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Internationale Politik
Schweden und die NATO Frage

US Verteidigungsminister wirbt für Schweden
Im Rahmen des ersten Besuchs eines US-Verteidigungsministers seit 23 Jahren wurde Lloyd Austin (links) am Mittwoch von seinem schwedischen Amtskollegen Pål Jonson (rechts) auf dem Marinestützpunkt Muskö empfangen, wo er versicherte, dass sich die USA weiterhin für einen raschen Beitritt Schwedens zur NATO einsetzen würden

Im Rahmen des ersten Besuchs eines US-Verteidigungsministers seit 23 Jahren wurde Lloyd Austin (links) am Mittwoch von seinem schwedischen Amtskollegen Pål Jonson (rechts) auf dem Marinestützpunkt Muskö empfangen, wo er versicherte, dass sich die USA weiterhin für einen raschen Beitritt Schwedens zur NATO einsetzen würden

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Fredrik Sandberg/TT

Finnland ist NATO-Mitglied geworden, Schweden wartet noch. In direkter Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beantragten sowohl Finnland als auch Schweden am 18. Mai 2022 den NATO-Beitritt. Ein historischer Moment für beide traditionell militärisch bündnisfreien Länder. Zehn Monate lang warben beide Länder, gemeinsam der NATO beitreten zu wollen. Einziges Hindernis: das Veto der Türkei, dem sich zwischenzeitlich Ungarn anschloss. Am 4. April 2023 ist Finnland nun offiziell Mitglied der NATO geworden – bislang ohne Schweden.

Für die USA und die meisten anderen NATO-Staaten – mit derzeitiger Ausnahme von der Türkei und Ungarn – ist ein Beitritt Schwedens keine Frage. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg versicherte, dass die NATO bereits jetzt für die Sicherheit Schwedens einsteht. Das betonte auch der schon fast historische Besuch des US Verteidigungsministers Llloyd Austin in Schweden am Mittwoch, den 19 April. Seit mehr als zwanzig Jahren ist dies der erste Besuch eines Pentagon Chefs in Schweden. Neben der Verkündung engerer bilateraler sicherheitspolitischer Zusammenarbeit wiederholte Austin auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem Amtskollegen Pål Jonson mehrfach den Mehrwert eines Beitritts Schwedens in die NATO und seine Erwartung, dass ein Beitritt innerhalb der nächsten zwei Monate anstehen könnte: “[…] We look forward to having a very capable Sweden sitting at the desk beside us in Vilnius” – also bei dem nächsten NATO-Gipfel Anfang Juli, der in Vilnius stattfinden wird.

Unterdessen hat Schweden Anfang der Woche die größte militärische Übung seit 25 Jahren gestartet, Aurora 23. Über drei Wochen soll die Übung gehen, bis zum 11. Mai, mit Beteiligung von vierzehn europäischen NATO-Ländern, inklusive Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den USA. Mehr als 26.000 Soldaten trainieren den Verteidigungsfall in den Domänen Luft, Land und See. Ein starkes Zeichen für die enge Zusammenarbeit Schwedens und der NATO.

Die Causa Schweden

Schweden richtet seine Sicherheitspolitik traditionell stark auf Finnland aus. So basierte auch die vormalige Entscheidung der Bündnisneutralität vor allem darauf, Helsinki nicht von den übrigen westlichen Mächten isolieren zu wollen – gegenüber einem NATO-Beitritt war Stockholm schon länger positiv eingestellt. Anders als Finnland hat sich die politische Dynamik in Schweden für einen NATO-Beitritt bereits seit einiger Zeit stetig verstärkt. Die beiden liberalen Parteien, Liberalerna und Zentrumspartei, sprachen sich bereits seit mehreren Jahren für einen Beitritt aus. Auf militärischer Ebene schloss Schweden schon seit 2009 bilaterale Abkommen zur gegenseitigen Verteidigung mit der EU und anderen nordischen Ländern ab. Das anhaltende Veto der Türkei gegen Schwedens Beitritt zur NATO wird mit dem Vorwurf argumentiert, Schweden unterstütze Türkei-feindliche Terrororganisationen. Nach der Unterzeichnung eines trilateralen Memorandums zwischen Schweden, Finnland und der Türkei im Juni 2022 hat Schweden allerdings einige Personen ausgeliefert und nach Angaben von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Bedingungen Istanbuls erfüllt. Viele sehen daher die anhaltende Blockade der Türkei im Zusammenhang mit den anstehenden nationalen Wahlen in der Türkei im Mai. Die Machtdemonstration könnte der derzeitigen Regierung Stimmen bringen. Ein weiteres mögliches Motiv ist, dass die Türkei durch die Blockade ein neues Druckmittel bei der Aushandlung von Rüstungsverträgen mit westlichen Partnern hat. Die Türkei möchte ihr Militär mit westlicher, vor allem amerikanischer, Ausrüstung ausbauen und modernisieren, stößt dabei aber auf politischen Widerstand.

Ähnlich wie Finnland hat Schweden ein zahlenmäßig relativ kleines Militär, dass allerdings über erhebliche militärische Fähigkeiten verfügt und damit einen signifikanten Beitrag zur Abschreckungsfähigkeit der NATO beitragen kann. Beispielsweise plant Schweden die Anschaffung von zwei fortschrittlichen GlobalEye-Flugzeugen für die luftgestützte Frühwarnung und Kontrolle, die leistungsfähiger sind als die veralteten AWACS-Flugzeuge, die die NATO derzeit zur Überwachung des europäischen Luftraums einsetzt. Außerdem verfügt Schweden über erhebliche maritime Fähigkeiten, die einen Beitrag zur Abschreckung auf See und dem Schutz von Seekommunikationslinien der NATO leisten können.

Neben den militärischen und geostrategischen Vorteilen eines Beitritts Schwedens in die NATO birgt der getrennte Beitrittsverlauf Finnlands Potenzial für Spannungen. Es bleibt zu hoffen, dass Schweden noch vor dem nächsten NATO-Gipfel in Vilnius im Juli NATO-Mitglied wird. Für die europäische Sicherheitsarchitektur wäre das jedenfalls ein entscheidendes Signal und ein Zeichen für die europäische Einigkeit.