Präsidentschaftswahlen in Litauen
Zweite Spielzeit: Litauens Staatschef Nausėda wiedergewählt
Vertragsverlängerung für Gitanas Nausėda: Litauens Präsident hat sich am Sonntag bei der Stichwahl durchgesetzt, und das mit deutlichem Abstand. 74,5 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen holte der 60jährige Wirtschaftswissenschaftler und Ex-Banker, der seit 2019 an der Spitze des bevölkerungsreichsten baltischen Staats steht. Auf seine Gegenkandidatin, die christdemokratische Premierministerin Ingrida Šimonytė, entfiel das verbliebene Viertel der Stimmen.
Die Stichwahl am 26. Mai war nötig geworden, nachdem keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang zwei Wochen zuvor die erforderliche absolute Mehrheit der Stimmen hatte erringen können. Auf Nausėda waren am 12. Mai rund 44, auf Šimonytė knapp zwanzig Prozent entfallen. Mit gut zwölf Prozent war der Rechtspopulist Ignas Vėgėlė als Dritter ins Ziel gegangen. Er schied damit aus und empfahl seinen Wählerinnen und Wählern, für Nausėda zu votieren. Im ersten Wahlgang hatte die Beteiligung noch bei 59,5 Prozent gelegen. Im zweiten fiel sie mit 49,1 Prozent geringer aus.
Nausėda setzte auf Amtsbonus und Popularitätswerte
Nausėda war ohne erklärte Strategie in die Stichwahl gegangen. Er und sein Kampagne-Team setzten auf Amtsbonus und hohe Popularitätswerte. Nausėda und Šimonytė waren in der Stichwahl vor fünf Jahren schon einmal gegeneinander angetreten. Schon der Vorsprung, mit dem Nausėda seinerzeit ins Amt kam, fiel mit rund 66 Prozent deutlich, wenn auch noch nicht ganz so überwältigend aus wie nun im Falle seiner Wiederwahl. Šimonytė hatte 2019 rund ein Drittel der Stimmen erhalten.
Das litauische Staatsoberhaupt hat deutlich mehr verfassungsrechtliche Kompetenzen als etwa der deutsche Bundespräsident. Es entscheidet über grundsätzliche Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik und ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Litauen liegt an der Ostflanke der NATO; die militärische Lage in der Ukraine hat sich in den zurückliegenden Tagen und Wochen wieder verschärft, zugunsten des russischen Aggressors. Kein Wunder also, dass die Welt sehr genau hingesehen hat, wer in Vilnius außen- und sicherheitspolitisch in den nächsten fünf Jahren das Sagen hat.
Warnungen vor aggressiv expansionistischem Kurs des Kreml
In der Slowakei hatte sich mit Peter Pellegrini bei den Präsidentschaftswahlen Anfang April der Kandidat eines EU- und NATO-skeptischen und eher am autoritär regierten Ungarn orientierten politischen Bündnisses durchgesetzt. In Litauen war die Situation zumindest in der Stichwahl eindeutig: Beide Kontrahenten, Nausėda wie Premierministerin Šimonytė, warnen seit Jahren vor dem aggressiv expansionistischen Kurs des Kreml. Beide haben das Vorgehen Vladimir Putins gegen die Ukraine stets unmissverständlich verurteilt, beide haben Kyjiw in seinem Widerstand gegen die russische Invasion tatkräftig unterstützt. Noch nach dem ersten Wahlgang vor zwei Wochen hatte Nausėda der Ukraine Unterstützung bei der Luftabwehr zugesagt. Solange es hier keine Verbesserung gebe, bleibe die Ukraine verwundbar.
Zwischen dem Staatschef und der Premierministerin bestand Einigkeit darin, die Verteidigungsausgaben ihres Landes auf mindestens drei Prozent des BIP zu erhöhen – für dieses Jahr sind noch 2,75% vorgesehen. Dieser Konsens dürfte den Wahlkampf überdauern. Mit dem Anstieg soll die Modernisierung der Armee und der militärisch relevanten Infrastrukur finanziert werden. Dabei hat man natürlich nicht zuletzt die Brigade der deutschen Bundeswehr vor Augen, die bis 2027 in Litauen stationiert werden und einsatzbereit sein soll. Dieses Projekt ist Teil einer NATO-Initiative, mit der die Sicherheit an der Ostflanke des Bündnisses gestärkt werden soll. Die Sorge westlicher Militärs und Sicherheitspolitiker: dass Putin im Falle eines unter welchen Umständen auch immer erreichten Endes des Ukraine-Kriegs seine Streitkräfte neu aufstellen wird, um im Laufe weniger Jahren einen Angriff auf das Baltikum und damit auf NATO-Territorium wagen zu können.
Dissens in moralphilosophisch aufgeladenen Themen
Während in Sicherheitsfragen weitgehend Übereinstimmung zwischen den Stichwahl-Kontrahenten bestand, gab es bei eher innenpolitischen, moralphilosophisch aufgeladenen Themen wie Abtreibung und rechliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften unterschiedliche Standpunkte. Für Außenstehende möglicherweise überraschend: Der parteilose, von zwei eher linken Parteien unterstützte Nausėda vertritt hier konservative Positionen, während die christdemokratische Regierungschefin offener für Reformen ist. Auch deshalb rief Dainius Žalimas, der nach der ersten Runde ausgeschiedene Kanditat der Laisvés Partija (Freiheitspartei), seine Anhänger dazu auf, Šimonyté zu unterstützten.
Zu Spannungen zwischen dem Präsidenten und der Regierungschefin ist es im Wahlkampf allerdings auch deshalb gekommen, weil Nausėda hatte verlautbaren lassen, im Falle seines Wahlsiegs könne die Regierung in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung nicht fortbestehen. Er hatte den Austausch des Ministers für Bildung, Wissenschaft und Sport gefordert und angedeutet, dass er sich nach seiner Wiederwahl stärker als bisher dem Thema Landwirtschaft widmen würde. Beobachter sehen darin den Versuch, die Parlamentswahlen im Herbst im Sinne der Sozialdemokraten zu beeinflussen, als Dank dafür, dass sie seine Präsidentschaftskandidatur unterstützt hatten.
Litauens geopolitisches Gewicht dürfte wachsen
Was nun bedeutet eine zweite Nausėda-Amtszeit aus internationaler Perspektive? Litauen dürfte, anders als die Slowakei, in allen Fragen rund um die Ukraine ein verlässlicher Partner innerhalb der Europäischen Union und des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses bleiben. Das Land dürfte sich auch weiterhin für die Verbesserung der regionalen Sicherheit und für die Stärkung der Verteidigung gegen die allgegenwärtige russische Bedrohung einsetzen. Nicht ausgeschlossen, dass Litauens geopolitisches Gewicht damit in den nächsten Jahren noch wächst.
Nausėda dürfte sich auch weiterhin für eine vollständige euro-atlantische Integration der Ukraine, Moldaus und Georgiens einsetzen. Sein Engagement hatten schon bisher andere Länder zur Unterstützung der Ukraine motiviert und eine einheitliche Haltung gegenüber Russland gefördert. Mit seinem eindrucksvoll erneuerten Mandat im Rücken dürften seine Forderungen nach einer Aufstockung des Verteidigungshaushalts und nach einer Verstärkung der Sicherheitsgarantien durch USA und NATO noch mehr Gewicht bekommen. Er dürfte auch weiterhin die Zusammenarbeit im Ostseeraum stärken sowie die Treffen der baltischen Staats- und Regierungschefs zur Koordinierung der regionalen Kooperation pflegen.
Was Nausėda nach seinem Wahlsieg angekündigt hat, dürfte daher als Motto seiner zweiten Amtszeit zu verstehen sein: „Die Unabhängigkeit und Freiheit Litauens ist wie ein zerbrechliches Gefäß, das wir hegen, schützen und vor dem Zerbrechen bewahren müssen.“
Natália Tkáčová ist Projektmanagerin im Büro Prag der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit. In ihren Zuständigkeitsbereich fällt u.a. die Analyse der politischen Situation in den drei baltischen Staaten.