Veranstaltung
Perspektiven zur Deutschen Einheit – 60 Jahre nach dem Mauerbau
Am 13. August 1961 wurde die Teilung Berlins durch Beton und Stacheldraht zementiert. Die einseitige Sperrung der Grenze für Bürgerinnen und Bürger der DDR sollte die anhaltende Abwanderung in den Westen verhindern. Die 155 km lange Mauer trennte nicht nur Familien, sie spaltete ein ganzes Volk. Bis zum Mauerfall starben mindestens 140 Menschen beim Versuch, die Grenze zu überwinden, um im Westen in Freiheit und Demokratie zu leben.
Anlässlich des 60. Jahrestags des Mauerbaus lud die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Gäste aus Wirtschaft, Medien und Literatur ein, um über die Folgen der Teilung sowie den aktuellen Stand und die Zukunft der Deutschen Einheit zu diskutieren. Auf drei Panels mit gemischten Ost-West-Biographien sprachen Yvonne Wende, Geschäftsführende Direktorin der Europäischen Bildungsstiftung gGmbH; Dr. Andrea Peters, Partnerin der Kanzlei Müller Radack Schultz Rechtsanwälte Partnerschaft mbB Berlin; Christine Richter, Chefredakteurin der Berliner Morgenpost; der Landeskorrespondent Brandenburg (DLF) Christoph Richter, Schriftstellerin Tanja Dückers sowie der Schriftsteller Marko Martin. Moderiert wurde die Veranstaltung in BeachMitte von Dietmar Ringel.
„Der Bau der Berliner Mauer gehört zu den dunkelsten und traurigsten Ereignissen der Zeitgeschichte. Und zu den schwersten Niederlagen der Freiheit, die es je gegeben hat“, sagte Prof. Karl-Heinz Paqué in seiner Begrüßungsrede. Die Fluchtversuche hätten deutlich gemacht, welche gewaltigen Risiken einzelne Menschen bereit waren einzugehen, nur um in die Freiheit zu kommen. Dies verdiene eine ehrende Erinnerung, voller Demut und Respekt. Die Teilung ist heute überwunden, der Aufbau und die Transformation waren schwieriger und schmerzhafter, als viele zu Beginn gedacht hätten. „Wirtschaftlich ist die Deutsche Einheit 30 Jahre nach dem Mauerfall annähernd abgeschlossen“, so Paqué weiter. „Der Osten Deutschlands ist nach allen Maßzahlen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit annähernd auf dem Niveau des Westens, das gilt vor allem für die urbanen Zentren, die wieder richtig wachsen.“ Schwieriger sei jedoch der gesellschaftliche Wandel.
Für Yvonne Wende zählte die Mauer zum Alltag. „Die Mauer an sich war nie das Thema, aber die Verbote.“ Keine Reisefreiheit, sie durfte keine internationale Schule besuchen und ihr wurde der Wunsch-Studienplatz verweigert, weil der Bruder ihrer Mutter mit dem DDR-Regimekritiker Robert Havemann Kontakt hatte. Heute zählt sie sich zur Gewinnergeneration – sie konnte studieren, in die USA reisen, internationale Erfahrungen sammeln. Aber ernüchternd war es für die ältere Generation, die von Arbeitslosigkeit betroffen waren. Aber für sie steht fest: „Wir wollen nie wieder einen solchen Sozialismus, wir wollen nie wieder eingesperrt sein.“
Rechtsanwältin Dr. Andrea Peters wurde im Westen groß und wusste in ihrer Kindheit wenig über den Osten, da darüber nicht in der Schule kommuniziert wurde. Verwandtschaft im Osten hatte sie nicht. An der deutsch-deutschen Grenze hörte für sie Richtung Osten Europa auf. Mehr Wissen über die Menschen im Osten, mehr Zuhören hätte das Zusammenwachsen leichter gemacht. „Noch heute muss mehr Aufklärung geleistet werden“, sagte Peters.
Chefredakteurin Christine Richter kannte die DDR sehr gut und verbrachte dort viel Zeit. Sie hätte damals nie gedacht, dass sich die Mauer öffnen wird. „Es war harte Arbeit von den Bürgerrechtlern und den Menschen, die auf die Straße gegangen sind.“ Sie konnte sich nicht vorstellen, dass wir heute noch über die Unterschiede in Ost und West sprechen. 28 Jahre hätten in der Sozialisation Spuren hinterlassen.
Der Journalist Christoph Richter beklagte, dass die sozialen Folgen für die Opfer weitgehend ausgeblendet werden. „Wir müssen in eine Situation kommen, dass deren Geschichten geglaubt werden.“ Er betonte, dass die Menschen in Ostdeutschland noch mit der Transformation zu kämpfen hätten. Es schlage sich nieder, dass es keine Demokratieerfahrung in der DDR gab. „Wir müssen mehr miteinander reden und zuhören.“
Der Schriftstellerin Tanja Dückers wurde erst nach dem Mauerfall bewusst, dass sie auf der geopolitischen Insel Berlin gelebt hatte. Sie hatte Berlin als „drittes Land“ neben Ostdeutschland, und Westdeutschland empfunden. Für sie sei es wichtiger, nach Gemeinsamkeiten zu suchen. „Es gibt eine Lebensqualitätsverbesserung und Angleichung. Man sollte sich auf das besinnen, was alles geschafft wurde nach der Wende.“
Der Schriftsteller Marko Martin ist in einem DDR-kritischen Haushalt groß geworden. „Der Westen war mein Sehnsuchtsziel, aufgrund der gegebenen Möglichkeit, kritisch zu hinterfragen.“ Er wünschte sich mehr Empathie für die Maueropfer und einen Flüchtlingsdiskurs. Sofern von Ost und West gesprochen wird, müsse man auch über die deutschen Grenzen blicken und die osteuropäische Perspektive einbeziehen. Es gäbe auch weitere Inseln von Ungleichheiten und Terror, wie Tel Aviv oder Hongkong, wo neue Mauern hochgezogen werden.
Die Diskussionsteilnehmenden waren sich einig: Die Erinnerung an die deutsche Teilung darf nicht verblassen. Freiheit ist nie selbstverständlich. Sie muss geschützt und verteidigt werden. „Der Wandel ist Teil des großen welthistorischen Umbruchs, der in den 1990er Jahren stattfand, und dieser ist längst noch nicht abgeschlossen“, resümierte Paqué.