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Geopolitik
Gipfel-Marathon in Südostasien

APEC 2022
© picture alliance / NurPhoto | Vachira Vachira

Im Rahmen von ASEAN, G20 mit Bundeskanzler Scholz sowie APEC finden Mitte November in Kambodscha, Indonesien und Thailand acht Gipfel in neun Tagen statt. Russlands Vladimir Putin ist in alle drei Länder eingeladen. Kommt er?

Wenige Tage bevor Bundeskanzler Olaf Scholz sich auf den Weg nach Indonesien zum G20-Gipfel macht, ist immer noch nicht klar, wer ihm in Bali gegenübersitzen wird. Zwar haben nach indonesischen Angaben fast alle eingeladenen Staats- oder Regierungschefs zugesagt, darunter US-Präsident Joe Biden. Die große Frage ist: Kommt Russlands Präsident Vladimir Putin oder nicht?

Indonesiens Präsident Joko „Jokowi“ Widodo - der UN-Resolutionen unterstützte, die Russlands Ukraine-Invasion verurteilen - hatte sein G20-Gastgeber-Dilemma geschickt gelöst: Er lud Putin nicht aus, aber zusätzlich den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ein, obwohl die Ukraine kein G20-Staat ist. Nun muss nicht in Jakarta, sondern in Moskau und Kiew entschieden werden, wie verfahren wird.

Jokowi hatte Mitte des Jahres sowohl Kiew als auch Moskau besucht und mit beiden Präsidenten gesprochen. Er erhielt keine Zusagen. Selenskyj signalisierte später, per Video am G20-Gipfel teilnehmen zu wollen. Vergangene Woche schränkte er das ein: „Falls der Führer der Russischen Föderation teilnimmt, nimmt die Ukraine nicht teil“, sagte Selenskyj. Putin telefonierte vergangene Woche mit G20-Gastgeber Jokowi. Nur wurde danach nichts verkündet.

Kein Mangel an Themen

In Indonesien rechnen wenige damit, dass Putin anreist. Viele hoffen, dass er nicht kommt. Denn mit Putin am Tisch stünde im Vordergrund, wie heftig die Kritik ausfiel und wer den Saal verließe. All das wäre Indonesien unangenehm. So oder so dämpfte Außenministerin Retno Marsudi die Erwartungen. Sie rechne am Ende nicht mit einem G20-Communiqué, sondern nur mit einer Erklärung. An wichtigen Themen mangelt es nicht: Ukraine, Nordkorea, Iran, Taiwan, Klima, Energie, Ernährungssicherheit, Inflation.

Derweil laufen in Indonesien die Vorbereitungen. Zum G20-Gipfel am 15. und 16. November werden samt Delegationen und Journalisten Tausende Teilnehmer erwartet. Das Treffen wird im Süden von Bali stattfinden, in Nusa Dua, wo Indonesien COP13-Erfahrung hat. Der Klima-Gipfel war ähnlich groß.

Kambodscha: Biden sagt zu, Putin schweigt

Putin-Ungewissheit herrscht nicht nur in Indonesien, sondern auch in Kambodscha und in Thailand. Dort finden kurz vor bzw. kurz nach dem G20-Gipfel weitere große Treffen statt. In der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh trifft sich ab dem 10. November zunächst der südostasiatische Staatenbund ASEAN, der dort auch sein jährliches "plus 3"-Treffen mit China, Japan und Südkorea hat. Dieses Mal finden zudem mit ASEAN-Russland, ASEAN-Kanada sowie ASEAN-USA drei weitere Gipfel statt. Üblich bei all diesen Treffen ist die Teilnahme des Staats- oder Regierungschefs. US-Präsident Biden, der im Mai ASEAN nach Washington eingeladen hatte, reist an.

In Phnom Penh wird auch der jährliche Ostasien-Gipfel stattfinden, an dem ASEAN+3, Indien, Australien, Neuseeland, die USA und Russland teilnehmen. Biden hat zugesagt, Putin schweigt. Sollten beide kommen, soll es kein bilaterales Treffen geben. Beide sagten im Oktober, sie hätten kein Interesse daran, am Rande der bevorstehenden Gipfel in Südostasien miteinander zu sprechen. China wird in Kambodscha von Premierminister Li Keqiang vertreten.

Phnom Penhs Fließband-Gipfel finden in einem Hotel auf einer Landzunge statt, an der der Fluss Tonle Sap in den Mekong mündet. Mehr als 10.000 Sicherheitskräfte werden im Einsatz sein.

ASEAN-Zentralität im Indo-Pazifik

Der Gipfelmarathon in Südostasien reflektiert die gestiegene Bedeutung der Region. Im Westen, auch in Deutschland, haben viele Regierungen in den vergangenen Jahren Indo-Pazifik-Strategien oder Leitlinien entworfen. Alle Papiere werten Südostasien auf, genauer gesagt die „Association of Southeast Asian Nations“, den ASEAN-Staatenbund: Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, Singapur, Thailand, Vietnam und Philippinen. Seinen Mitgliedern ist es gelungen, einen eigentlich schwammigen Begriff zu etablieren: „ASEAN-Zentralität“. Der Begriff umschreibt den Anspruch ASEANs, Nucleus der Kooperation im Indo-Pazifik zu sein. Südostasien als Zentrum des indopazifischen Raumes zu verstehen, ergibt geografisch Sinn. Auch wirtschaftlich ist ASEAN alles andere als ein Außenseiter. Seine zehn Staaten formen einen Wirtschaftsblock mit einem Bruttosozialprodukt von drei Billionen US-Dollar. Damit steht ASEAN weltweit an fünfter Stelle nach den USA, China, der EU und Japan. Außer dem G20-Staat Indonesien haben die ASEAN-Staaten Singapur, Thailand, Malaysia, Philippinen und Vietnam große Volkswirtschaften.

Politisch ist ASEAN, wo 660 Millionen Menschen leben, kein Schwergewicht. Allerdings trägt vielleicht gerade das zum Charme von "ASEAN-Zentralität" bei. Der Indo-Pazifik mit seiner neuen, aggressiven Supermacht China, mit den Nuklearstaaten Indien und Nordkorea sowie mit westlich orientierten Wirtschaftsmächten wie Japan, Südkorea, Taiwan oder Australien wird eine immer wichtigere, aber auch eine immer gefährlichere Region. Da ist es gut, im Zentrum mit ASEAN einen nuklearwaffenfreien Staatenbund zu haben, der außer dem Angebot, zentraler Ort für Austausch zu sein, keine geopolitische Ambition hat. Niemand ist in der Lage, so viele Staaten des Indo-Pazifiks in regelmäßigen Formaten zusammenzubringen wie ASEAN.

Leider haben die Südostasiaten interne Herausforderungen. ASEAN rühmt sich traditionell damit, eine gemeinsame Linie zu finden. Das gelingt derzeit weder beim Umgang mit China, das mit einigen, aber nicht mit allen ASEAN-Staaten Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer hat. Noch gelingt es ASEAN, die Militärregierung ihres Mitglieds Myanmar von ihrem fürchterlichen Kurs seit dem Putsch vom Februar 2021 abzubringen. Zwar übt der Staatenbund beispiellosen Druck aus, indem er die Führung von Myanmars Junta sowie deren Minister seit 2021 von allen ASEAN-Gipfeln auslädt - aber das hilft bislang nichts. Zudem fanden die ASEAN-Staaten keine gemeinsame Linie bei den UN-Resolutionen, die Russlands Ukraine-Invasion verurteilen. Unklar ist, ob sie überhaupt eine Linie suchten. Im Oktober enthielten sich in New York gleich drei ASEAN-Staaten: das Königreich Thailand sowie die sozialistischen Republiken Laos und Vietnam.

Vietnam wird am 13. November Bundeskanzler Scholz begrüßen, der auf dem Weg zu Indonesiens G20-Gipfel kurz Hanoi und Singapur besucht. Die Reise signalisiert, dass die deutsch-vietnamesischen Beziehungen wieder wärmer werden. Sie waren zwischenzeitlich abgekühlt, weil vietnamesische Agenten 2017 einen Landsmann im Berliner Tiergarten entführt und nach Vietnam verschleppt hatten. Der Mann, ein reicher Unternehmer und Parteifunktionär, hatte in Deutschland Asyl beantragt, weil ihm in seiner Heimat Korruption vorgeworfen wird und dort die Todesstrafe vollstreckt wird. Er wurde mittlerweile in Vietnam zu lebenslanger Haft verurteilt.

In Berlin steht seit vergangener Woche ein Vietnamese vor Gericht, der an der Entführung im Tiergarten beteiligt gewesen sein soll. Er ist wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und Beihilfe zur Freiheitsberaubung angeklagt. Es ist der zweite Prozess gegen einen Entführungshelfer. 2018 war ein anderer Helfer, der gestanden hatte, in Berlin zu drei Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der vietnamesische Geheimdienst die Entführung geplant und durchgeführt und damit eklatant gegen die Souveränität der Bundesrepublik verstoßen habe. Der Unternehmer, dessen Asylantrag in Deutschland kurz nach seiner Entführung Erfolg hatte, durfte jüngst in Vietnam erstmals von deutschen Diplomaten im Gefängnis besucht werden - nach fünfjährigen Bemühungen.

BMW mit Kennzeichen „APEC RUS“ stehen bereit

Südostasiens letzter November-Gipfel findet am 18. und 19. November in Thailand statt: das jährliche Treffen der "Asia-Pacific Economic Cooperation". APEC, 1989 gegründet, repräsentiert 2,8 Milliarden Menschen und mehr als 50 Prozent der globalen Wirtschaft. Mit Hilfe riesiger Freihandelsabkommen - darunter CPTTP und RCEP, bei denen Europa außen vor ist - wollen viele APEC-Mitglieder weiter aufsteigen. Unter dem Titel "Offen - Verbunden - Balanciert" geht es in Bangkok um die Zukunft der Wirtschaft nach Corona.

APEC bringt 21 Asien-Pazifik-Wirtschaften zusammen und spricht bewusst nicht von 21 Staaten, denn ihr Treffen ist ein seltener Rahmen, bei dem sowohl China als auch "Chinese Taipei", sprich Taiwan, vertreten sind. "Hong Kong, China" ist ebenfalls APEC-Mitglied. Peking wird in Bangkok von Präsident Xi Jinping vertreten. Ihm scheint der Wirtschaftsgipfel wichtiger zu sein als die politischen Treffen in Kambodscha. Aus Taiwan kommt Morris Chang, der Gründer des Chipherstellers TSMC. US-Präsident Joe Biden ließ sich wegen der Hochzeit eines Enkelkindes entschuldigen. Er schickt seine Vizepräsidentin Kamala Harris nach Thailand. Vladimir Putin ist eingeladen. Zwischenzeitlich hieß es, er komme. Mittlerweile ist das wieder offen. Hinter der Tagungsstätte in Bangkok steht ein halbes Dutzend BMW mit Kennzeichen „APEC RUS“ bereit.

Zusätzlich zu den meisten Staats- oder Regierungschefs, die erst an den Gipfeln in Kambodscha teilnehmen und von dort nach Thailand weiterreisen, sind die Pazifik-Anrainerstaaten Mexiko, Peru und Chile in Bangkok vertreten. Thailand hat zudem als spezielle APEC-Gäste Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron sowie Saudi-Arabiens Kronprinzen Mohammed bin Salman eingeladen. Beide haben zugesagt.

Klunker, Mord und Eiszeit

Saudi-Arabien und Thailand hatten nach 22 Jahren Eiszeit jüngst verabredet, wieder volle diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Sie waren 1989 herabgesetzt worden, nachdem der älteste Sohn des damaligen Königs Fahd, Prinz Faisal bin Fahd, eine Menge Schmuck und Edelsteine vermisste. Ein thailändischer Hausangestellter des Prinzen hatte sie gestohlen und nach Thailand gebracht, darunter ein blauer 50-Karat-Diamant. Thailands Polizei fasste den Dieb, stellte Schmuck und Steine sicher und brachte das Diebesgut zurück nach Saudi-Arabien. Allerdings stellten die Saudis fest, dass etwa die Hälfte der Klunker mittlerweile Fälschungen waren und dass der blaue Diamant fehlte. Saudi-Arabien ermittelte in Thailand. Dort wurden wenig später ein Ermittler und drei saudi-arabische Diplomaten ermordet. Saudi-Arabien zog seinen Botschafter ab und verwies Thailands Botschafter des Landes. Die Morde wurden nie aufgeklärt. Doch nun, mehr als zwei Jahrzehnte später, signalisierte Anfang des Jahres ein Besuch von Thailands Ministerpräsident Prayuth Chan-o-cha in Saudi-Arabien Normalisierung. Die Reise von Kronprinz Mohammed bin Salman zum APEC-Gipfel nach Thailand wird der Gegenbesuch. MBS kommt mit einer großen Wirtschaftsdelegation.

Thailand hat für den APEC-Gipfel ein Kongresszentrum im Zentrum Bangkoks abgerissen und an der Stelle ein nagelneues gebaut. Um das übliche Verkehrschaos zu lindern und aus Sicherheitsgründen, erließ die Regierung zwei Feiertage in Bangkok. Mehrere Straßen, ein Park und eine U-Bahnstation am Kongresszentrum bleiben eine knappe Woche lang gesperrt. 25.000 Polizisten werden den APEC-Gipfel schützen. Thailand hat ein Sicherheitstrauma seit 2009 neun Staats- oder Regierungschefs mit Helikoptern in Sicherheit gebracht werden mussten, als Demonstranten die Tagungsstätte des ASEAN-Gipfels in Pattaya stürmten.

Scholz und Habeck in Singapur

Bei all den riesigen internationalen Treffen Mitte November in Südostasien geht fast unter, dass dort bis zum 14. November auch die große Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft mit Bundeskanzler Scholz und Vizekanzler Robert Habeck in Singapur stattfinden wird.

 

Moritz Kleine-Brockhoff leitet das Regionalbüro Südost- und Ostasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Bangkok,Thailand.