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Sicherheitspolitik
Schwedisches Modell statt Wehrpflicht

Die Bedeutung der Reserve für die Wehrfähigkeit
Generalleutnant Markus Laubenthal, stellvertretender Generalinspekteur der Bundeswehr, Ende Januar 2024 in der Theodor Heuss Akademie der Friedrich Naumann Stiftung für die Freihiet

Generalleutnant Markus Laubenthal, stellvertretender Generalinspekteur der Bundeswehr, Ende Januar 2024 in der Theodor Heuss Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

© FNF

Die internationale Weltordnung steht auf dem Prüfstand. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine trägt massiv zur Unterminierung der internationalen Rechtsordnung bei, Chinas Präsident Xi Jinping verfolgt rigoros seine Vorstellung einer neuen Weltordnung und Angriffe im Nahen und Mittleren Osten bringen den sogenannten Westen – die USA, NATO, EU – außen- und sicherheitspolitisch an seine Grenzen.

In Deutschland sprechen Politikerinnen und Politiker und das Bundesverteidigungsministerium seit zwei Jahren von einer Zeitenwende in der eigenen Sicherheitspolitik. Die betrifft außen- und wirtschaftspolitische Entscheidungen, und setzt erhebliche Investition in die eigenen Verteidigungsstrukturen und -fähigkeiten voraus. Das bedeutet zudem, dass die Bundeswehr seit 2022 auch über den vergleichsweise kleinen Kreis an Expertinnen und Experten, Industrievertreterinnen und -vertreter und Berichterstatter im Bundestag hinaus in der öffentlichen Beobachtung steht. Die großen Lücken in der Ausrüstung, von persönlicher Ausstattung zu Munition und Großgeräten sind eine Seite der Medaille. Auf der anderen, und möglicherweise noch viel gravierenderen Seite steht der Mangel beim Personal. 203 Tausend Männer und Frauen in Uniform sollen bis 2031 aktiv in der Bundeswehr dienen, unter den Planern spricht man mitunter von einem Bedarf von eher 230 bis 240 Tausend Soldatinnen und Soldaten. De facto kommt die Bundeswehr heute schon nicht an die derzeit vorgesehene 185 Tausend Personen Truppenstärke, etliche Dienstposten sind unbesetzt.

Wehrdienst, Wehrpflicht, Reserve?

Heiß diskutiert: Das Thema Wehrpflicht. In verschiedenen Spielarten, auch als Dienstpflicht oder Gesellschaftsjahr. Abgesehen davon, dass derzeit weder Infrastruktur noch das benötigte Personal für eine wie auch immer geartete Wehrpflicht vorhanden ist, muss der Fokus eigentlich auf der gesellschaftlichen Komponente von Wehrhaftigkeit liegen. Wie ist die breite Bevölkerung informiert über die Bundeswehr oder über Landes- und Bündnisverteidigung? Auf welcher Grundlage wird tatsächlich am Küchentisch über Sicherheitspolitik diskutiert – oder wird es das überhaupt?

Es lässt sich durchaus argumentieren, dass die Lücke im Personal kurzfristig auch aus oben genannten Gründen nicht über die eine Wehr-Verpflichtung geschlossen werden kann, weder quantitativ noch qualitativ. Das schwedische Modell, das Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius im Dezember 2023 schon angekündigt hat, zu prüfen, ist ein interessanter Mittelweg. Als informierten freiwilligen Wehrdienst könnte man die Idee dahinter vielleicht benennen – jede und jeder wird mit Volljährigkeit für den Dienst gemustert und entscheidet nach erfolgreicher Musterung selbst, ob er oder sie den Wehrdienst antreten möchte oder nicht. Dadurch würde zumindest die Möglichkeit, einen Wehrdienst zu leisten oder sogar Zeitsoldatin zu werden, gesellschaftlich diskutiert. Und im Übrigen wird auch das Thema Reserve gleich mitgedacht – die nämlich als last line of defence im Ernstfall entscheidend ist, und bis dahin eine wichtige Schnittstelle zwischen Zivil und Militär darstellt. In den Niederlanden gibt es Ideen, dem Wehrdienst zunächst eine breite Information via Post zukommen zu lassen. Das heißt, der Brief mit dem Bescheid zur Musterung wird umformuliert zu einer Information über einen freiwilligen Wehrdienst.

Wehrhafte Gesellschaft durch zivil-militärischen Austausch

Am vergangenen Wochenende hat das CIOR (Confédération Interalliée des Officiers de Réserve), die größte internationale Reservistenorganisation, in der Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ein zivil-militärisches Seminar durchgeführt. In Uniform und in zivil saßen Reservisten, Industrievertreter, Expertinnen, Wissenschaftler und Stipendiaten der Stiftung aus Europa und den USA zusammen und haben über den Einsatz von Drohnen in der Ukraine; über Nachhaltigkeit in den Streitkräften; maritime Sicherheitsengpässe; Leadership und Cyber Security gesprochen.

die Autorin im Gespräch mit Generalleutnant Nico Tak, Kommandeur des I. Deutsch-Niederländische Corps auf der Common Effort Konferenz am 29. November 2023 in Hamburg

Die Autorin im Gespräch mit Generalleutnant Nico Tak, Kommandeur des I. Deutsch-Niederländische Corps auf der Common Effort Konferenz am 29. November 2023 in Hamburg

© 1GNC

Einer der wichtigsten, wenn auch wenig überraschenden Erkenntnisse: Politik, Industrie und Militär bedingen einander und profitieren von regelmäßigem Austausch. Reservedienstleistende, die mit ihren Arbeitgebern eine entsprechende Einigung erzielen konnten, bringen ihr Know-How in die Truppe und vermitteln umgekehrt ihre Erfahrungen in ihrer zivilen Umgebung. Gleich welche Wege des zivil-militärischen Dialogs künftig beschritten werden: Der politischen Debatte in Deutschland und der tatsächlichen Wehrfähigkeit des größten Landes im Herzen Europas kann es nur guttun, wenn wieder mehr Teile der Bevölkerung ganz praktisch von Betroffenen des Verteidigungsgeschehens zu Beteiligten gemacht werden.

Die Ukrainische liberale Abgeordnete Kira Rudik im Gespräch mit Teilnehmern der Common Effort Konferenz am 29. November 2023 in Hamburg

Die Ukrainische liberale Abgeordnete Kira Rudik im Gespräch mit Teilnehmern der Common Effort Konferenz am 29. November 2023 in Hamburg

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