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Orbáns einsames Rennen

Ein Leitfaden für die Parlamentswahl in Ungarn
Viktor Orbán
Viktor Orbán schaut der Wahl gelassen entgegen © CC BY 2.0 Flickr.com/ European People's Party

Anfang April wird Ungarn ein neues Parlament wählen. Die Wiederwahl Viktor Orbáns ist wahrscheinlich. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit stellt einen Leitfaden für die ungarischen Parlamentswahlen vor.

Das vom ungarischen Präsidenten János Áder verkündete Datum der Parlamentswahlen ist der 8. April. Alles deutet darauf hin, dass der amtierende Premierminister Viktor Orbán, der bereits jetzt zu den dienstältesten Regierungschefs in der EU gehört, eine weitere Amtszeit hinzufügen kann. Er will mit seiner rechtsnationalen Partei Fidesz eine „illiberale Demokratie“ errichten und ist wegen der Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit immer wieder internationaler Kritik ausgesetzt. Das stört ihn wenig. Umfragen zufolge stoßen seine Hasskampagnen gegen ausgewählte Feinde („Brüssel“, US-Milliardär George Soros, EU-Flüchtlingspolitik) im Lande auf breite Akzeptanz. Um der Orbán-Regierung entgegenzutreten, bräuchten die fragmentierten Oppositionsparteien ein koordiniertes Auftreten in Einzelwahlkreisen. Aber gibt es solch eine strategische Koordination überhaupt? Und welche Parteien haben die besten Chancen auf einen Parlamentseinzug?

Von den 10 Millionen Einwohnern sind 8,3 Millionen Bürger wahlberechtigt und es gibt 250 politische Parteien. Seit den letzten Wahlen im Jahr 2014 wurden insgesamt 120 neue Parteien gegründet. Alleine 2017 wurden 70 neue registriert. Trotz - oder wegen - dieser Vielzahl an politischen Optionen ist es wahrscheinlich, dass die nationalkonservative, rechtspopulistische Regierungspartei Fidesz - Ungarischer Bürgerbund von Premier Viktor Orbán  zum dritten Mal in Folge die stärkste Kraft im Parlament sein wird. Umfragen zufolge wird das Wahlergebnis ähnlich wie bei den letzten Parlamentswahlen 2014 ausfallen, als Fidesz eine knappe Zweidrittelmehrheit im Einkammerparlament (Országgyűlés) erhielt. Diese Mehrheit ermöglichte damals der Regierungspartei, Verfassungsänderungen durchzusetzen, die von der Opposition als klare Verletzung liberaler Grundwerte angeprangert wurden.

Als 2015 in einer Nachwahl in der westungarischen Stadt Vészprem der von der Mitte-Links-Opposition unterstützte parteilose Kandidat Zoltán Kész klar vor dem Fidesz-Kandidaten Lajos Némedi lag, verlor Fidesz die Zweidrittelmehrheit im Parlament. Kész, Gründer der ungarischen Free Market Foundation, einem marktwirtschaftlichen Think Tank und Partner der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit, bemüht sich nicht nur um die Wiederwahl, sondern auch um ein möglichst koordiniertes Vorgehen der Oppositionsparteien.

Dass eine Zusammenarbeit der Opposition dringend nötig wäre, machen aktuelle Umfragen deutlich. Demnach ist Fidesz heute mit 52% noch stärker als 2014. Zweitplaziert ist mit 16% die rechtsextreme Partei Jobbik, die ihre Rhetorik vor den Wahlen jedoch mäßigt und sich in Richtung „Mainstream“ bewegt. Die Popularität der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP), die seit den ersten freien Wahlen in Ungarn 1990 dreimal das Land regierte, liegt bei lediglich 13%, gefolgt von der sozialdemokratischen Demokratischen Koalition (DK) und der Mitte-links-ökologischen LMP mit jeweils 7%.

Das oppositionelle Mitte-Links-Lager ist nach wie vor zerstritten. Die Oppositionsparteien verfolgen bei dem Bestreben, Orbán abzuwählen, gegensätzliche Ansätze. Als Folge von Änderungen des Wahlrechts aus dem Jahr 2011 beschränken zudem die Wahlkampfregeln den Handlungsspielraum der Oppositionsparteien in höchstem Maße. Wahlwerbung ist nur in staatlichen Medien erlaubt, die wiederum von Fidesz kontrolliert sind. Auf der Grundlage des Wahlberichts der OSZE aus dem Jahr 2014 hat sich die Regierungspartei Fidesz aufgrund restriktiver Regeln zur Wahlwerbung und "voreingenommener Medienberichterstattung" einen entscheidenden Wahlvorteil verschafft. Dank eines starken Netzwerks regionaler und staatlicher Informationssender wächst die Unterstützung für Orbáns quasi-autoritären Kurs stetig.

Orbán auf erfolgreichem Kurs gegen Europa

Unter der Führung von Viktor Orbán hat sich Ungarn in den vergangenen sieben Jahren immer mehr zu einer “illiberalen Demokratie“ entwickelt. Seine Amtszeit hat Orbán dazu genutzt, die Verfassung im Sinne seiner Machtinteressen umzukrempeln, die Macht zu zentralisieren und Positionen in der Zentralbank, dem Staatlichen Rechnungshof und der Staatsanwaltschaft politisch zu besetzen. Auf der Haben-Seite steht zudem ein Wirtschaftswachstum von 4% und die viertniedrigste Arbeitslosenquote in der EU. Die Steigerung der Bruttolöhne ist auf gute Wirtschaftsdaten, Anhebung des Mindestlohns und Arbeitskräftemangel zurückzuführen. Doch anstatt bei seiner Wahlkampfrhetorik auf diese positive Wirtschaftsbilanz zu setzen, fährt Orbán weiterhin aus Steuergeldern finanzierte Ressentimentkampagnen gegen die EU-Flüchtlingspolitik oder den ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros, den Orbán beschuldigt, sich in die inneren Staatsangelegenheiten Ungarns einzumischen.

    Orban+Putin
    Ziemlich beste Freunde: Vladimir Putin mit Viktor Orbán © CC BY 4.0 kremlin.ru

    Orbán und seine Partei stehen den Regeln, Mechanismen und Zielen der Europäischen Union sehr skeptisch gegenüber. Dafür hat sich Ungarn Putins Russland deutlich angenähert -  und gleichzeitig äußerte Orbán große Sympathie für die Politik und die Positionen von Donald Trump. Zum Strafverfahren, das die EU-Kommission gegen Polen wegen der Verstöße gegen die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet hatte, erklärte Orbán sofort, dass er nicht für eine Sanktion stimmen würde.

    Die Opposition zerfleischt sich selbst

    Der ernsthafteste Konkurrent für die regierende Partei Fidesz ist die rechtsextreme Jobbik. Die „Bewegung für ein besseres Ungarn“ zog 2010 mit rechtsnationalistischer und fremdenfeindlicher Rhetorik erstmals in das Parlament ein. In den letzten Monaten hat sich die Partei von ihren radikalen und antisemitischen Parolen distanziert und zielt auf neue Wähler ab. Der Parteivorsitzende Gábor Vona sagte am 22. November, dass Jobbik die Möglichkeit einer Koalition mit LMP und Momentum nicht ausschließe. Ein Regierungswechsel ohne Jobbik ist nicht denkbar, das wissen auch die anderen Oppositionsparteien. Sie zögern aber aus Furcht, eine solche Option könnte ihrem Renommee schaden.

    Die Chancen dieser größten Oppositionspartei mit einer gar nicht so großen Mitgliederzahl bei den bevorstehenden Wahlen sind aber durch eine gegen sie verhängte Geldstrafe von umgerechnet etwa zwei Millionen Euro erheblich eingeschränkt. Der ungarische Rechnungshof warf Jobbik vor, die Finanzmittel für eine sehr wirksame Antikorruptionskampagne gegen Premierminister Viktor Orbán auf illegale Weise beschaffen zu haben. Die Partei soll die Werbeflächen für die Kampagne weit unter Marktwert von Lajos Simicska, einem einstigen Orbán-Verbündeten und Unternehmer mit einem Vermögen von rund 350 Millionen Euro, erhalten haben. Nach eigenen Angaben steht Jobbik wegen der drakonischen Geldstrafe vor dem Bankrott.

    Die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP) war der Wahlsieger bei den Parlamentswahlen 1994, 2002 und 2006 und bildete drei Mal die Regierung. Erschüttert von einem riesigen Korruptionsskandal erlitt die Partei bei den Parlamentswahlen 2010 eine schwere Niederlage. Der letzte Schlag kam im Oktober 2017 als ihr Spitzenkandidat László Botka zurücktrat. Botka beschuldigte die "politische Mafia" (gemeint war die Regierungspartei Fidesz), die oppositionellen Parteien zu infiltrieren. Botka versuchte, sich als Spitzenkandidat der vereinten sieben Mitte-Links-Parteien ins Gespräch zu bringen, womit er jedoch scheiterte. Botka unterstellte deshalb diesen Parteien, dass ihnen der Wille fehle, Orbán aus dem Amt zu drängen und dass sich in den Reihen der Sozialisten unzählige Fidesz-Spione befänden. Im Dezember unterstützte das Präsidium der MSZP dann offiziell die Kandidatur des Bürgermeisters des Budapester Stadtbezirks Zugló, Gergely Karácsony, ein führendes Mitglied der kleinen Splitterpartei Párbeszéd (Dialog für Ungarn). Laut einer im Januar veröffentlichten Umfrage der Marktforschungsagentur Medián ist Karácsony der populärste Spitzenkandidat der Opposition.

    Die Mitte-links-grüne Partei LMP („Politik kann anders sein“) will keine Absprachen vor der Wahl eingehen. Die Umfragewerte der Partei, die in der Öffentlichkeit für ihre Antikorruptionsrhetorik bekannt ist, belaufen sich auf etwa 7%. Im Fokus ihrer regelmäßigen Berichterstattung über Korruption im Lande stehen der Missbrauch von EU-Geldern und die öffentliche Auftragsvergabe an regierungstreue Unternehmen. Mit Bernadett Szél, der Ko-Vorsitzenden und Fraktionschefin der Partei, ist LMP die einzige Partei, die eine Frau als Kandidaten für das Premierminister-Amt  stellt. Jedoch stoßen die Themen, für die sich die LMP einsetzt, bei ungarischen Wählern nur auf geringe Resonanz. Ein Grund dafür ist nicht zuletzt die geringe Vertretung von Oppositionsparteien in Medien, die in den Händen von Orbáns Anhänger sind.

    Ungefähr die gleiche Wählerunterstützung wie LMP genießt die Demokratische Koalition (DK) unter der Führung des ehemaligen Premierministers Ferenc Gyurcsány. Die Demokratische Koalition entstand 2010 als Splittergruppe innerhalb der Ungarischen Sozialistischen Partei und wurde im Oktober 2011 zu einer eigenständigen Partei. Im Wahlkampf setzt der Parteivorsitzende Gyurcsány auf eher populistische Themen, die seine Basis mobilisieren und vielleicht einige traditionelle Oppositionswähler, die von den Sozialisten enttäuscht sind, anziehen sollen. Gyurcsány hebt hervor, dass die Demokratische Koalition als einzige Partei in Ungarn niemals gemeinsame Sache mit dem „kriminellen ungarischen Regime“ gemacht habe. Hierbei zielt er vor allem auf die MSZP.

    Gyurcsánys Wahlslogan entspricht jedoch nicht den Tatsachen, denn da ist noch die neue Partei Momentum. Hierbei handelt es sich um eine junge, pro-europäische Partei, die von Anfang an jede Kooperationsmöglichkeit mit anderen Oppositionsparteien ausgeschlossen hat. Man wolle nicht mit diskreditierten Kräften der Vergangenheit zusammenarbeiten, sondern sich auf die Zukunft konzentrieren. Momentum entstand aus einer Bürgerbewegung, die Unterschriften für ein Referendum gegen die Olympiapläne der Fidesz-Regierung  gesammelt hat. Die meisten Mitglieder dieser in jeglicher Hinsicht jungen Partei kamen erst nach dem Zusammenbruch des Kommunismus auf die Welt. Viele haben im Ausland studiert. Sie schauen auf Emmanuel Macron, Frankreichs jungen Präsidenten, um sich inspirieren zu lassen und möchten alte Trennlinien zwischen links und rechts überwinden. Auch wenn Momentum gegenwärtig unter der 5%-Hürde liegt, glauben ihre Anführer, es alleine schaffen zu können. Vorab-Koalitionsaussagen will die Partei, die am ehesten den Platz einer liberalen politischen Kraft im ungarischen politischen Spektrum einnimmt, nicht treffen. Führende Kräfte der Partei haben signalisiert, dass man sich in Zukunft dem europäischen  liberalen Dachverband, der ALDE, zuwenden wolle.

    Gibt es die George-Soros-Partei?

    Und da ist dann noch die Soros-Partei. Zumindest glauben laut einer Umfrage der privaten Meinungsforschungsagentur Policy Agenda 76% der Befragten, es gäbe eine Partei des US-Milliardärs und Philanthropen George Soros. Das ist jedoch eine pure Erfindung und hat damit zu tun, dass Fidesz in den letzten Jahren keinen Aufwand gescheut hat, Soros zum Feindbild Nr.1 aufzubauen. Rechte Aktivisten und Fidesz-Mitglieder glauben, dass Soros die christliche Kultur Europas durch die Grenzöffnung für Flüchtlinge aus überwiegend muslimischen Ländern zerstören will. Selbst Regierungssprecher Zoltán Kovács bezeichnet dies als die Absicht von George Soros und führt aus, dass bei der nationalen Konsultation über George Soros Ende 2017 mehr als zwei Millionen Ungarn den George-Soros-Plan einstimmig abgelehnt hätten.

    Soros-Plan
    Aushang zum sog. Soros-Plan © CC0 1.0 commons.wikimedia.org/ Ynodrág

    Im Januar verabschiedete Orbáns Regierung ein Gesetzespaket, das den Titel "Stop Soros" trägt. Zivilgesellschaftlichen Organisationen, die zu „illegaler Migration“ beitragen und mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen aus dem Ausland beziehen, müssen sich gerichtlich registrieren lassen und eine Strafsteuer von 25 Prozent zahlen. Die Steuergelder will der Staat dann für den Grenzschutz verwenden. Als vorläufigen Höhepunkt der Kampagne hat Fidesz-Kommunikationsdirektor von Balázs Hidvéghi Ende Januar vor dem Parlamentsgebäude die neueste Kampagne der Regierungspartei vorgestellt. Die Plakatwand zeigt die Oppositionsführer Bernadett Szél (LMP), Ferenc Gyurcsány (DK), Gábor Vona (Jobbik) und Gergely Karácsony (Dialog für Ungarn), die umarmt von George Soros Drahtschneider in der Hand halten, um den Grenzzaun für Migranten zu öffnen.

    Hoffnungsschimmer für die Opposition

    Für die linksliberale Opposition ist die Kooperationsbereitschaft von LMP und DK einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren bei den kommenden Parlamentswahlen. Eine andere Lösung wäre, dass sich die Oppositionsparteien in den 106 Direktwahlkreisen jeweils gemeinsam hinter den Kandidaten stellen, der am meisten Aussichten auf einen Sieg gegen Fidesz-Kandidaten hat. Aber inwieweit sich die Parteien darauf am Ende einlassen, ist äußerst ungewiss. Zudem hat die von Fidesz kontrollierte staatliche Wahlkommission (NVB) Berichten zufolge die Wahlregeln mittlerweile so geändert, dass Oppositionsparteien, die sich an der gemeinsamen Aufstellung der Kandidaten beteiligen,  ihre eigenen Parteilisten zu gefährden.

    Wahlen in Ungarn

    Und was ist mit den Liberalen?

    Nach den Wahlen 2014 war nur eine explizit liberale Partei mit einem Abgeordneten im ungarischen Parlament vertreten. Die Zustimmung zur Ungarischen Liberalen Partei (Liberálisok), die seit November 2015 auch ALDE Mitglied ist, liegt bei etwa 1%. Die Partei ist nur noch im Parlament vertreten, weil ihr Spitzenkandidat 2014 auf der Liste der Sozialisten kandidierte. Dabei bezeichnen sich laut der jüngsten Umfrage des Republikon-Instituts 12% der ungarischen Wähler als liberal. So brauchen liberale Wähler in Ungarn immer noch Orientierung und Information über die politischen Angebote verschiedener Parteien.

    Aus diesem Grund hat der ungarische Think-Tank Republikon, der auch Miglied im Stiftungsnetzwerk 4Liberty.eu und im European Liberal Forum ist, das Projekt „Who should liberals vote for?“ ins Leben gerufen.

    Im Rahmen des Projekts werden öffentliche Diskussionen und Konferenzen mit Politikern des ganzen ungarischen Parteispektrums stattfinden, die ihre politischen Angebote für liberale Wähler präsentieren werden. Während der Diskussionen wird das Publikum die Gelegenheit haben, den eingeladenen Politikern die Fragen zu ihren Parteiprogrammen zu stellen. Die eingeladenen Politiker werden erklären, was Liberalismus für sie und für ihre Parteien bedeutet. Sie sollten auch die liberalen Elemente des Programms hervorheben. An den Diskussionen nahmen bisher Gergely Karácsony,Spitzenkandidat von MSZP und Párbeszéd, Gábor Fodor, Parteivorsitzender von Liberálisok sowie der ehemalige Premierminister und Parteivorsitzende von der Demokratischen Koalition, Gyurcsány Ferenc, teil. Am 14. Februar lädt Republikon den Parteivorsitzenden der sozialliberalen Partei „Együtt“ (Gemeinsam), Péter Juhász,  zur Diskussion ein. Weitere Veranstaltungen folgen, an denen auch führende Kräfte von Momentum teilnehmen werden.

    Toni Skorić ist Project Manager für Mitteleuropa und die baltischen Länder im Stiftungsbüro in Prag.