenn der Handlungsspielraum der politischen Akteure auf Landesebene und ihre demokratische Verantwortung gestärkt worden wären. Leider haben wir diese Chance verpasst. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt nicht aufhören, über die weitere Zukunft des Föderalismus zu diskutieren.

Ziel sollte es sein, einen echten Verantwortungsföderalismus umzusetzen.

Dieser Beitrag erschien erstmalig in einer Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung und ist online hier zu finden.