Wahlen
Portugal: Im Westen viel Neues
Am Sonntag wählen die Portugiesen ihr Staatsoberhaupt – trotz Corona-Pandemie und erneutem Lockdown. Mit dem Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft steht Portugal aktuell auch auf dem europäischen Parkett im Rampenlicht.
In der Corona-Pandemie haben die Portugiesen Einigkeit bewiesen, große Überraschungen werden bei den Wahlen zum Staatsoberhaupt am Sonntag nicht erwartet: sieben Kandidaten treten an, haushoher Favorit ist laut Umfragen mit rund drei Viertel der Stimmen der amtierende Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa. Der 72-jährige „Marcelo“ ist im Volk äußerst beliebt und als unabhängiger Kandidat seit 2016 im Amt, dessen Inhaberin oder Inhaber jeweils auf fünf Jahre direkt gewählt wird. Der Präsident übernimmt zwar vor allem repräsentative Aufgaben, ist aber befähigt, beispielsweise das Parlament aufzulösen und mit Hinblick auf die Wahlergebnisse, den Ministerpräsidenten zu nominieren oder abzuberufen. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und wird regelmäßig zu wichtigen politischen Fragen konsultiert. Der von Hause aus konservative Politiker Rebelo de Sousa arbeitet reibungslos mit dem sozialistischen Ministerpräsidenten António Costa zusammen.
Portugal im harten Lockdown
Im Westen nichts Neues, könnte man meinen, und doch ist diese zehnte Präsidentschaftswahl ganz anders als alle Vorgängerwahlen seit 1976: Unter strengen Hygiene- und Sicherheitsvorkehrungen werden die Bürger trotz Corona-Pandemie an die Urnen gerufen. 12.000 Wahllokale sollen geöffnet werden, 2.000 mehr als üblich, um große Menschenansammlungen zu verhindern. Gesundheitsbeamte sammeln schon seit Tagen Stimmen aus Altenpflegeheimen und Menschen in Isolation ein, eine vorzeitige Stimmabgabe für registrierte Wähler wurde organisiert und zur Briefwahl aufgerufen. Wer am Sonntag wählen geht, muss einen eigenen Stift mitbringen. Die nationale Wahlkommission fuhr im Vorfeld eine breite Aufklärungskampagne. Unter dem Motto „Wählen ist sicher“ wurde in Online-Tutorials Anleitungen für das richtige Verhalten am Wahltag gezeigt. Wählen sei so sicher, wie einen Kaffee zu kaufen, heißt es in einem Video.
Portugal wurde zu Beginn der Pandemie für seine frühe und entschlossene Reaktion zur Eindämmung der ersten Covid-19 Welle gelobt. Doch in dem Land mit seinen rund zehn Millionen Einwohnern haben sich mittlerweile eine halbe Million Menschen mit dem Virus angesteckt, über 9.000 sind daran verstorben. Aufgrund hoher Infektionszahlen und überfüllter Krankenhäuser ist gegenwärtig ein nationaler Lockdown in Kraft, der mindestens einen Monat lang dauern soll. Geschäfte, Restaurants und Theater sind geschlossen, nur für den Weg zur Arbeit, zum Arzt oder zum Supermarkt dürfen die Menschen das Haus verlassen. Seit Anfang Januar hat Portugal mit Impfungen begonnen; der nationale Impfplan sieht vor, Risikogruppen wie alte Menschen oder Angestellte im Gesundheitsbereich zuerst zu immunisieren.
Ratspräsidentschaft mit schwierigem Start
Die Pandemie wird auch die EU-Ratspräsidentschaft überschatten, die Portugal am 1. Januar von Deutschland übernommen hat. Den Abschluss der sogenannten Trio-Präsidentschaft bildet Slowenien. Alle drei Länder arbeiten im Rahmen eines gemeinsamen Fahrplans vertieft zusammen, wobei jedes Land seine jeweiligen Potentiale nutzen will. Neben der Bewältigung der Gesundheitskrise setzt Lissabon die Schwerpunkte auf Klima, Digitalisierung, Bildung, Sozialpolitik. „Time to act: for a fair, green and digital recovery“ („Zeit zu handeln: für einen gerechten, grünen und digitalen Wiederaufbau“) lautet die Losung. Der Beginn warf kein gutes Licht auf die portugiesische Regierung und sorgte für reichlich Wirbel: für die Europäische Staatsanwaltschaft wurde José Guerra nominiert und dessen Qualifikationen nachweislich geschönt, obwohl ein unabhängiges, europäisches Beratungsgremium eine andere portugiesische Kandidatin, Ana Carla Almeida, favorisiert hatte. Viele sahen das als einen politisch motivierten Versuch des Ministerpräsidenten Costa, seinen bevorzugten Kandidaten durchzudrücken. Die Unabhängigkeit der neuen Behörde, die gegen Vergehen zu Lasten des EU-Haushaltes vorgehen soll, wird so untergraben.
Die Haltung der Liberalen war deutlich: Bei der Ernennung der Staatsanwälte seien Objektivität und Leistung ausschlaggebend für ein Funktionieren der EPPO, sagte Dacian Cioloș, Vorsitzender der liberalen Renew Europe-Fraktion. „Jeder Verdacht einer möglichen politischen Einflussnahme sollte vermieden werden“. Die portugiesische Opposition verurteilte das Nominierungsverfahren, die Regierung habe „den Antritt zur Ratspräsidentschaft vermasselt und Fakten über die Qualifikationen des portugiesischen Kandidaten verschleiert“, so der Abgeordnete und Parteivorsitzende der Iniciativa Liberal, João Cotrim Figueiredo. Aus seiner Sicht hat der Vorfall den Fokus verschoben, „von dem was eigentlich die Prioritäten für die europäische Ratspräsidentschaft in dieser Phase der pandemischen Krise sein sollte: Bedingungen für die soziale und wirtschaftliche Erholung zu schaffen und mit Optimismus nach vorne zu schauen“. Den wird Lissabon angesichts der vielen To-Do‘s auf der Liste seiner Ratspräsidentschaft auch brauchen.
Europa muss geopolitisch aktiv sein
Portugal tritt als Vermittler an, um die Umsetzung der EU-Haushaltsbeschlüsse so zügig wie möglich umzusetzen. Die Regierung ist aufgrund der Abhängigkeit von EU-Geldern und Krediten in besonderem Maße daran interessiert. Sie tätigt nur wenig öffentliche Investitionen, die Folgen sind u.a. im staatlichen Gesundheitssystem zu spüren. Die rund 26 Milliarden Euro aus dem Corona-Hilfspaket der EU braucht das Land dringend, um die heimische Wirtschaft anzukurbeln. Das hat auch mit dem Tourismus zu tun, der seit der Pandemie brachliegt. Den Ausfall einer weiteren Urlaubssaison kann sich Portugal nicht leisten. Die Tourismusbranche erwirtschaftet rund 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Daher wird in Lissabon die EU-Debatte über einen Corona-Impfpass, um mehr Reisefreiheit zu gewährleisten, gespannt verfolgt – eine Voraussetzung, um den Tourismus wieder in Gang zu bringen.
Akzente möchte Portugal mit Geopolitik setzen. Das Land pflegt in der Außen- und Sicherheitspolitik global zu denken, was für eine Stärkung der EU als Global Player von Vorteil ist. Lissabon hat traditionell gute Kontakte nach Indien; bis in die 1960er Jahre war Portugal Kolonialmacht im indischen Bundesstaat Goa. Vor allem der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu Indien und Afrika stehen auf der politischen Agenda ganz oben. Regierungschef Costa gilt als hervorragender Verhandler. Außerdem will Portugal die Aufmerksamkeit der EU auf den Terror durch den Islamischen Staat in seiner ehemaligen Kolonie Mosambik lenken. Schon seit 2018 gibt es dort massive Spannungen, mittlerweile wurden hunderttausende Menschen aus dem Norden des Landes vertrieben.
Neuer Anlauf in der Asyl- und Migrationspolitik
Obwohl die Interessen bei der Asyl- und Migrationspolitik weit auseinandergehen, will Lissabon die EU-Mitgliedsländer für einen gemeinsamen Ansatz wieder an einen Tisch bringen. Portugal betreibt eine vergleichsweise liberale Migrationspolitik und setzt sich für eine gesamteuropäische Lösung ein. Es gibt keine starke Opposition gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen. Anders als in Italien und weiten Teilen Europas, haben sich rechtspopulistische Parteien den – auch in Portugal vorhandenen - Nährboden für Populismus noch nicht so richtig zu Nutze gemacht. Themen wie Immigration und kulturelle Identität sind bisher wenig politisiert worden; Wirtschaftsfragen standen im Vordergrund.
Herausfordernd wird auf nationaler Ebene in Zukunft der Umgang mit den Stimmzuwächsen für die rechtspopulistische Partei „Chega“ („Genug“) trotzdem. Vor einem Jahr gewann Chega einen Sitz im Nationalparlament; jetzt ist Parteichef André Ventura sogar Kandidat für die Präsidentschaftswahl. Spannend wird, ob er oder die Vertreterin der Linken, Marisa Matias, es auf Platz zwei schafft. Es könnte ein Warnschuss sein für das, was künftig auf nationaler Ebene bevorstehen könnte, wenn genügend Protestwähler mobilisiert werden. Schrille Töne gehören zu den Zielen der Partei, u.a. fordert sie die chemische Kastration von Pädophilen, Zwangsarbeit für Gefangene und die Beschränkung der Posten des Staatspräsidenten und des Premierministers auf „in Portugal geborene Menschen“. Dies sind für Portugal, das bislang von populistischen Narrativen verschont blieb, radikale und menschenverachtende Töne.
Liberale mit beständigem Wachstum
Die Strategie der Iniciativa Liberal stellt sich mit liberalen Ideen gegen den Rechtspopulismus und die politische Agenda, die in Portugal von sozialistischen und kollektivistischen Parteien dominiert wird. Die Partei hat ein beständiges Wachstum zu verzeichnen, stellt einen Abgeordneten bei den Parlamentswahlen 2019 und einen regionalen Abgeordneten bei den Azorenwahlen 2020. Der aktuelle Wahlkampf für das Amt des Staatsoberhauptes, um den sich auch die Partei mit einem Kandidaten bewirbt, bietet eine weitere Gelegenheit, um – wie die Partei es formuliert – zu zeigen: „Liberalismus funktioniert“.
Rahel Zibner ist Projektassistentin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Portugal, Spanien und Italien mit Sitz in Madrid.