Deutsche Einheit
Anfänge der Stiftungsarbeit im Osten Deutschlands: So viel Anfang war nie!
Vor dem 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung wollen wir an die Anfänge der Stiftungsarbeit in der untergehenden DDR und in den sich heranbildenden neuen Bundesländern am Beginn des Jahres 1990 erinnern. Mit dem Mauerfall stellte sich uns die Frage, wie Stiftungsarbeit in den damals noch anderen Teil Deutschlands zu tragen sei, wo parallel zum institutionellen Integrations- und Vereinigungsprozess demokratisches und marktwirtschaftliches Denken aufzubauen war.
Zwei der Bildungsbeauftragten, Klaus Füßmann (damals in Dresden) und Michael Roick (damals in Schwerin), schildern in Beiträgen ihre ganz persönlichen Eindrücke aus der seinerzeitigen Pionierarbeit in dem gerade begonnenen Prozess des Zusammenwachsens zweier Deutschlands, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Ulrich Wacker war der damals in der Stiftung für „Deutschlandpolitische Bildungsarbeit“ verantwortliche Leiter des Referats Seminarreihen; er beginnt heute den Reigen dreier Beiträge über die Anfänge von Stiftungsarbeit im Osten Deutschlands.
Freiheit und Demokratie waren gerade erkämpft worden und mussten eigentlich nicht erklärt werden. Im Vordergrund liberaler Bildungsarbeit stand die Aufgabe, die prozeduralen Mechanismen einer parlamentarisch-demokratischen und marktwirtschaftlichen Ordnung zu vermitteln: Welche Aufgaben und Funktionen kommen auf Parteien in den Parlamenten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zu? Wie fügen sich Rechtsstaat, Marktwirtschaft und Demokratie zusammen? Wie funktioniert der Schutz der Menschen- und Bürgerrechte? Was gehört zu einer demokratischen politischen Kultur und welche Bedeutung hat eine aktive „Bürgergesellschaft“ (R. Dahrendorf) für die Stabilität einer freiheitlichen Ordnung?
Fünf Stiftungskollegen waren bis Herbst 1990 als ‚Bildungsbeauftragte‘ in den damaligen 15 DDR-Bezirken (ab Oktober 1990 den künftigen neuen Bundesländern) unterwegs und lebten und arbeiteten mit den Ost-Liberalen in einem untergehenden System. Mit dem sogenannten ‚Ländereinführungsgesetz‘, das die DDR-Volkskammer am 22. Juli 1990 beschlossen hatte, sollten die neuen Länder am 14. Oktober 1990 entstehen. Aber auch hier verlief die Entwicklung schneller. Die Volkskammer datierte am 23. August den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland bereits auf den 3. Oktober 1990, und die DDR wurde in einer „juristischen Sekunde“, so der staatsrechtliche Terminus, von den neu gebildeten Ländern abgelöst.
Zwei der Bildungsbeauftragten, Klaus Füßmann (damals in Dresden) und Michael Roick (damals in Schwerin), schildern ihre ganz persönlichen Eindrücke aus der seinerzeitigen Pionierarbeit in dem gerade begonnenen Prozess des Zusammenwachsens zweier Deutschlands, der bis heute nicht abgeschlossen ist.
Ein schwieriges Unterfangen: Das gesamtdeutsche Bewusstsein wachhalten
In der alten Bundesrepublik drohten in den 1980er Jahren das Interesse am anderen Teil Deutschlands und der Glaube an die deutsche Einheit abhandenzukommen. Ein Zeichen dieser Entwicklung war etwa der Verzicht der Springer-Presse, ihre jahrzehntelange Praxis, die DDR in Anführungsstriche („DDR“) zu setzen, aufzugeben - wenige Monate(!) vor dem Mauerfall. Der Blick auf das andere Deutschland war sozialistisch verklärt oder durch Kalte-Kriegs-Rhetorik aufgeladen, Erinnerungen der Älteren verblassten, in den jungen Generationen nahmen familiäre Bindungen ab, der Blick ging nach Westen. Um das aufzuhalten, gab es die „Deutschlandpolitische Bildungsarbeit“, die eine Säule von Stiftungsarbeit im geteilten Deutschland der 1980er Jahre war. Unsere Stiftung führte DDR-Studienreisen und Seminare zur Geschichte der deutschen Teilung, zum System der DDR und dem dortigen Alltag durch. Finanziert wurden die Aktivitäten vom 1991 aufgelösten ‚Ministerium für innerdeutsche Beziehungen‘, die ‚Bundeszentrale für Politische Bildung‘ steuerte die methodisch-didaktischen und inhaltlichen Materialien bei und organisierte den Erfahrungsaustausch der deutschlandpolitischen Erwachsenenbildner.
DDR-Studienreisen
Während der DDR-Studienreisen waren vor allem FNF-Stipendiaten findig darin, die offiziellen DDR-Begleiter am Abend einmal abzuhängen, um sich mit Jugendlichen einer Kirchengemeinde zu treffen oder spontan in Familien zu gehen, aus deren Kreis man auf der Straße jemanden kennengelernt hatte. Die Erfahrung war immer dieselbe: Wir spürten, dass wir über die Grenze hinweg zusammengehörten. Jede Studienreise hatte ihre Eklats, wenn der Bekennermut der West-Reisenden sich an den offiziellen Reisebegleitern (‚Stadtbilderklärern‘) oder an perplexen Mitarbeitern eines Restaurants entlud, die für das gesamte System in Mithaftung genommen wurden.
Orientierungsseminare für DDR-Übersiedler
In den Jahren1988/89 kamen ganze Wellen von DDR-Übersiedlern in die Bundesrepublik, zuletzt im Sommer und Herbst 1989 diejenigen, die mit Sonderzügen aus der Botschaft der Bundesrepublik in Prag ausreisen durften und ausgebürgert wurden. Die Theodor-Heuss-Akademie entlastete das Aufnahmelager Unna-Massen (NRW), nahm die neuen Bürger der Bundesrepublik vorübergehend auf und machte sie mit dem politischen System und dem Alltag (einschl. begleiteter Gänge durch Supermärkte) diesseits des inzwischen nicht mehr so „Eisernen Vorhangs“ vertraut.
Die ostdeutschen Liberalen nach dem Fall der Mauer
Mit ihren aus dem Gebiet der DDR stammenden Spitzenpolitikern Hans-Dietrich Genscher, Wolfgang Mischnick, Burkhard Hirsch und Gerhart Baum verfolgte die FDP immer eine Politik der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und pflegte enge Kontakte zu den ostdeutschen Liberalen, die sich in den Monaten nach dem Fall der Mauer mit den Parteien LDP (Nachfolgerin der Blockpartei LDPD), Deutsche Forum-Partei und F.D.P. der DDR zur ersten freien Volkskammerwahl im Februar 1990 vorübergehend im Wahlbündnis ‚Bund Freier Demokraten‘ (BFD) organisierten. Am 11. August 1990 schloss sich in Hannover die westdeutsche F.D.P. mit den liberalen Parteien der DDR zur gesamtdeutschen F.D.P. zusammen. Deren zehntausende Mitglieder bildeten den ersten Kreis der Zielgruppen unserer Bildungsangebote.
Stiftungsarbeit der Bildungsbeauftragten in den neuen Ländern
Die Anfänge – Zeitlicher Hochdruck
Unmittelbar nach dem Fall der Mauer erhielten die Politischen Stiftungen vom ‚Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen‘ grünes Licht für die Aufnahme der politischen Bildungsarbeit im Gebiet der DDR, und wir hatten über Bildungsinhalte und die Organisation dieses neuen Elementes von Stiftungsarbeit zu beschließen. Unterstützt von zwei Professoren und erfahrenen Seminarleitern entwickelte eine Arbeitsgruppe Curricula zu „Beteiligungs- und Aktionsformen in der Demokratie“ und zu „Strukturmerkmalen und Funktionsweisen der Sozialen Marktwirtschaft“. Dies in einer Rekordzeit, so dass die ersten Seminare bereits im Januar 1990 im Berliner Raum durchgeführt werden konnten. Klassische Stiftungsseminare zu Liberalismus, Rhetorik, Verbandsarbeit und Schülerzeitungsarbeit waren weitere Elemente des Bildungsangebots, das in Teilen Begegnungsseminare zwischen Liberalen aus Ost und West vorsah.
Die Inhalte - Demokratie einüben
Die Seminare enthielten praktische Übungsteile, Simulationen von Gemeinderatssitzungen etwa, in denen eine Fülle von prozeduralen Regeln vorgestellt und eingeübt wurde. Während der bundesrepublikanische Jugendliche in der Schülermitbestimmung und im Studentenparlament früh erste demokratische Erfahrungen machte, sich vor Wahlen über politische Alternativen informieren und in offenen Gesprächen zu einer politischen Haltung kommen musste, war dies den DDR-Jugendlichen verwehrt gewesen. Unsere wirtschaftspolitischen Seminarverantwortlichen mussten eine unendliche Fülle von Verständnisfragen beantworten: Warum Banken Gebühren erheben, was der Auftrag der Monopolkommission zum Schutz des Wettbewerbs ist – die Bandbreite des Bedürfnisses nach Orientierungswissen tendierte gegen unendlich.
Die Logistik – Unsere Bildungs-Pioniere im Osten
Zu lösen war auch die Aufgabe der praktischen Durchführung von Stiftungsarbeit im Neuland von Regionen Deutschlands, die wir bislang kaum kannten. Während andere Politische Stiftungen die Noch-DDR-Bürger in ihre Bildungsstätten im Westen karrten und mit Lastwagen Bücher auf den Marktplätzen im Osten verteilten, entwickelten wir das Modell einer Seminararbeit vor Ort, die von fünf ‚Bildungsbeauftragten‘ in den Gebieten der (gedanklich vorweggenommenen) künftigen fünf Bundesländer durchgeführt werden würde. Klaus Füßmann betreute Sachsen, Michael Roick Mecklenburg-Vorpommern, Thomas Göthe Brandenburg und Ost-Berlin, Peter Wulkau Sachsen-Anhalt und Jürgen Dieckert Thüringen. Die Kollegen knüpften Kontakte zu den Ost-Liberalen, vereinbarten Veranstaltungen und gewannen Teilnehmer. Sie suchten Veranstaltungsorte und organisierten die Verpflegung – alles unter den widrigen Umständen eines epochalen Umbruchs, eines Mangels an entsprechender Infrastruktur und in Konkurrenz zu westdeutschen Unternehmen, die Orte für Schulungen ihrer neuen Mitarbeiter belegten.
Die Kommunikation - ohne Mobiltelefone und Computer
Schwierig war die Kommunikation mit den Verantwortlichen am damaligen Stiftungssitz in Königswinter bei Bonn und in Gummersbach, denn es gab weder Mobil-Telefone noch Computer, sondern nur das DDR-Telefonnetz, das aus den 1930er Jahren stammte und dem Ansturm westdeutscher Firmen und Institutionen nicht gewachsen war. Auf Mission in Ostdeutschland tätige Firmenvertreter riefen morgens ihre westdeutschen Zentralen an und gaben die Leitung den gesamten Tag über nicht mehr frei. So mussten unsere Bildungsbeauftragten für Telefonate „in den Westen“ zurückfahren und aus einer grenznahen Telefonzelle die Stiftung kontaktieren. Oder wir Verantwortlichen, darunter die unermüdlich ackernde Dr. Ilona Klein, trafen uns mit den Bildungsbeauftragten vor Ort.
Die Theodor-Heuss-Akademie – Unser Hub und Drehscheibe in den Osten
Innerhalb der Abteilung Politische Bildung, deren kongenialer Leiter, Dr. Karl-Heinz Hense, Kopf und Motor des Aufbaus der Stiftungsarbeit im Osten Deutschlands war, übernahm das von Ulrich Wacker geleitete, in der Gummersbacher Theodor-Heuss-Akademie (THA) ansässige ‚Referat Seminarreihen‘ die operative Arbeit. An den Wochenenden wurden im Hof der THA bis zu 20 Leihwagen mit Seminar-Materialien beladen und von Seminarassistent(inn)en auf überlasteten Autobahnen in Richtung Osten gesteuert. Während der Woche liefen die Kopierer des unvergessenen Kollegen Dieter Schuster in der THA auf Hochtouren, um diese ungeahnte Nachfrage zu bedienen. Die Begeisterung und das Engagement der Stiftungskollegen war so grenzenlos, wie die innerdeutsche Trennlinie es geworden war.
Sternstunde politischer Jugend- und Erwachsenenbildung – Ein Fazit
Die Deutschlandpolitische Bildungsarbeit der Jahre vor dem Mauerfall hatte ihren Teil dazu beigetragen, das gesamtdeutsche Bewusstsein aufrechtzuerhalten, das in der alten Bundesrepublik verlorenzugehen drohte. Nach dem Mauerfall gelang es der Stiftung innerhalb von Wochen, die ostdeutschen Liberalen in Seminaren zusammenzuführen und auf die neuen Strukturen der entstehenden gesamtdeutschen Bundesrepublik vorzubereiten.
Faszinierend war, in unseren Seminaren die Akteure zu erleben, die sich in einer „friedlichen Freiheitsrevolution“ (H.-D. Genscher) ihres sklerotischen, autoritären Regimes entledigt hatten. Nicht immer waren sie es, die später in der neuen Bundesrepublik Erfolg hatten. Wer in der DDR an den Schalthebeln der Institutionen saß, fand sich auch im neuen System oft besser zurecht. Diese Ungerechtigkeiten der Geschichte konnten wir nicht verhindern, aber unsere Seminare waren der Versuch, eine gewisse Chancengerechtigkeit beim Start im „Neuen Deutschland“ zu schaffen.
"Wir beide gegen den Wind, auf einer Straße, wo die anderen nicht sind .…“ beschwor DDR-Sängerin Veronika Fischer den Freiheitsgeist vieler Ostdeutscher, der jetzt nicht mehr trug. Sie mussten sich ein neues Leben aufbauen und waren auf gute Ratgeber angewiesen. Wir haben das uns Mögliche getan und gemäß unserem Stiftungsauftrag die Menschen zu unabhängigem Denken, zu einem informierten Urteil und zu gesellschaftspolitischem Handeln im Sinne der Freiheit zu befähigen versucht.
Selten ist liberale politische Bildung so spontan, erfinderisch und leidenschaftlich betrieben worden wie im Einigungsjahr 1990. Die Erinnerung an diese einmalige Situation und Leistung für die Traditionsbildung der Friedrich-Naumann-Stiftung zu bewahren, ist Ziel der vorliegenden Beiträge. Zugleich sind gedankliche Bezüge zur Gegenwart des vereinten Deutschlands - 30 Jahre danach - nicht nur stillschweigend beabsichtigt.
Anfänge der Stiftungsarbeit im Osten Deutschlands: Aus der Ferne so nah
Am 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung wollen wir an die Anfänge der Stiftungsarbeit in der untergehenden DDR und in den sich heranbildenden neuen Bundesländern am Beginn des Jahres 1990 erinnern. Michael Roick berichtet aus seiner Zeit als Bildungsbeauftragter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Mecklenburg im Einheitsjahr 1990.
Anfänge der Stiftungsarbeit im Osten Deutschlands: Von Deutschland nach Deutschland
Vor dem 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung wollen wir an die Anfänge der Stiftungsarbeit in der untergehenden DDR und in den sich heranbildenden neuen Bundesländern am Beginn des Jahres 1990 erinnern. Klaus Füßmann berichtet aus seiner Zeit als Bildungsbeauftragter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Sachsen im Einheitsjahr 1990.